Am 15. März 2006 wurde von der Europäischen
Kommission eine Konsultationsphase zur Pharmakovigilanz in der Europäischen
Union (EU) eröffnet, wie sie zurzeit durch die Richtlinie 2004/27/EG und Verordnung
Nr. 726/2004/EG festgelegt ist (1, 2), um Kritik und Anregungen zu sammeln. Dazu
erschien in der englischen Ausgabe (Prescrire International) unserer französischen
Schwesterzeitschrift La revue Prescrire kürzlich eine detaillierte
Stellungnahme (3), deren Inhalte wir unterstützen und deshalb im Folgenden kurz
wiedergeben wollen.
Ziel der Richtlinie 2004/24/EG war es, die
Pharmakovigilanz, die Marktüberwachung und die Sanktionen bei Nichteinhalten
der Bestimmungen zu verstärken (1). Im Bereich der Pharmakovigilanz sollten die
Möglichkeiten der neuen Informationstechnologien für eine Verbesserung des
Austauschs zwischen den Mitgliedsstaaten genutzt werden. Auf die Gründe,
weshalb es notwendig ist, Arzneimittelrisiken besser als in der Vergangenheit
zu analysieren und abzuwehren, sind wir wiederholt ausführlich eingegangen,
zuletzt anlässlich der Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz und
Arzneimittelsicherheit (4) und der 12. Novelle zur Änderung des
Arzneimittelgesetzes (5-7). Auch die Arzneimittelkommission der deutschen
Ärzteschaft (AkdÄ) hat sich intensiv mit diesem Thema in einem Sonderheft der
Arzneiverordnung in der Praxis (AVP) beschäftigt (8).
Schwerpunkte der Stellungnahme von Prescrire International
sind die Verbesserung der Transparenz, Probleme resultierend aus zu großer Nähe
zwischen Zulassungsbehörde(n) und pharmazeutischen Firmen und öffentlich
geförderte Studien zur Pharmakovigilanz. Zentrale Aufgabe der Europäischen
Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) sei es, über Fragen zur
Arzneimittelsicherheit zu informieren, der sie jedoch nur unzureichend
nachkomme. Gründe für Zulassungsänderungen aufgrund von Sicherheitsrisiken sollten
erklärt und wesentliche Änderungen in den Fachinformationen („Summary of
product characteristics, SPC”) markiert werden. Daten der „Periodic Safety
Update Reports (PSUR)”, welche pharmazeutische Firmen zu definierten
Zeitpunkten erstellen müssen, sollten öffentlich zugänglich gemacht und Nutzen/Risiko-Analysen
bewertet werden. Informationen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW)
müssen in der Datenbank EudraVigilance gesammelt (2) und den
Mitgliedsstaaten ebenso wie der Öffentlichkeit ohne Verzug zugänglich gemacht
werden (1). Die
Autoren fordern uneingeschränkten Zugang zu allen UAW, die im Rahmen des Spontanmeldesystems
gemeldet wurden, was in einigen Ländern (z.B. Niederlande, Großbritannien,
nicht jedoch in Deutschland) bereits praktiziert werde.
Es sei unklar, wie die EMEA die enorme Anzahl von
Daten zur Pharmakovigilanz, die sie von pharmazeutischen Unternehmen und den
nationalen Behörden erhalte (im Jahre 2005 144786 neue Berichte in
EudraVigilance), analysiere. Die EMEA solle regelmäßig Übersichten zu den eingehenden
Meldungen veröffentlichen, da Patienten und Ärzte derzeit keinen Zugang zu
diesen Berichten haben.
Verkaufszahlen von Arzneimitteln dürften nicht länger
von den pharmazeutischen Firmen geheim gehalten werden. Für Nutzen/Risiko-Analysen
sei es notwendig, den Bevölkerungsanteil zu kennen, der dem Risiko einer UAW
ausgesetzt ist.
Die Aufgaben und Funktionen von Zulassungsbehörden
und pharmazeutischer Industrie müssten klar getrennt werden. Pharmazeutische
Unternehmen sollten von Entscheidungen zur Arzneimittelsicherheit ausgeschlossen
und ihr Einfluss auf Leitlinien zur Pharmakovigilanz verhindert werden. Pharmakovigilanz
müsse durch öffentliche Mittel unabhängig von Geldern pharmazeutischer
Unternehmen finanziert werden. Die 2005 veröffentlichten Gutachten des
Sachverständigenrats und des Gesundheitsausschusses im britischen Unterhaus zur
Beeinflussung der Arzneimitteltherapie durch die pharmazeutische Industrie
verdeutlichen, wie berechtigt diese Forderungen sind (9).
Öffentliche Mittel seien auch erforderlich, um
UAW-Berichte von Ärzten und Patienten zu sammeln, zu analysieren und unabhängig
über Arzneimittelrisiken zu informieren. So sollten „Dear Doctor letters” bzw.
„Rote-Hand-Briefe” von den Zulassungsbehörden und nicht von pharmazeutischen
Unternehmen verschickt werden, um getarnte Werbung zu verhindern.
Studien zur Sicherheit von Arzneimitteln nach
Zulassung („postmarketing surveillance studies”) würden von den
pharmazeutischen Unternehmen häufig bei der Zulassung verlangt, meistens jedoch
nicht in dem vereinbarten Zeitrahmen abgeschlossen (10). Komme das pharmazeutische
Unternehmen diesen Zulassungsauflagen in Zukunft nicht nach, solle das
entsprechende Produkt sofort vom Markt genommen und eine Strafe entsprechend
den Verkaufszahlen verhängt werden. Auch müssten bei Hinweisen auf ernste Sicherheitsprobleme
frühzeitig unabhängige, öffentlich finanzierte Studien durchgeführt werden.
Die Autoren dieser Stellungnahme in Prescrire International
betonen, ebenso wie die Berliner Deklaration zur Pharmakovigilanz, dass eine fokussierte
Überwachung bestimmter Arzneimittel, die von der europäischen Gesetzgebung
nicht verlangt wird, sinnvoll ist. Sie wird z.B. in Großbritannien praktiziert,
wo neue Arzneimittel und Impfstoffe mit einem schwarzen Dreieck gekennzeichnet
werden. Die EMEA solle zu diesem Zweck Listen relevanter Arzneimittel zusammenstellen.
Schließlich sei es notwendig, den Bereich der
Pharmakovigilanz aus dem wissenschaftlichen Komitee der EMEA (Committee for
Medicinal Products for Human Use, CHMP) auszugliedern und ein Europäisches Pharmakovigilanz-Komitee
zu gründen, das für die EMEA verbindliche Entscheidungen hinsichtlich
Zulassungsänderungen oder Marktrücknahmen von Arzneimitteln fälle. Eine
ähnliche Forderung wurde von AkdÄ und Bundesärztekammer anlässlich des Gesetzes
zur Errichtung einer Deutschen Arzneimittelagentur erhoben.
Fazit: Öffentliche
Gesundheitsinteressen werden derzeit durch die europäischen
Rahmenbedingungen zur Pharmakovigilanz nicht angemessen berücksichtigt.
Grundsätzlich eröffnen die 2004 verabschiedeten Richtlinien und Verordnungen
zur Pharmakovigilanz im Arzneimittelrecht der EU die Möglichkeit, die Arzneimittelsicherheit
in Europa zu verbessern. Diese Vorgaben müssten jedoch ohne Abstriche und ohne weitere
Verzögerung umgesetzt werden. Darüber hinaus sind verbesserte Regelungen zur
Patientensicherheit und Datentransparenz notwendig.
Literatur
-
Cox, P., und Roche, D.:
Directive 2004/27/EC of the European parliament and of the council of 31 march
2004 amending directive 2001/83/EC on the community code relating to medicinal
products for human use. 2004.
-
Cox, P., und Roche, D.:
Regulation (EC) No 726/2004 of the European parliament and of the council of 31
march 2004 laying down community procedures for the authorisation and
supervision of medicinal products for human and veterinary use and establishing
a european medicines agency. 2004.
-
Anonym: Prescrire International
2006, 15, 149.
-
ISDB EU: Berliner Deklaration zur
Pharmakovigilanz. Wie sich die Sicherheit von Arzneimitteln verbessern lässt. 2005.
-
AMB 2003, 37, 95b.
-
AMB 2004, 38, 81.
-
AMB 2005, 39, 15a.
-
Arzneiverordnung in der Praxis:
Band 32, Sonderheft 1, April 2005.
-
AMB 2005, 39,
65.
- Ray, W.A., und Stein,
C.M.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 194 .
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