Zusammenfassung: Nach Implantation eines mit
Medikamenten beschichteten Stents (sog. Drug-eluting Stent = DES) müssen
Azetylsalizylsäure (ASS) und ADP-Blocker (meist Clopidogrel) und bei einigen
Patienten mit hohem systemischem thromboembolischem Risiko zusätzlich orale Antikoagulanzien
gegeben werden. Dauer und Intensität der Prophylaxe hängt dabei vom Risiko einer
Stent-Thrombose und/oder einer systemischen Thromboembolie ab. Mit einer
längeren antithrombotischen Kombinationstherapie steigt aber auch das Risiko
für Blutungskomplikationen. Klinisch relevante Blutungen kommen bei bis zu 9%
der Patienten vor, wenn eine Prophylaxe mit drei Medikamenten empfohlen werden
muss. Österreichische Kardiologen und Hämostaseologen haben Vorschläge
erarbeitet, um die therapeutischen Entscheidungen in verschiedenen klinischen
Situationen zu erleichtern. Diese Vorschläge sind eine wichtige Absicherung für
alle Ärzte, denn für viele klinische Situationen nach Stent-Implantation gibt
es weder ausreichende Studiendaten noch eindeutige Empfehlungen. Insgesamt
sollte aber wegen der sich abzeichnenden Notwendigkeit einer mehrjährigen doppelten
Hemmung der Thrombozytenfunktion die Indikation zu DES seltener gestellt werden.
DES haben die Kardiologie in den letzten zehn Jahren
erheblich verändert. Durch die Beschichtung der Stents mit Mitose-Hemmstoffen
(Everolimus, Sirolimus, Zotarolimus, Paclitaxel etc.) wird die Hyperplasie der
Neointima im Lumen der Stents gehemmt, und Restenosierungen sind seltener (vgl.
1-4). Während Restenosen bei konventionellen Stents (sog. Bare metal Stents =
BMS) immerhin bei über 30% der Patienten innerhalb von sechs Monaten beobachtet
wurden, liegt die Quote bei DES deutlich unter 10%. Klinisch haben Restenosen
allerdings nur einen Einfluss auf die Rezidivraten (Reinfarkt, Reintervention),
nicht aber auf das Langzeitüberleben.
Mit den wesentlich teureren DES glaubten Kardiologen,
die Problematik der Restenosen in den Griff zu bekommen. So haben sie sich in
den letzten Jahren an immer komplexere Gefäßläsionen gewagt und - insbesondere
in Europa - auch Patienten koronardilatiert und mit Stents versehen, die bis
dato eine Klasse-I-Indikation für die Bypass-Chirurgie hatten (Drei-Gefäß-KHK,
Hauptstamm-Stenosen). Im Rahmen von Mehrgefäß-Interventionen wurden bei einzelnen
Patienten sogar bis zu acht DES in einer Sitzung implantiert, so dass auf
Kongressen provokativ die Frage gestellt wurde, ob man künftig überhaupt noch
einen Herzchirurgen für die KHK benötigt.
Diese Euphorie ist in den vergangenen Monaten
deutlich gedämpft worden. Nach mehreren Berichten über mittelfristige
Sicherheitsprobleme mit den DES (u.a. späte Stent-Thrombosen) schlägt das
Pendel gerade wieder etwas zurück. DES werden zu Gunsten von BMS nun
zurückhaltender eingesetzt, und es wird wieder häufiger zur Bypass-Chirurgie
geraten. Vorausgegangen ist dieser Entwicklung ein beispielloses Marketing.
Wenn man den Vorträgen auf Fachkongressen traute, konnte man als „guter”
invasiver Kardiologe eigentlich nur noch DES implantieren. Kleinere Studien
zeigten nämlich bei nahezu allen Indikationen eine (kurzfristige) Überlegenheit
gegenüber BMS. Der Siegeszug der DES mündete in enormen Umsätzen für die beiden
Marktführer Boston Scientific sowie Johnson & Johnson und zur Neuordnung
des Marktes. Ein Stent-Produzent ohne DES im Sortiment war kaum noch
überlebensfähig. In vielen europäischen Ländern wurden die DES auf diese Weise
Marktführer: 2005 wurden in Österreich bei 16880 Patienten koronare Stents
implantiert, davon waren 66,5% DES (5). In der Schweiz liegt die DES-Quote bei
über 80%, in Deutschland wegen geringer Vergütung durch die Krankenkassen (und
wohl nur deshalb) zum Glück deutlich unter 50%.
Nach einer
Stent-Implantation ist die Gabe von ASS plus ADP-Blocker (meist Clopidogrel)
unabdingbar, sonst würde es durch den Fremdkörperreiz relativ rasch zu
Stent-Thrombosen und Myokardinfarkten kommen. Die Empfehlungen, wie lange
Clopidogrel und ASS nach der Implantation eingenommen werden soll, richten sich
nach der klinischen Situation zum Zeitpunkt der Implantation (Akutes
Koronarsyndrom: 9-12 Monate; elektiver Eingriff bei stabiler Angina pectoris:
3-4 Wochen) und nach der Art des verwendeten Stents: BMS 3-4 Wochen und DES 12
Monate (6).
Der Grund für die längere Gabe von Clopidogrel bei DES ist,
dass diese durch die Mitose-Hemmstoffe wesentlich länger zum „Einheilen”
benötigen und solange sie nicht vollständig endothelialisiert sind, ein
thrombogenes Risiko darstellen. In Einzelfällen ist die Endothelialisierung der
DES auch nach vier Jahren noch nicht abgeschlossen (7). Theoretisch geht von
dem Implantat also auch noch Jahre nach der Implantation ein thrombogenes
Risiko aus. Späte Stent-Thrombosen kommen bei den schneller endothelialisierten
BMS selten vor; bei DES beträgt die Häufigkeit nach neueren Daten ca. 0,5% pro
Jahr (8). Besonders hoch ist das Risiko für eine Stent-Thrombose kurz nach dem
Absetzen von Clopidogrel. Daher sollte der Zeitpunkt für die Beendigung der
doppelten Thrombozytenhemmung (ASS plus Clopidogrel) wohl überlegt sein, denn
eine Thrombose im DES führt häufig (> 40%) zu schweren Myokardinfarkten und
in 20% sogar zum Tod (9). Um solche katastrophalen späten Stent-Thrombosen
(vgl. 2) zu vermeiden, wird neuerdings, insbesondere nach Implantation mehrerer
DES oder bei einer Hauptstamm-Intervention, eine 2-3-jährige oder gar
dauerhafte Therapie mit Clopidogrel und/oder eine Hochdosistherapie (150 mg
Clopidogrel/d) diskutiert.
Mit der Problematik der späten Stent-Thrombosen hat
sich mittlerweile auch die FDA sehr intensiv beschäftigt, und das N. Engl. J.
Med. hat sich in einer Schwerpunkt-Ausgabe mit sieben Artikeln (fünf
Orginalarbeiten und zwei Kommentare) des Themas angenommen (11-16). Das
Editorial hat den Titel: „DES – Promise and Uncertainty”.
Das Dilemma ist, dass alle in den vergangenen Jahren
propagierten Indikationen für DES „Off-label”-Anwendungen sind: Weder die
Implantation eines DES in eine komplexe Läsion, in eine Bifurkation, in einen
Hauptstamm, bei einer In-Stent-Restenose, bei einem Diabetiker, in einen Bypass
oder beim akuten Myokardinfarkt sind zugelassen. DES sind auf Grund von Studien
nur zugelassen für elektive Eingriffe an unkomplizierten De-novo-Läsionen, also
für Situationen, in denen man diese Stents eigentlich überhaupt nicht benötigt,
da sie kaum Vorteile gegenüber BMS haben. Nun verdichtet sich der Verdacht,
dass die Off-label-Verwendung der DES mit einem Sicherheitsproblem verbunden
ist. Dies resultiert in einem zweiten Dilemma. Denn auch die empfohlene
Langzeitbehandlung mit ASS plus Clopidogrel ist für die Indikation nach Stent-Implantation
nicht zugelassen. Hier bedingt die erste Off-label-Anwendung die nächste.
Diese Entwicklungen haben nicht nur sehr bedeutsame
ökonomische Folgen (mit Clopidogrel setzt Sanofi weltweit 4,7 Mrd. Dollar um;
es steht an zweiter Stelle der umsatzstärksten Medikamente), sondern sie
stellen die weiterbehandelnden Ärzte vor schwer lösbare Probleme.
So ist die längerfristige Gabe von ASS plus
Clopidogrel per se bereits mit einem deutlich erhöhten Blutungsrisiko
verbunden, das nur wenig unterhalb des Risikos einer Kombinationsbehandlung von
ASS plus oralen Antikoagulanzien liegt (vgl. Tab. 1). Wenn zusätzlich noch aus
anderen Gründen die Indikation zur Dauerantikoagulation besteht (z.B. nach
Lungenembolie, nach mechanischem Klappenersatz oder bei Vorhofflimmern), wird
sogar eine dreifache antithrombotische Prophylaxe notwendig, die ein jährliches
Blutungsrisiko von bis zu 9% hat.
Um diese Entscheidungen (außerhalb der zugelassenen
Indikation!) zu erleichtern, haben namhafte österreichische Kardiologen und
Hämostaseologen ein Konsensuspapier erarbeitet, in dem die zu erwartenden
Thrombose- den Blutungsraten aus der Literatur gegenübergestellt werden (10).
Mit Hilfe dieser Tabellen lässt sich eine klinisch brauchbare
Nutzen-Risiko-Berechnung durchführen. Aus Tab. 2 wird ersichtlich, wann und wie
lange eine antithrombotische Kombinationsprophylaxe erfolgen soll. Dabei wird
insbesondere hinsichtlich der Dauer einer solchen Kombinationsbehandlung auch
nach den verwendeten Stent-Typen unterschieden. Bestimmte DES erfordern nach
heutigem Kenntnisstand eine längere dreifache antithrombotische Prophylaxe als
andere, ebenso wie die Implantation mehrerer Stents bzw. komplexe Prozeduren.
So kann z.B. für den häufigen Fall des
Vorhofflimmerns aus Tab. 3 abgelesen werden, wie hoch das jährliche
Thromboembolierisiko bei diesen Patienten ist. Bei niedrigem Risiko (< 2
Punkte) kann nach koronarer Stent-Implantation für einen gewissen Zeitraum aus
Sicherheitsgründen auf die orale Antikoagulation verzichtet werden. Bei hohem
Embolierisiko kann dagegen nicht auf eine dreifache antithrombotische
Prophylaxe für einen definierten Zeitraum verzichtet werden (Tab. 2).
Generell ist jedoch zu empfehlen, bei diesen
Patienten möglichst keinen Stent zu verwenden, der eine dreifache
antithrombotische Prophylaxe notwendig macht. Die Wahl sollte daher bei bereits
chronisch antikoagulierten Patienten eher auf einen BMS fallen, so dass
Clopidogrel nach 3-6 Monaten wieder abgesetzt werden kann (vgl. Tab. 3).
Weitere Risikogruppen, bei denen eine besondere
Zurückhaltung für die Implantation eines DES und damit für eine längerfristige
doppelte Thrombozytenhemmung angezeigt ist, sind Patienten im höheren
Lebensalter, mit Niereninsuffizienz, mit Blutungsneigung (Lebererkrankungen)
oder mit einer Komedikation, die die Blutungsneigung erhöhen kann (z.B.
Amiodaron, Paroxetin, Ginkgo usw.).
Ein weiteres großes Problem nach Implantation eines DES und
der notwendigen längerfristigen Gabe von ASS plus Clopidogrel entsteht bei
operativen Eingriffen. Kardiologen werden nahezu täglich gefragt, wann
Clopidogrel endlich wieder abgesetzt werden kann, um eine Operation vornehmen
zu können. Prinzipiell sollte man sich wegen der beschriebenen Gefahr einer
Stent-Thrombose streng an die oben genannten Fristen halten, zumal jeder
operative Eingriff, besonders aber ein Gefäßeingriff, das Risiko für eine
Stent-Thrombose erhöht. Daher wird sich ein Kardiologe primär für eine
Operation unter laufender Prophylaxe mit ASS plus Clopidogrel aussprechen. Der
Chirurg aber wird je nach Operationstyp und Risikoprofil des Patienten nicht
unter dieser blutungsträchtigen Prophylaxe operieren wollen. Es muss also
gemeinsam die Operationstaktik und der sicherste Operationszeitpunkt für den
nicht-kardialen Eingriff festgelegt werden. Im Idealfall sollte der Kardiologe
bei absehbar notwendigen nicht-kardialen Operationen von vornherein Stents
wählen, die nur kurzfristig Clopidogrel notwendig machen (BMS). Alternativ
könnte - wenn medizinisch vertretbar - eine geplante nicht-kardiale Operation
weiter hinausgeschoben werden. Lässt sich bei einem Patienten mit Stent eine
nicht-kardiale Operation nicht aufschieben, sollten ASS plus Clopidogrel nur so
kurz wie erforderlich pausiert werden. Nach der Operation muss die
antithrombotische Prophylaxe sobald wie möglich wieder begonnen werden. Es ist
wichtig zu wissen, dass Heparine kein ausreichender Ersatz für die doppelte
Hemmung der Thrombozytenaggregation sind. Die vielerorts geübte Praxis,
perioperativ ein niedermolekulares Heparin zu geben, ist nicht adäquat wirksam
und gibt ein falsches Gefühl der Sicherheit.
Bei Patienten mit koronarem Stent ist eine Absprache der
beteiligten Operateure mit den Kardiologen und den Hausärzten besonders
wichtig. Ein „heimliches” Pausieren von Clopidogrel ist inakzeptabel und ein
Kunstfehler! Sehr hilfreich scheint uns die Ausstellung eines Stent-Passes, in
dem die Art des Stents, die Empfehlungen zur antithrombotischen Prophylaxe und
die Telefonnummer des Implantationszentrums notiert sind (vgl. 2).
Literatur
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