Wir haben in der Vergangenheit über die Versuche, den
akuten Myokardinfarkt mit einer intrakoronaren „Stammzell-Infusion” zu
behandeln, kritisch und skeptisch berichtet (1). Die wissenschaftlichen
Grundlagen sind mager, die Therapie ist sehr aufwändig und für die Patienten
belastend. Erstaunlicherweise hat sich offensichtlich die Forschungsrichtung
trotzdem (vorläufig?) durchgesetzt. Im N. Engl. J. Med. vom 21. September
erschienen zu diesem Thema gleich drei Originalarbeiten und ein Editorial.
In der ASTAMI-Studie aus Oslo (2) wurden 100
Patienten mit interventionell behandeltem Vorderwandinfarkt randomisiert
entweder während einer Angiografie mit zuvor entnommenen mononukleären
Knochenmarkzellen intrakoronar infundiert (Verum) oder es wurden keine Zellen
entnommen und die Koronarangiografie ohne Infusion mononukleärer Zellen durchgeführt
(Kontrolle). Sowohl drei Wochen als auch sechs Monate später wurde als Maß für
die Kontraktilität und Funktionsfähigkeit des Herzens neben anderen Parametern
die Ejektionsfraktion und das enddiastolische Volumen mit den Ausgangswerten
verglichen. Die Parameter besserten sich - wie immer - in der Phase nach akutem
Myokardinfarkt, aber in beiden Gruppen nicht signifikant unterschiedlich: Die
Differenz der Ejektionsfraktionen war 0,6% (95%-Konfidenzintervall = CI =
-3,4-4,6; p = 0,77) und die Differenz der enddiastolischen Volumina -7,0 ml (CI
= -18,0-4,0; p = 0,21).
In die multizentrische, randomisierte,
deutsch-schweizerische REPAIR-AMI-Studie (3) wurden 204 Patienten
eingeschlossen. Allen wurde postinfarziell 50 ml Knochenmark entnommen. 101
Patienten erhielten diese Zellen intrakoronar reinfundiert, 98 Patienten wurden
ohne Reinfusion angiografiert. 92 Patienten in der Kontroll-Gruppe und 95 in
der Verum-Gruppe wurden nach vier Monaten reangiografiert. Die Ejektionfraktion
nahm in der Verum-Gruppe signifikant deutlicher zu als in der Kontroll-Gruppe
(5,5% ± 7,3% vs.3,0% ± 6,5%; p = 0,01). Das enddiastolische Volumen besserte
sich allerdings nicht unterschiedlich. Der Effekt war nur bei Patienten mit
größerem Infarkt nachweisbar.
Dieselbe Gruppe untersuchte auch den Effekt der
intrakoronaren Infusion eines Gemisches mononukleärer Zellen (mit einigen
wenigen Stammzellen) aus dem peripheren Blut (CPC) oder aus dem Knochenmark
(BMC) auf die linksventrikuläre Funktion bei 75 Patienten mit abgeheiltem
Myokardinfarkt in einer randomisierten Cross-over-Studie (4). In der BMC-Gruppe
hatte die Ejektionsfraktion drei Monate später signifikant zugenommen, in der
CPC-Gruppe leicht abgenommen (+2,9% ± 3,6% vs. -0,4% ± 2,2%). Das
enddiastolische Volumen blieb unverändert.
Die beschriebenen Effekte sind gering, aber zum Teil
signifikant. Ob sie allerdings relevant sind, d.h. ob sie den Krankheitsverlauf
günstig beeinflussen und Herzinsuffizienz und Tod seltener sind, wurde nicht
nachgewiesen. Dazu waren die Studien nicht angelegt. So bleibt der klinische
Wert der Methode immer noch völlig unklar. In einem Editorial schreibt daher A.
Rosenzweig (5): „Es ist (nur) sinnvoll, Patienten mit schlechter Prognose zu
untersuchen” und „Die Patienten sollten nur in kontrollierten randomisierten
Studien behandelt werden und darüber aufgeklärt sein, dass weder die Wirksamkeit
noch die Langzeitrisiken dieser Therapie bekannt sind. Zukünftige Studien
sollten auf klinische Endpunkte angelegt sein. Die Patienten müssen über lange
Zeit bezüglich positiver und negativer Effekte der Therapie nachverfolgt
werden”.
Ethikkommissionen, die verantwortlichen
Wissenschaftler und die behandelnden Ärzte müssen darauf achten, dass diese
Richtlinien strikt eingehalten werden. Sonst wird das Vertrauen der Patienten
missbraucht und Geld, das für Forschung und Krankenversorgung zur Verfügung steht,
verschwendet. Ohne Skepsis und Kritik der medizinischen Öffentlichkeit an
aktuellen Forschungsrichtungen besteht die Gefahr, dass sich immer wieder
technisch aufwändige und teure Methoden durchsetzen, für die es weder ausreichende
Wirksamkeitsnachweise noch finanzielle Mittel gibt. Wie sagt Ovid? Principiis
obsta!
Fazit: Die
intrakoronare Infusion von mononukleären Zellen (mit einigen Stammzellen) als
Therapie beim akuten Myokardinfarkt hat sich als Forschungsrichtung etabliert.
Drei Studien, die im September im N. Engl. J. Med. erschienen sind, vermitteln
aber kein klares Bild zur Wirksamkeit dieses Therapieansatzes auf die
Kontraktilität des Herzens, geschweige denn auf allein entscheidende klinische
Endpunkte wie Herzinsuffizienz und Tod. Daher sollte diese teure und belastende
Methode nur in streng kontrollierten klinischen Studien mit weit reichender
Aufklärung der Patienten über diesen experimentellen Therapieansatz weiter
evaluiert werden.
Literatur
-
AMB 2001,35, 79b
und 2006, 40, 21a.
-
Lunde, K., et al. (ASTAMI
= Autologous Stem-Cell Transplantation in Acute Myocardial
Infarction): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 1199 .
-
Schächinger, V., et al.
(REPAIR-AMI = Reinfusion of Enriched Progenitor
cells And Infarct Remodelling in Acute Myocardial
Infarction): N. Engl. J.
Med. 2006, 355, 1210 .
-
Assmus, B., et al.
(TOPCARE-CHD = Transplantation Of Progenitor Cells And
REcovery of left ventricular function in patients with Chronic
ischemic Heart Disease): N. Engl. J. Med. 2006, 355, 1222 .
-
Rosenzweig, A.: N. Engl. J. Med.
2006, 355, 1274 .
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