Die Wiedereröffnung des verschlossenen Koronargefäßes
ist ein wichtiges Behandlungsziel bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt.
Thrombolyse ist nur in den ersten beiden Stunden nach Infarktbeginn,
gegebenenfalls auch außerhalb des Krankenhauses, indiziert. Für die meisten
Patienten hat sich die koronare Katheterintervention mit Stent-Implantation
(PCI) als Methode der Wahl durchgesetzt. Ob beschichtete Stents beim akuten
Myokardinfarkt überlegen sind, ist bisher nicht ausreichend untersucht (s.a.
1-4). Bei elektiven Eingriffen haben diese Stents nur bei solchen Stenosen
Vorteile, die ein besonders hohes Re-Stenosierungsrisiko haben (an
Aufzweigungen, besonders lang, besonders eng, bei Diabetikern).
Am 14. September 2006 sind im N. Engl. J. Med. zwei
Arbeiten erschienen, die beschichtete und unbeschichtete Stents zur Behandlung
des akuten Myokardinfarktes miteinander vergleichen.
In der ersten Untersuchung, (TYPHOON-Studie; 5)
wurden in 48 europäischen Zentren 712 Patienten mit akutem Myokardinfarkt (<
12 h) eingeschlossen und randomisiert, entweder mit einem Sirolimus-beschichteten
(Cypherâ) oder einem unbeschichtetem Stent nach freier Wahl
der Untersucher behandelt. Am Studiendesign muss kritisiert werden, dass die
klinischen Risiken in beiden Gruppen ungleich verteilt waren. So war z.B. das
mittlere Alter in der Kontroll-Gruppe mit den unbeschichteten Stents unerklärt
um zwei Jahre höher. Weiterhin ist problematisch, dass die verantwortlichen
Ärzte zu jedem Zeitpunkt der Studie die Gruppenzuordnung der Patienten kannten.
TYPHOON wurde von der Herstellerfirma (Cordis) unterstützt, mit der viele
Autoren vertraglich verbunden sind. (Im selben Heft des N. Engl. J. Med. findet
sich eine ganzseitige Werbung für den Sirolimus-beschichteten Stent der Firma
Cordis). Kombinierter Endpunkt der Untersuchung nach einem Jahr war: Tod oder
Myokardinfarkt durch Verschluss des behandelten Gefäßes oder erneute Revaskularisationsbehandlung
wegen Ischämie. Die erneute Ischämie wurde nicht klar definiert. Neben der
klinischen Symptomatik wurde auch ein positives Belastungs-EKG als Reischämie
gewertet oder eine Restenose von mehr als 70% (visuelle Beurteilung durch die
nicht geblindeten Kontrollangiografie-Untersucher). Der subjektive klinische
Eindruck der Untersucher spielt bei der Ischämiediagnose und Indikation zur
erneuten Revaskularisation also eine entscheidende Rolle.
Ergebnisse:
Der primäre Endpunkt wurde in der Gruppe, die mit Sirolimus-beschichteten
Stents behandelt worden war, signifikant seltener erreicht (7,3% vs. 14,3%; p =
0,004). Dieses Ergebnis kam ganz wesentlich dadurch zustande, dass
Revaskularisationen, der „weiche” Teil des Kombinationsendpunkts, seltener
waren (5,6% vs. 13,4%; p = 0,001). Die Häufigkeit von Reinfarkten (1,1% vs.
1,4%; p = 1,0), Todesfällen (2,3% vs. 2,2%; p = 1,0) oder Stent-Thrombosen
(3,4% vs. 3,6%; p = 1,0) war dagegen in beiden Gruppen gleich.
In der zweiten Untersuchung (PASSION-Studie; 6)
wurden 619 Patienten mit akutem Myokardinfarkt von drei holländischen Zentren
randomisiert, entweder mit einem Paclitaxel-beschichteten (Taxusâ) oder
mit einem definierten, unbeschichteten Kontroll-Stent behandelt. Spezielle
Beziehungen der Zentren zur Herstellerfirma (Boston) werden nicht genannt. Das
Studiendesign gewährleistete, dass - anders als in der TYPHOON Studie - alle
weiterbehandelnden Ärzte für den implantierten Stent geblindet waren. Eine
Kontrollangiografie war ebenso wie eine routinemässige Ergometrie nicht
vorgesehen, sodass eine Reangiografie nur bei erneuten Beschwerden durchgeführt
wurde. Dieses Vorgehen schlägt sich auch im Studienergebnis nieder.
Ergebnisse:
Auch hier wurde der kombinierte Endpunkt (kardialer Tod, Rezidivinfarkt oder
Revaskularisation des primär behandelten Gefäßes) nach einem Jahr tendenziell
seltener in der Gruppe erreicht, die mit dem beschichteten Stent behandelt
worden war. Die Unterschiede waren aber an keiner Stelle signifikant: Tod oder
Infarkt 5,5% vs. 7,2%; p = 0,40, Revaskularisation 5,3% vs. 7,8%; p = 0,23. Die
Stent-Thrombosen waren gleich häufig.
Nur der Sirolimus-beschichtete Stent (TYPHOON-Studie)
war also - den Zahlen nach - dem nicht-beschichteten Stent überlegen, nicht
aber der mit Paclitaxel-beschichtete Stent (PASSION-Studie). Die Unterschiede
dürften aber im Studiendesign begründet sein; insbesondere das Vorgehen in der
TYPHOON-Studie begünstigt das dort gewählte Produkt.
Auch das Editorial im gleichen Heft (7) macht darauf
aufmerksam, dass sich die Ergebnisse vor allem dadurch unterscheiden, dass in
der TYPHOON-Studie Patienten mit nicht-beschichtetem Stent in der Folgezeit
häufiger wegen erneuter Ischämie revaskularisierend behandelt wurden als in der
PASSION-Studie. Die nicht-beschichteten Stents müssten sich also unterscheiden
oder die Indikation zur Revaskularisation wurde in beiden Studien
unterschiedlich gestellt. Der Wirksamkeitsnachweis der beschichteten Stents
steht und fällt aber mit der Häufigkeit der Rezidiv-Revaskularisationen, die
sie ja vermindern sollen. Die Indikation zur Re-Intervention ist aber oft
weich, d.h. subjektiv und anderweitig beeinflussbar. Dieses grundsätzliche
Problem wird im Editorial erstaunlicher Weise nicht deutlich angesprochen. Die
Häufigkeit der „harten” Endpunkte Tod und Myokardinfarkt wurde in beiden
Studien durch die beschichteten Stents nicht signifikant gesenkt.
Zusätzliche Unruhe über die Effektivität und
Sicherheit der beschichteten Stents entstand während des diesjährigen
Kongresses der European Society of Cardiology vom 2. bis 6. September in
Barcelona. Dort wurden zwei Metaanalysen und eine Studie zu beschichteten
Stents vorgestellt und seitdem nicht nur in der Fachpresse vielfach diskutiert
(z.B. Analysten des „Morningstar”, Dow Jones & Company Inc. und FAZ vom
13.9.2006). Die Metaanalysen zeigen, dass bei längerer, zum Teil mehrjähriger
Nachbeobachtung Tod und Myokardinfarkt bei Verwendung eines beschichteten
Stents signifikant häufiger sind. Auch in der Studie von A. Nordman (BASKET = BAsel
Stent Kosten Effektivitäts Trial, Late Thrombotic
events) gab es nach einem Jahr mehr Todesfälle bei Patienten, bei denen nach
sechs Monaten Clopidogrel weggelassen wurde. Es wird daher neuerdings zu einer
sehr zurückhaltenden Indikation für beschichtete Stents geraten. Die Daten
werden sicher bald in einem Peer-Review-Journal veröffentlicht und dann genauer
kommentiert werden können. Der Stent-Markt ist trotz stark gefallener Preise
(unbeschichtet etwa 200 EUR, beschichtet etwa 900 EUR) sehr lukrativ. Jede
Erfolgsmeldung muss misstrauisch gesehen werden, skeptische Analyse der Evidenz
ist dringend erforderlich. Angeblich „bessere” Stents sind in der Pipeline, die
auch verkauft werden wollen!
Fazit: Die
beiden aktuellen Studien im N. Engl. J. Med. zeigen also weder, dass
beschichtete Stents bei allen Infarktpatienten implantiert werden müssen, noch
dass der Sirolimus-beschichtete (Cypher®) dem
Paclitaxel-beschichteten Stent (Taxus®) überlegen ist. Größere
Untersuchungen, in denen „harte” Endpunkte verglichen werden, müssen zeigen, ob
es bei Infarktpatienten besondere Hochrisikokonstellationen gibt (z.B. lange,
enge Koronarstenosen, Abgangsstenosen, Stenosen bei Diabetikern), bei denen es
sich medizinisch und wirtschaftlich lohnt, routinemäßig beschichtete Stents zu
verwenden.
Literatur
-
AMB 2003, 37, 37.
-
AMB 2003, 37, 86b.
-
AMB 2004, 38, 85a.
-
AMB 2005, 39, 27.
-
Spaulding, C., et al.
(TYPHOON = Trial to assess the use of the Cypher stent in acute myocardial infarction
treated with balloon angioplasty): N. Engl. J. Med. 2006, 335, 1093.

-
Laarman, G.J., et al. (PASSION = Paclitaxel-eluting stent versus
conventional stent in myocardial infarction with ST-segment elevation): N.
Engl. J. Med. 2006, 335 , 1105.

-
Van de Werf, F.: N. Engl. J. Med.
2006, 335, 1169.

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