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Ein Vorbericht des IQWiG zur Hypertoniebehandlung: Vergleichende Nutzenbewertung verschiedener Antihypertensiva als Therapie der ersten Wahl

Etwa die Hälfte der Bevölkerung hat Hypertonie. Nur bei etwa der Hälfte der Betroffenen wird die Störung entdeckt, nur bei einem Drittel behandelt und nur bei einem Zehntel werden die Zielwerte des Blutdrucks erreicht (1). Daran hat sich in der letzten Zeit nichts wesentlich geändert. Das liegt nicht daran, dass zu wenig oder zu wenig wirksame Arzneimittel zur Verfügung stehen, sondern daran, dass sie zu selten und zu wenig effektiv angewendet werden. Medizinische Unterversorgung ist das herausragende epidemiologische Problem. Der Bericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), der jetzt in einem Vorbericht erschienen ist (2), soll nun klären, „mit welcher Wirkstoffgruppe eine Behandlung in der Regel begonnen werden sollte.”

Von insgesamt über tausend Studien zur antihypertensiven Therapie entsprachen nur sechzehn den strengen Auswahlkriterien des IQWiG: Die Studien mussten als Vergleich zweier Medikamente durchgeführt worden sein, die in Deutschland zugelassen sind und Wirkstoffe aus den Gruppen 1. ACE-Hemmer, 2. Angiotensin-II-Antagonisten, 3. Betablocker, 4. Diuretika oder 5. Kalziumantagonisten enthielten. Musste die initiale Monotherapie wegen unzureichender Wirkung intensiviert werden (sog. Eskalationstherapie), war nach einem für beide Untersuchungsgruppen gleichen Plan vorzugehen. Es durften u.a. keine Substanzen aus der in der Studie primär untersuchten Wirkstoffgruppe angewandt werden. Folgende Endpunkte wurden ausgewertet: Gesamtletalität, Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, terminale Niereninsuffizienz, Krankenhausaufenthalte, Lebensqualität, Therapiezufriedenheit und unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z.B. „Diabetes”-Manifestation und Änderung des Blutdrucks). Bei diesen besonderen Auswahlkriterien konnten viele große Studien nicht berücksichtigt werden (z.B. 3, 4). Die dreiarmige ALLHAT-Studie (5) gewinnt bei diesem Vorgehen ein sehr großes Gewicht.

Die o. g. fünf Wirkstoffgruppen können in maximal zehn „Paarungen” miteinander verglichen werden. Nur für die Paarungen Diuretika vs. AT-II-Antagonisten und ACE-Hemmer vs. AT-II-Antagonisten waren keine Studien ausfindig zu machen. In dem Bericht werden für alle interessierenden Endpunkte Wirkungsvergleiche berechnet und mit Konfidenzintervallen abgebildet. So können Überlegenheit, Unterlegenheit und Gleichstand – ähnlich wie im Sport – festgestellt, für die unterschiedlichen Endpunkte eine Rangliste erstellt und schließlich eine Gesamtbewertung abgeleitet werden.

Beim Vergleich der einzelnen Substanzen hinsichtlich des Endpunkts Gesamtletalität wurde statistisch kein signifikanter Unterschied gefunden. Diuretika sind aber die einzigen Substanzen, die im Vergleich mit anderen Wirkstoffgruppen nie unterlegen waren. Für die Endpunkte Herzinsuffizienz, Insult bzw. den kombinierten kardiovaskulären Endpunkt zeigte sich im Vergleich mit ACE-Hemmern ein signifikanter Vorteil, ebenso für Herzinsuffizienz im Vergleich mit Kalziumantagonisten.

Während der Hypertoniebehandlung mit Diuretika war die Manifestation eines „Diabetes” im Vergleich mit ACE-Hemmern bzw. Kalziumantagonisten häufiger. Im Fazit des IQWiG-Berichtes heißt es: „Diuretika stellen die Wirkstoffgruppe mit dem am besten belegten Nutzen für die Therapie der ersten Wahl bei Patienten mit Hypertonie dar.”

Der Text des IQWiG ist in sich schlüssig, verständlich und überzeugend – wenn man der speziellen Methodik der Substanzvergleiche folgt. Solche fundierten, unabhängigen Analysen mit dieser Evidenz sind wünschenswert. Sie waren bisher im deutschen Schrifttum nicht zu finden. Kritische Bemerkungen können den grundsätzlichen Gewinn, den dieser Bericht bringt, nicht in Frage stellen. Aber es handelt sich nur um einen Vorbericht. Diskussionen und Änderungen sind noch möglich. Vielleicht betreffen sie die folgenden Punkte:

Auswahl der Studien: Die Methodik des Berichts fordert gleiche Komponenten bei der Eskalationstherapie in jeweils beiden Vergleichsgruppen. Die bereits beim Vergleich eingesetzten Substanzen durften z.B. nicht Bestandteil der Eskalationstherapie der Vergleichsgruppe sein. Offenbar sind aber die Ergebnisse, die bei Einschluss von Studien mit weniger restriktiven Anforderungen an die Eskalationstherapie (z.B. 3, 4), im Prinzip ähnlich, wie die Analysen der NICE-Guideline aus dem vorigen Jahr zeigen (6). NICE hatte mehr Studien eingeschlossen.

Korrektur für Blutdruckunterschiede unter der Therapie: Es wäre gut, wenn bei der Beurteilung der Ergebnisse auch berücksichtigt würde, dass die Blutdrucksenkung in den verglichenen Behandlungsgruppen häufig nicht identisch war. Wir haben im AMB bei Besprechung der Hypertonie-Studien immer wieder darauf hingewiesen, dass nicht die Art des Antihypertensivums, sondern die erreichte Blutdrucksenkung ausschlaggebend sein könnte für die Häufigkeit der Hypertoniekomplikationen. Eine neuere Analyse bestätigt diesen Eindruck (7).

Der Preis gehört zur Nutzenbewertung: Der Preis ist ein wichtiges Charakteristikum jeder Ware. Es ist sehr zu begrüßen, dass in Zukunft die Gutachten des IQWiG auch die Arzneimittelpreise mit in die Betrachtung einschließen werden.

Hyperglykämie als UAW: Diuretika werden in diesem Vorbericht eher günstig dargestellt. Als potenziell bedenkliche UAW werden jedoch – häufiger als unter den anderen Antihypertensiva – Hyperglykämien beobachtet. Es mehren sich aber die Hinweise, dass diese durch die Diuretika induzierten Hyperglykämien das Risiko für diabetische Gefäßkomplikationen nicht steigern (8, 9). Sie entstehen offenbar im Rahmen der durch die Diuretika induzierten Hypokaliämie und bilden sich nach Korrektur der Hypokaliämie zurück (10). Man sollte daher, bis entsprechende Daten vorliegen, nicht undifferenziert von der „diabetogenen Wirkung der Thiazide” sprechen, sondern von Hyperglykämien unter Thiaziden.

Fazit: Dieser Vorbericht des IQWiG zeigt, dass die Unterschiede zwischen älteren (Diuretika, Betablocker, Kalziumantagonisten) und neueren Antihypertensiva (ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Antagonisten) hinsichtlich der günstigen Beeinflussung typischer Hypertoniekomplikationen sehr gering sind. Dennoch muss die Wahl des Antihypertensivums auf die spezielle Situation des Patienten zugeschnitten werden (Begleiterkrankungen, Verträglichkeit, Begleitmedikation, Monotherapie bzw. Art der Kombinationsbehandlung, Dosierung, Alter etc.). Dazu können im IQWiG-Vorbericht, auch wegen der Auswahl der Studien, keine evidenzbasierten Empfehlungen gegeben werden. Auf S. 166 findet sich ein Satz, der gut geeignet ist, die Ergebnisse zusammenzufassen und die ärztlichen Bemühungen in die richtige Richtung zu lenken: „Darüber hinaus ist in der klinischen Praxis die Qualität der Blutdruckeinstellung eher von der Struktur der Therapie als von der verwendeten antihypertensiven Substanz abhängig”. Dem können wir uns voll und ganz anschließen. Es wird interessant zu sehen, wie sich der endgültige Bericht vom Vorbericht unterscheidet.

Literatur

  1. Gasse, C., et al. (MONICA = MONItoring trends and determinants in CArdiovascular disease): J. Hum. Hypertens. 2001, 15, 27. Link zur Quelle
  2. http://www.iqwig.de/index.388.html Link zur Quelle
  3. Dahlöf, B., et al. (ASCOT-BPLA = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial – Blood-Pressure Lowering Arm): Lancet 2005, 366, 895 Link zur Quelle ; s.a. AMB 2005, 39, 83. Link zur Quelle
  4. Poulter, N.R., et al. (ASCOT-BPLA = Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial – Blood-Pressure Lowering Arm): Lancet 2005, 366, 907 Link zur Quelle ; s.a. AMB 2005, 39, 83. Link zur Quelle
  5. ALLHAT (= Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial): JAMA 2002, 288, 2981 12479763; s.a. AMB 2003, 37, 12. Link zur Quelle
  6. NICE clinical guideline 34: Link zur Quelle ; s.a. AMB 2006, 40, 62. Link zur Quelle
  7. Staessen, J.A, et al.: Hypertens. Res. 2005, 28, 385. Link zur Quelle
  8. Barzilay, J.I., et al. (ALLHAT = Antihypertensive and Lipid-Lowering treatment to prevent Heart Attack Trial): Arch. Intern. Med. 2006, 166, 2191 Link zur Quelle ; s.a. AMB 2007, 41, 21. Link zur Quelle
  9. Kostis, J.B., et al. (SHEP = Systolic Hypertension in the Elderly Program): Am. J. Cardiol. 2005, 95, 29. Link zur Quelle
  10. Zillich, A.J., et al.: Hypertension 2006, 48, 219 Link zur Quelle ; s.a. AMB 2007, 41, 21. Link zur Quelle