Deutsche Leitlinien zur Behandlung der arteriellen
Hypertonie erwähnen nebeneinander die Stufentherapie (Beginn mit Monotherapie
und Zugabe eines weiteren Antihypertensivums bei unzureichender Effektivität),
die sequenzielle Monotherapie (Austausch verschiedener Substanzen bis zur
effektiven Blutdrucksenkung) und die primäre Kombinationsbehandlung in
niedriger Dosierung. Die Auswahl erfolgt individuell nach Alter, Höhe des
Blutdrucks, Begleiterkrankungen, zu erwartender Compliance und unerwünschten
Arzneimittelwirkungen (1). Die British Hypertension Society (2) formulierte
ähnliches als AB/CD-Schema (A = ACE-Hemmer oder
Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker; B = Betarezeptoren-Blocker, C =
Kalziumantagonisten, D = Diuretika). A oder B werden bei Patienten < 55
Jahre als Monotherapie empfohlen, C oder D bei älteren oder Farbigen. Bei
unzureichendem Therapieerfolg soll eine Kombinationstherapie erfolgen unter
Hinzunahme eines Diuretikums.
Die neuen Leitlinien des NICE (National Institute for
Health and Clinical Excellence) (3), die allerdings auch auf Widerspruch
gestoßen sind, werden folgendermaßen zusammengefasst: Bei älteren Patienten
(> 55 Jahre oder Farbige) soll die Initialtherapie ein Kalziumantagonist
sein oder als Alternative ein Thiazid-Diuretikum, bei jüngeren ein ACE-Hemmer
oder, bei Unverträglichkeit, ein Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker, gefolgt von
einer Kombinationstherapie bei unzureichendem Therapieerfolg.
Betarezeptoren-Blocker kommen in diesen Empfehlungen nur noch vor zur
Behandlung jüngerer Patienten mit Unverträglichkeit oder Kontraindikationen für
ACE-Hemmer bzw. Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker und Patienten mit Hinweisen auf
Hyperkinetisches Herzsyndrom. Diese Zurückstufung der Betarezeptoren-Blocker
hat etwas damit zu tun, dass Atenolol in großen Studien wenig effektiv in der
Behandlung der Hypertonie war und für andere Betarezeptoren-Blocker keine vergleichbaren
randomisierten, kontrollierten Studien vorliegen (4).
Zu den neuen Leitlinien von NICE (3) gehört auch eine
Analyse der Kosten und möglichen Einsparungen, die in England durch die
Implementation dieser Leitlinie zu erwarten sind. Wenn es gelingt, die
Leitlinie in der Praxis flächendeckend durchzusetzen, könnten in diesem Bereich
- trotz Steigerung der Therapiekosten - nach dieser Rechnung insgesamt 221,9
Mio. £ Sterling pro Jahr weniger ausgegeben werden (s. Tab. 1).
Die Steigerung der Therapiekosten kommt nicht dadurch
zu Stande, dass insgesamt mehr Patienten behandelt werden, sondern dass mehr
Patienten mit Kombinationstherapie behandelt werden müssten, um den
Zielblutdruck zu erreichen. Die Kosten pro Substanzgruppe könnten sich sogar
senken, wenn die jeweils preisgünstigsten Substanzen verordnet würden.
Bei der Berechnung der Einsparungen geht man davon
aus, dass zur Zeit nur 40% der Hypertoniker den Zielblutdruck von 140/90 mm Hg
erreichen und dass durch bessere Behandlung der Hypertonie 10% der
Schlaganfälle und 4% der 300000 im Krankenhaus behandelten Koronarsyndrome
vermieden werden könnten. Zur besseren Behandlung der Hypertonie sind zumeist
nicht neue, teure Substanzen erforderlich, sondern eine regelmäßige Überwachung
aller Patienten und eine systematische Kombinationstherapie mit bekannten
Medikamenten, wenn der Blutdruck den Zielwert nicht erreicht hat. Die sich
dadurch insgesamt ergebenden möglichen Einsparungen wurden bezüglich ihrer
Plausibilität mit einer zuvor ausgewählten Gruppe namentlich genannter,
unabhängiger Berater abgestimmt. So werden diese Kalkulationen glaubhaft.
Durch die Lektüre von Leitlinien und der begleitenden
Darstellung der Kosteneffektivtät sieht sich der behandelnde Arzt mit der Wahl
seiner angewandten Therapie in ein rationales medizinisch-wissenschaftliches
und ökonomisches System einfügt. Das kann ihn motivieren, besser auf das
Preis/Leistungs-Verhältnis der Medikamente zu achten, die er verordnet. Auch
die breitere Öffentlichkeit würde durch die Information über Kosteneffektivität
von Therapieverfahren sehen, dass die Gelder der Versicherten „vernünftig”
ausgegeben werden. Daher verwundert und verärgert es, dass Überlegungen zur
Kosteneffektivität in deutschen Leitlinien regelmäßig fehlen. Demgegenüber
werden im „Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform 2006” (5) in der Anlage 5 die
Planungen beschrieben, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen (IQWiG) jetzt auch - ähnlich wie NICE, auf das Bezug genommen wird
- mit der Prüfung der Kosteneffektivität neuer Arzneimittel zu beauftragen. Die
Ergebnisse sollen in Therapie-Empfehlungen einfließen. Dies sind positive
Aspekte, die nicht unterschätzt, sondern unterstützt werden müssen und in der
überall geäußerten, berechtigten Kritik am „Eckpunktepapier” nicht untergehen
dürfen.
Fazit: In
der neuen Leitlinie zur Behandlung der Hypertonie des National Institute for
Health and Clinical Excellence kommen Betarezeptoren-Blocker zur primären
Monotherapie der Hypertonie nicht mehr vor. Die Leitlinie wird zusammen mit
einer Analyse der Kosteneffektivität der Hypertoniebehandlung herausgegeben.
Daraus geht hervor, dass Einsparungen vor allem dadurch zu erreichen sind, dass
bei mehr Patienten mit einer Kombinationstherapie der Zielblutdruck von 140/90
mm Hg erreicht und dadurch die Zahl der Schlaganfälle und Koronaren
Herzsyndrome vermindert wird.
Literatur
-
Arbeitsgemeinschaft der
wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: www.uni-duesseldorf.de/AWMF/II/ihypto01.htm
-
Williams, B., et al.: BMJ 2004, 328, 634; s.a. AMB 2004, 38, 45.
-
NICE.org.uk/CG034NICEguideline;
s.a. Williams, B.: Lancet 2006, 368, 6.
-
Devereux, R.B., et al. (LIFE = Losartan Intervention
For Endpoint reduction in hypertension): Circulation 2004, 110, 1456; s.a.
AMB 2005, 39, 4.
-
Eckpunkte zu einer
Gesundheitsreform 2006
www.die_gesundheitsreform.de/gesundheitspolitik/pdf/eckpunkte_gesundheitsreform_2006.pdf
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