Orale Antikoagulanzien schützen Patienten mit
Vorhofflimmern vor kardioembolischen Insulten und werden daher auch generell
empfohlen. Da die Inzidenz des Vorhofflimmerns mit dem Lebensalter ansteigt,
stellt sich die Entscheidung zur oralen Antikoagulation besonders häufig bei
älteren Patienten. Diese Patientengruppe hat aber zugleich das höchste
Blutungsrisiko unter Antikoagulanzien.
In den großen randomisierten Studien zur oralen
Antikoagulation bei Vorhofflimmern betrug der Anteil der Patienten über 80
Jahre aber nur 20%. Im medizinischen Alltag ist dieser Anteil jedoch bedeutend
höher. Es stellt sich daher die Frage, ob die in den Studien berichtete
Häufigkeit von Blutungen (Major bleedings) von 1,3%-4,2% ohne weiteres auch auf
die älteren Patienten übertragen werden kann. In Deutschland und Österreich
gibt es erstaunlicherweise solche Zahlen in den großen Datenbanken nicht.
E.M. Hylek et al. aus Boston haben eine konsekutive
Kohorte von 472 Patienten, die erstmalig wegen Vorhofflimmerns antikoaguliert wurden,
hinsichtlich Sicherheitsendpunkten prospektiv ein Jahr lang verfolgt (1). 319
Patienten waren zwischen 65 und 80 Jahre alt (im Mittel 77 Jahre) und 153
Patienten (32%) waren 80 Jahre oder älter (im Mittel 84 Jahre). Die Patienten
unterschieden sich, bedingt durch den Altersunterschied, in einigen klinischen
Variablen. Beim so genannten CHADS2-Score (s.u.), der das
Schlaganfallrisiko berechnet, zeigte sich z.B., dass die älteren
antikoagulierten Patienten im Mittel höhere Werte hatten.
Während des einjährigen Beobachtungszeitraums wurde
die orale Antikoagulation bei 134 Patienten (28%) wieder beendet. Die Gründe
waren z.B. Wiederherstellung von Sinusrhythmus und Sicherheitsbedenken.
Insgesamt wurden über 10.000 INR-Messungen vorgenommen. 58% der Messungen waren
im Zielbereich (INR 2-3), bei 29% der Messungen war die Antikoagulation nicht
ausreichend (INR unter 2) und 11% der Messungen ergaben eine zu starke
Antikoagulation (INR 3-4, bei 2% sogar > 4). Wichtig ist zu erwähnen, dass
40% der Patienten zusätzlich zum Antikoagulans noch ASS einnahmen (die
Indikation wird nicht genannt).
Innerhalb eines Jahres traten im Gesamtkollektiv 26
schwere Blutungen auf (5,5%), umgerechnet auf 100 Patientenjahre waren dies
7,2%. Dieser Wert liegt deutlich über dem in der Literatur genannten Niveau.
Schwere Blutungen waren definiert als tödlich bzw. Transfusionsbedürftigkeit
von mehr als zwei Konserven oder eine kritische Lokalisation betreffend
(intrakranial, retroperitoneal, intraspinal, intraokulär, intraartikulär).
Knapp die Hälfte der Blutungen traten bei Patienten mit ASS-Komedikation auf.
Es handelte sich insgesamt um neun Hirnblutungen (fünf mit ASS), elf
gastrointestinale Blutungen (vier mit ASS) und jeweils eine retroperitoneale,
intrathorakale, intraokuläre und Kniegelenksblutung. Zwei Patienten erlitten
schweres, transfusionsbedürftiges Nasenbluten.
Das Blutungsrisiko war bei den Patienten über 80
Jahre dreimal höher als bei den jüngeren Patienten (13% vs. 4,75% pro 100
Patientenjahre). Neben dem Alter und der ASS-Komedikation war ein hoher CHADS2-Score
ein sehr wichtiger Risikofaktor für eine klinisch relevante Blutung (s. Tab.
1). Patienten mit dem höchsten Schlaganfallriskio haben demnach zugleich auch
das höchste Blutungsrisiko unter oraler Antikoagulation und vice versa.
Auch die Überantikoagulation ist mit erheblich mehr
Blutungen assoziiert. Bei einer INR von ≤ 4 betrug die errechnete
Blutungsrate pro 100 Patientenjahre bei den 65-80-Jährigen 3,4% und bei einer
INR > 4 sogar 54%. Insgesamt ist das Blutungsrisiko in den ersten 90 Tagen
nach Beginn der Antikoagulation besonders hoch.
Fazit:
Bedeutsame Blutungen unter oraler Antikoagulation sind insbesondere bei
Patienten über 80 Jahre häufiger als bislang angenommen (13% pro 100
Patientenjahre). Patienten mit dem höchsten Schlaganfallrisiko (hoher CHADS2-Score)
haben zugleich auch das größte Blutungsrisiko unter oralen Antikoagulanzien.
Die jährliche Zahl der klinisch bedeutsamen Blutungen ist bei dieser Gruppe
etwa dreimal höher als die Zahl der verhinderten Schlaganfälle. Die Folgen
eines ischämischen Insults sind aber häufig so gravierend, dass man nicht
generell auf die Prophylaxe mit Antikoagulanzien verzichten sollte. Die
Patienten müssen aber sehr sorgsam ausgewählt werden. Auch sollten neue Strategien
zur Erhöhung der Sicherheit etabliert werden, z.B. Entwicklung sicherer
Antikoagulantien, INR-Selbstkontrolle, Verzicht auf Komedikation mit ASS und
gute Behandlung einer Hypertonie.
Literatur
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Hylek, E.M., et al.:
Circulation 2007, 115, 2689.
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