Artikel herunterladen

Zur Behandlung der akut dekompensierten Linksherzinsuffizienz

Zusammenfassung: Die aktuellen Leitlinien zur Behandlung der dekompensierten Linksherzinsuffizienz mit ACE-Hemmern, ggf. Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten, Diuretika, Betarezeptoren-Blockern, Vasodilatatoren und Digitalis beruhen auf Studienergebnissen, die lange diskutiert worden sind und jetzt in die Praxis umgesetzt werden sollen. Die Leitlinien enthalten aber auch Substanzen, die für die angegebenen Indikationen nicht zugelassen sind. Hinweise auf das unterschiedliche Preis/Leistungs-Verhältnis der Medikamente fehlen. Die Bedeutung der systematischen nachgehenden Überwachung und Beratung der Patienten wird unterstrichen.

Die dekompensierte Linksherzinsuffizienz ist die gemeinsame Endstrecke vieler Herzerkrankungen. Die akute Dekompensation ist ein häufiges und häufig rezidivierendes Syndrom mit hoher Letalität: 40%-50% der betroffenen Patienten sterben im ersten Jahr nach dem akuten Ereignis. 2005 sind Leitlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung (1) und der European Society of Cardiology (2) veröffentlicht worden. Sie schildern die Pathophysiologie des Syndroms als Circulus vitiosus, in dem die primäre myokardiale Schädigung über lokale und systemische neuroendokrine Aktivierung zu Hypertrophie, Vasokonstriktion, Flüssigkeitsretention, Arrhythmieneigung und damit zunehmender myokardialer Schädigung führt. Daraus wird – bei weitgehender Übereinstimmung beider Leitlinien – die vielschichtige Diagnostik und Therapie abgeleitet.

Die Diagnostik der kardialen Grunderkrankung und deren Schweregrad sowie die Bestimmung der auslösenden Ursache des akuten Syndroms stehen am Anfang. Dabei sind immer noch Anamnese, klinisches Bild, EKG, Echokardiographie und Röntgen-Thorax die wichtigsten Informationsquellen und nur zusätzlich das Brain (B-type) Natriuretic Peptide (BNP) in unklaren Situationen und zum Ausschluss einer Herzinsuffizienz.

Über die großen Studien, die den Empfehlungen zur medikamentösen Therapie zu Grunde liegen, hat DER ARZNEIMITTELBRIEF immer wieder berichtet, z.B.: ACE-Hemmer (3), Betablocker (4), Digitalis (5), Diuretika (6) und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten (7). Wir verweisen auf unsere Schlagwortliste, ohne hier auf die Diskussion im Einzelnen einzugehen.

In der Praxis ist oft unklar, welche Dosierungen der Substanzen bei Herzinsuffizienz empfohlen sind. Hier soll die Tab. 1 helfen. Sie listet Substanzen und Dosierungen, die in der Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Kreislaufforschung erwähnt sind. Die Apothekenverkaufspreise haben wir hinzugefügt (Stand: 1. Juli 2006). Die Preisunterschiede der Substanzgruppen und in den Gruppen sind auch nach der aktuellen Preisanpassung erheblich, entscheidende Wirkungsunterschiede der Substanzen in der gleichen Gruppe sind nicht nachgewiesen. Die Preise und das Preis/Leistungs-Verhältnis der Medikamente werden in den Leitlinien an keiner Stelle dargestellt und nicht kritisch vergleichend besprochen. Damit sollen sich nach Meinung der Verfasser die Ärzte offenbar nicht beschäftigen. Das aber ist heutzutage völlig weltfremd. Bei einer Therapieempfehlung ist der Preis in Zeiten beschränkter Ressourcen eine wichtige „Nebenwirkung” und muss in die Überlegungen zur Auswahl des Medikaments dringend mit einbezogen werden. Preisangaben in Tabellen sind beim Druck oft schon überholt. So ändern sich in diesen Wochen die Arzneimittelpreise durch das Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz (AVWG). Danach können Patienten von der Zuzahlungspflicht befreit werden für Medikamente, deren Preis 30% unterhalb des Festbetrags liegt. Über Einzelheiten informieren Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen (z.B. www.gkv.info.de). Trotzdem nennen wir Preise, auch wenn sie vielleicht schon wieder veraltet sind. Es wird gezeigt, dass dieselbe Indikation mit sehr unterschiedlichen Kosten bedient werden kann. Das wird trotz aller Verschiebungen im Preisgefüge auch so bleiben. Ein guter Arzt behält diesen Aspekt im Auge. Darüber hinaus haben auch die Dosierungsempfehlungen erhebliche finanzielle Konsequenzen. Sind die von den Verfassern der Leitlinie empfohlenen Arzneimitteldosierungen in ihrer Wirkung tatsächlich vergleichbar? Liegen sie auf demselben Punkt der Dosis-Wirkungs-Kurve? Das ist sicher nicht überprüft und ein Argument gegen diese Art von Preisvergleich. Wir geben die Preise dennoch an, allein um darauf hinzuweisen, dass Empfehlungen preisliche Konsequenzen haben, die nicht untersucht sind. Es fehlen systematische direkte Wirkungsvergleiche der Medikamente. Daher sind exakte, vergleichende Angaben zum Preis/Leistungs-Verhältnis zurzeit nicht möglich.

Es ist erstaunlich, dass in die Leitlinie viele Substanzen aufgenommen worden sind, die für die Indikation keine Zulassung haben. Das verführt zum „Off label use”. Bei einem Regressverfahren wird es schwierig sein, die Indikation dieser Substanzen bei Herzinsuffizienz als unbedingt notwendig nachzuweisen. Die Leitlinie sagt von dieser Gefahr nichts. Die Lobbyarbeit der Hersteller war bei den Verfassern der Leitlinien offenbar erfolgreicher als bei der Zulassungsbehörde.

In der europäischen Leitlinie werden zwei neuere Substanzen erwähnt, die sich allerdings nicht durchgesetzt haben:

Nesiritid (Natrecor®) ist ein rekombinantes BNP, das als Diuretikum und Vasodilatator zur i.v. Anwendung im Jahr 2001 von der Food and Drug Administration (FDA) für die Behandlung der akuten Linksherzinsuffizienz zugelassen wurde. Es entwickelte sich in den USA zu einem umsatzstarken Produkt sowohl im ambulanten als auch stationären Bereich. Im April 2005 erschien im JAMA (10) eine Metaanalyse der bis dahin erschienenen drei randomisierten kontrollierten Untersuchungen über die Wirkungen von Nesiritid bei stationär behandelter akut dekompensierter Herzinsuffizienz im Vergleich zu Plazebo und/oder einem Vasodilatator. Positiv inotrope Medikamente durften in der Vergleichsgruppe nicht gegeben werden. Von den 485 Patienten, die mit Nesiritid behandelt wurden, starben innerhalb von 30 Tagen 7,2% und von den 375 Patienten der Kontroll-Gruppe 15% (RR: 1,74; 95%-CI: 0,97-3,12). Im Juli 2005 informierte die FDA die Fachöffentlichkeit in einem „Dear Doctor Letter” über die neuen Gesichtspunkte zum Risikoprofil von Nesiritid (11). Darin wird zusätzlich darauf hingewiesen, dass nicht selten unter der Therapie ein Abfall des Blutdrucks und ein deutlicher Anstieg des Kreatinins beobachtet werden. Insgesamt muss die Indikation zum Einsatz dieser Substanz (stationäre Behandlung akut dekompensierter Patienten) in den Ländern, in denen sie zugelassen ist, streng beachtet und individuell im Vergleich mit anderen Optionen abgewogen werden. In Europa ist Nesiritid – obwohl in der Leitlinie bereits erwähnt (2) – nicht zugelassen. Man kann sich nicht vorstellen, dass es eine bedeutsame therapeutische Lücke füllen könnte.

Levosimendan (Simdax®) hat eine positiv inotrope Wirkung, weil es Troponin C für Kalzium empfindlicher macht. Darüber hinaus ist es ein Vasodilatator. Die ersten randomisierten kontrollierten Studien (12, 13) zu dieser Substanz bei akut dekompensierter Linksherzinsuffizienz zeigten eine im Vergleich zu Dobutamin bessere Wirksamkeit und geringere Letalität. Beim Kongress der American Heart Association in Dallas wurden 2006 zwei randomisierte Studien vorgestellt, die den initialen Optimismus etwas dämpfen (zit. nach 14, 15). In einer besserte sich das klinische Bild der Patienten (n = 600; Einschluss 48 Stunden nach Beginn einer konventionellen Therapie) unter Levosimendan zunächst etwas deutlicher, nach 90 Tagen waren aber 45 Patienten in der Levosimendan-Gruppe und 35 in der Kontroll-Gruppe gestorben. Die Differenz war statistisch nicht signifikant. In die andere Studie wurden 1327 Patienten mit akuter Linksherzinsuffizienz eingeschlossen, wenn die initiale Therapie mit Diuretika und Vasodilatatoren über 48 Stunden nicht angesprochen hatte. Hier war zwar nach fünf Tagen, zwei Wochen, einem Monat und sechs Monaten die Letalität unter Levosimendan etwas geringer als in der Kontroll-Gruppe, aber nicht signifikant. Damit ist Levosimendan bei der Indikation „akute Linksherzinsuffizienz” zwar das am besten untersuchte positiv inotrop wirkende Medikament, aber erwartungsgemäß kann auf diesem Wege die Prognose nicht entscheidend verbessert werden. Auch diese Substanz wird bemerkenswerter Weise in den Leitlinien als Therapieoption erwähnt, obwohl sie in Europa nicht zugelassen ist.

Oft müssen die Medikamente kombiniert gegeben werden mit entsprechend komplexer Überwachungsproblematik. Die Gründe für eine akute Dekompensation der Linksherzinsuffizienz, die zur Aufnahme auf eine Intensivstation führen, sind sehr häufig (in etwa 70%) vermeidbar: Verordnete Medikamente wurden nicht regelmäßig oder kontraindizierte zusätzlich eingenommen, Trinkmenge und Salzrestriktion wurden nicht beachtet oder der Blutdruck und das Körpergewicht nicht regelmäßig kontrolliert (8). Daher ist es wichtig und richtig, dass in den modernen Richtlinien zur Behandlung der Herzinsuffizienz der strukturierten Patienteninformation und nachgehenden Fürsorge besondere Beachtung geschenkt wird. Das muss bei der Behandlung von Patienten mit akuter Herzinsuffizienz für die Langzeitbehandlung organisiert werden. Regelmäßige symptomorientierte Beratung ist entscheidend für den möglichst komplikationsarmen Verlauf. Bei den Gesprächen müssen systematisch immer wieder folgende Punkte angesprochen, angeregt und protokolliert werden:

· Kontrolle des Gewichts und Reduktion der Trinkmenge,

· Kontrolle des Blutdrucks,

· Nikotinkarenz und Behandlung der übrigen Risikofaktoren,

· Information über Wirkungsweise und unerwünschte Wirkungen der Medikamente. Anleitung zur Selbstmedikation (z.B. Diuretika),

· Überwachung der Compliance der Medikamenteneinnahme,

· Gegebenenfalls Vorsorgeverfügung und Patiententestament ansprechen,

· Krankheitspass (Herzpass) aushändigen (9).

Im Februar 2006 erschien die „Comprehensive Heart Failure Practice Guideline” der Heart Failure Society of America (16). Darin gibt es ein eigenes Kapitel zu Diagnostik und Therapie der akuten Linksherzinsuffizienz. Meistens wird der Evidenzgrad C für die Empfehlungen genannt, weil es für diese Situation nur wenige kontrollierte randomisierte Untersuchungen gibt. Es werden die Punkte gelistet, die beachtet werden sollten. Sie eignen sich als Zusammenfassung zum Thema akute dekompensierte Herzinsuffizienz:

· Bei unklarer Diagnose das Brain Natriuretic Peptide (BNP) bestimmen,

· Auslösende Ursache klären (Anamnese!),

· Über notwendige Interventionen entscheiden,

· Diuretische Therapie mit Schleifendiuretika i.v., Monitoring von Puls, Blutdruck, Urinvolumen, Nierenfunktion und Elektrolyten,

· Bei unzureichender Diurese: Natrium- und Flüssigkeitsrestriktion, Dosissteigerung bzw. zusätzliche Gabe eines zweiten Diuretikums, gegebenenfalls Ultrafiltration,

· Bei normalen oder erhöhten Blutdruckwerten: Vasodilatatoren (z.B. Nitroglycerin),

· Bei unzureichendem Ansprechen auf die Therapie: Gabe positiv inotrop wirkender Substanzen,

· Invasives Monitoring der Hämodynamik nur bei unzureichendem Ansprechen auf die Initialtherapie; bei Hypotonie Gabe positiv inotroper Substanzen usw.,

· Vor der Entlassung: Pharmakotherapie optimieren, Beginn der systematischen Patienteninformation, gegebenenfalls Beginn einer systematischen nachgehenden Versorgung (17, 18).

Literatur

  1. Hoppe, U.C., et al.: Z. Kardiol. 2005, 94, 488.
  2. Swedberg, K., et al. (Guidelines for the Diagnosis and Treatment of Chronic Heart Failure of the European Society of Cardiology): Eur. Heart J. 2005, 26, 1115.
  3. AMB 2002, 36, 93a; 2004, 38, 12a.
  4. AMB 1999, 33, 21b; 2001, 35, 42; 2002, 36, 72; 2003, 37, 68.
  5. AMB 1997, 31, 29.
  6. AMB 2002, 36, 21b; 2003, 37, 35.
  7. AMB 2002, 36, 19; 2003, 37, 90.
  8. Michalsen, A., et al.: Brit. Heart J. 1998, 80, 437.
  9. AMB 2005, 39, 72.
  10. Sackner-Bernstein, J.D., et al.: JAMA 2005, 293, 1900.
  11. www.fda.gov/medwatch/safety/2005/natrecor2_DHCP.htm
  12. Follath, F., et al. (LIDO = Levosimendan Infusion versus DObutamine study): Lancet 2002, 360, 196.
  13. Moiseyev, V.S., et al. (RUSSLAN = Randomized stUdy on Safety and effectivenesS of Levosimendan in patients with left ventricular failure due to an Acute myocardial iNfarct): Eur. Heart J. 2002, 23, 1422.
  14. Cleland, J.G., et al.: Eur. J. Heart Fail. 2006, 8, 105.
  15. Delgado, J.F.: Rev. Resp. Cardiol. 2006, 59, 309.
  16. Heart Failure Practice Guideline: J. Card. Fail. 2006, 12, 10.
  17. Angermann, C.E.: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung. Vortrag Frühjahrskongress 2006, CL 516.
  18. Sonntag, S.: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung. Vortrag Frühjahrskongress 2006, CL 517.

Abbildung 2006-49-1.gif