Eine lesenswerte Arbeit in der Rubrik „Clinician
Update” über die hepatotoxischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) am
Beispiel von Antikoagulanzien ist jüngst in der Zeitschrift Circulation
erschienen (1). Fast zeitgleich publizierten das N. Engl. J. Med. und die
Zeitschrift Hepatology zwei weitere Arbeiten zu diesem wichtigen Thema (2, 3).
Sie sind die Grundlage dieser kleinen Übersicht.
Hepatotoxische Arzneimittelwirkungen (Drug-induced
liver injury = DILI mit biochemischen bzw. Drug-induced liver disease = DILD
mit pathologischen Veränderungen und gestörter Leberfunktion) gelten -
zumindest in den USA - als häufigste Ursache für akutes Leberversagen. Das
bekannteste und häufigste Medikament für diese UAW ist Paracetamol. Andere in
diesem Zusammenhang wichtige Substanzen sind Tuberkulostatika, Antibiotika und
Antikonvulsiva. Prinzipiell hat aber die Mehrzahl unserer Medikamente, einschließlich
naturheilkundlicher Mittel (z.B. Kava Kava; 4), ein leberschädigendes
Potenzial. Deshalb findet sich auch auf nahezu jedem Beipackzettel der Hinweis
auf einen möglichen Anstieg der Transaminasen.
Hepatotoxische UAW sind darüber hinaus auch der
häufigste Grund für die Rücknahme eines bereits zugelassenen Medikaments durch
die FDA. Das jüngste Beispiel ist das Antikoagulanz Ximelagatran, ein direkter
Thrombininhibitor, der wegen hepatotoxischer UAW vom Hersteller AstraZeneca
wieder vom Markt genommen werden musste (5, 6).
Weil fatale hepatotoxische UAW mit einer Häufigkeit
von 1:10000 bis 1:100000 relativ selten auftreten, bleiben sie in den
Zulassungsstudien meist unentdeckt. Schwere Leberfunktionsstörungen fallen
meist erst bei breiter Anwendung auf, vorausgesetzt, das
Pharmakovigilanz-System funktioniert. Ein weiteres Beispiel hierfür ist das in
den 90er Jahren zugelassene orale Antidiabetikum Troglitazon, das im Jahre 2000
nach 94 Fällen von akutem Leberversagen wieder vom Markt genommen werden musste
(7-9).
Leberschädigungen durch Arzneimittel zu entdecken,
ist einfach, wenn die behandelnden Ärzte nur daran denken und die Laborwerte
des Patienten kontrollieren. Mit den Enzymen ALT (SGPT) und AP (alkalische
Phosphatase) sowie dem Gesamt-Bilirubin stehen sensible Indikatoren für eine
Leberzellschädigung zur Verfügung. Fehlen andere plausible Ursachen, sollte ein
Transaminasenanstieg über den dreifachen Normwert als Hinweis auf eine
medikamenteninduzierte Leberzellschädigung gewertet werden. Dabei kommt dem
Quotienten von ALT zu AP besondere Bedeutung zu; er wird als R-Quotient
bezeichnet. In einer Konsensuskonferenz wurden 1989 drei Schädigungsmuster
definiert (7): 1. Wenn hauptsächlich die ALT ansteigt oder der R-Quotient über
5 beträgt, handelt es sich um eine vorwiegend hepatozelluläre Schädigung.
2. Wenn vorwiegend die AP ansteigt oder der R-Quotient ≤ 2 ist, liegt
eine überwiegend cholestatische Schädigung vor. 3. Wenn beide
Leberenzyme etwa gleich betroffen sind (2 < R < 5), handelt es sich um
eine gemischte Schädigung. Häufig auslösende Medikamente und deren
typisches Schädigungsmuster sind in Tab. 1 wiedergegeben.
Prinzipiell ist aber nicht jeder signifikante
Transaminasenanstieg gleichbedeutend mit einer Einschränkung der Leberfunktion.
Diese wird dann erkennbar, wenn sich Syntheseparameter der Leber verändern, wie
z.B. das Albumin oder die Gerinnungsfaktoren (Quick-Wert bzw. INR) oder wenn
das Gesamt-Bilirubin über den zweifachen Normwert ansteigt. Letzteres ist ein
deutlicher Hinweis auf eine eingeschränkte Leberfunktion und daher als äußerst
bedrohlich anzusehen. Bei Weiterverordnung des auslösenden Medikaments kann
dies in 10-15% zum Leberversagen und zum Tod führen. Dieser Zusammenhang wurde
erstmals 1978 von Hyman Zimmermann erkannt und wird seither auch als „Hy’s Law”
bezeichnet.
Der genaue Mechanismus der Leberzellschädigung durch
ein Medikament bleibt oft unklar und ist wahrscheinlich auch für viele
Substanzen unterschiedlich und multifaktoriell. So binden manche Medikamente an
hepatozelluläre Membranen und werden dort mit samt der Zelle zum Ziel der
Immunabwehr. Andere hemmen den intrazellulären Stoffwechsel oder Membranpumpen
mit dem Resultat von Intoxikationen oder schwer gestörtem Gallefluss. Wiederum
andere initiieren über Mediatoren einen programmierten Zelltod (Apoptose).
Entsprechend der unterschiedlichen Schädigungsmuster lassen sich in einer
Leberbiopsie ganz unterschiedliche Befunde erheben. So können sich Zeichen
einer intrazellulären Verfettung finden oder eine Inflammation mit
Zellschwellung und Nekrosen oder Granulome oder mit Galle überladene
Hepatozyten mit Schwellung oder eosinophile Infiltrate. Bei leichten und
mittelschweren hepatotoxischen Schädigungen ist die Leberbiopsie meist nur
hinsichtlich der Abgrenzung zu anderen Lebererkrankungen hilfreich. Aber auch
dies ist nur im Zusammenhang mit den klinischen, anamnestischen und
laborchemischen Befunden möglich. Für sich alleine hat die histologische
Beurteilung der Leberbiopsie bei dieser Fragestellung meist keine Aussagekraft.
Liegt der Verdacht auf eine schwere, durch Medikamente induzierte
Leberschädigung vor, wird in der Regel immer eine Leberbiopsie durchgeführt, um
Entscheidungen hinsichtlich einer Lebertransplantation oder eines
Therapieversuchs mit hochdosierten Kortikosteroiden zu erleichtern.
Bei manchen Medikamenten ist die hepatozelluläre
Schädigung vorauszusehen und dosisabhängig (Paracetamol, Tuberkulostatika), bei
anderen wiederum dosisunabhängig und auch nicht im offensichtlichen zeitlichen
Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme. Frauen sind häufiger betroffen als
Männer und Ältere häufiger als Junge. Weitere Risikofaktoren für DILI sind
Polypharmakotherapie, Immunerkrankungen (HIV, SLE), vorbestehende Lebererkrankungen,
Unterernährung und nicht-alkoholische Fettleberhepatitis. Insgesamt besteht
aber eine große interindividuelle Variabilität, die u.a. auch durch eine
unterschiedliche genetische Disposition bedingt ist. In den USA existiert seit
2003 ein Netzwerk zur genaueren Charakterisierung der betroffenen Patienten und
zur Erforschung dieser seltenen aber bedrohlichen Erkrankung (10). Häufig ist
die Kausalitätsbeurteilung hepatotoxischer Reaktionen erschwert durch das
Fehlen von Ausgangsbefunden wie z.B. Laborwerten, mangelhafte Information über
Komorbiditäten und deren pharmakologische Therapie (11). Anerkannte Kriterien
für die Beurteilung der Kausalität (zeitlicher Zusammenhang zwischen Verabreichung
des Arzneimittels und Auftreten der UAW, Wahrscheinlichkeit anderer Gründe,
pharmakologische Plausibilität) sollten beachtet und Bewertungsskalen, wie z.B.
von CIOMS (Council for International Organization of Medical Sciences),
herangezogen werden (12, 13).
Für das Erkennen und die Prävention der durch
Medikamente induzierten Hepatotoxizität ist es wichtig, klinische Symptome
nicht zu ignorieren, rechtzeitig entsprechende Laborwerte zu kontrollieren,
eine gründliche (Arzneimittel-)Anamnese zu erheben und gegebenenfalls das als
Ursache vermutete Medikament abzusetzen (2). Der Transaminasenanstieg wird
meist in den ersten Wochen der Behandlung auffällig, kann aber auch zu jedem
späteren Zeitpunkt auftreten. Die klinischen Symptome sind unspezifisch:
Appetitlosigkeit, Übelkeit, Müdigkeit und Oberbauchbeschwerden. Eine virale
Hepatitis und eine mechanische Cholestase (mittels Sonografie, MRI bzw. ERC) müssen
unbedingt ausgeschlossen werden. Weiterhin ist differenzialdiagnostisch an eine
alkoholtoxische Schädigung (AST/ALT ≥ 2), eine Autoimmunhepatitis (ANA,
SM-AK, Gamma-Globulin-Erhöhung) und eine schwere Herzinsuffizienz zu denken.
Auch genetische Lebererkrankungen, wie Hämochromatose,
Alpha1-Antitrypsin-Mangel und Morbus Wilson, sollten ausgeschlossen sein.
In der Regel normalisieren sich die Laborwerte
innerhalb von zwei Wochen nach Absetzen der ursächlichen Medikation oder auch
spontan trotz Weiterführung der Medikation. Zuwarten mit Kontrollen kann also
bei erhöhten Transaminasen zunächst angezeigt sein, solange kein Hinweis auf
eine bedeutsame Leberfunktionsstörung (Abfall von Gerinnungsfaktoren, Albumin
oder kritischer Bilirubinanstieg) besteht. Steigen die Transaminasen im
weiteren Verlauf weiter deutlich an, oder entwickeln sich klinische Zeichen
einer schweren Leberschädigung (Ikterus, Enzephalopathie), müssen alle verdächtigen
Medikamente sofort abgesetzt oder ersetzt werden. Ein intensives Monitoring der
Laborwerte ist daher obligat. Steroide können im Einzelfall versucht werden,
wenn Indizien für eine Hypersensitivitätsreaktion bestehen, ansonsten ist diese
Maßnahme aber wirkungslos. Bei schwerer Hepatotoxizität sollte rechtzeitig ein
Hepatologe konsultiert werden.
Angeregt durch die UAW von Ximelagatran, widmet sich
die Zeitschrift Circulation exemplarisch den Antikoagulanzien (1). Durch die
ständig wachsende Zahl der Patienten mit Dauerantikoagulation häufen sich in
den letzten Jahren die Berichte über schwere Leberschädigungen unter dieser
Therapie. Dabei lassen sich signifikante Leberzellschädigungen bei allen Arten
von Antikoagulanzien nachweisen: Warfarin (Coumadin®) führt bei etwa
0,8%-1,2% der Patienten zu einer Transaminasenerhöhung um mehr als das
Dreifache der Norm. Phenprocumon (Marcumar®) führt nach einem
deutschen Register (4390 Patienten) bei 2% zu einer laborchemischen
Hepatopathie und bei 0,2% zu einem Leberversagen (14). Ximelagatran induziert
bei 7,9% der Patienten einen dreifachen Transaminasenanstieg, bei 1,2% eine
klinisch manifeste Hepatitis und bei 0,05% ein tödliches Leberversagen. Auch
unfraktioniertes Heparin und niedermolekulare Heparine induzieren bei
Dauertherapie erstaunlich häufig (5% bzw. 4,3%-13%) einen signifikanten
Transaminasenanstieg, insbesondere in höheren Dosen. Ähnliche Häufigkeiten
werden auch für die Hirudine beschrieben.
Derzeit gibt es keine Empfehlungen, ob und wie oft
bei einer Antikoagulanzientherapie die Transaminasen kontrolliert werden
sollen. Trotzdem sollte dies geschehen, insbesondere bei Patienten mit
vorbestehender Lebererkrankung, zumal der Aufwand gering ist und die Patienten
ja meist ohnehin zur Gerinnungskontrolle in die Praxis kommen.
Literatur
-
Aurora, N., et al.:
Circulation 2006, 113, e698 .
-
Navarro, V.J., und
Senior, J.R.: N. Engl. J. Med. 2006, 354, 731 .
-
Watkins, P.B., und Seeff,
L.B.: Hepatology 2006, 43, 618 .
-
AMB 2001, 35, 38b
und 2002, 36, 7a.
-
http://www.exanta.com/content3683.htm

-
AMB 2006, 40, 24a.
-
Benichou, C.: J. Hepatol.
1990, 11, 272 .
-
AMB 1999, 33, 47b.
-
AMB 2002, 36, 17.
- http://dilin.dcri.duke.edu

- Müller-Oerlinghausen, B.: Dtsch. Ärztebl. 2006, 103,
A2309.
- Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:
Pharmakovigilanz. AVP 2005, 32, Sonderheft 1.
- Danan, G., und Benichou, C.: J.
Clin. Epidemiol. 1993, 46,
1323 .
- Schimanski, C.C., et al.:
J. Hepatol. 2004, 41,
67 .
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