Zusammenfassung: Rimonabant führt zu einer signifikanten,
aber selbst bei starker Adipositas nur wenig bedeutsamen Gewichtsreduktion.
Nach dem Absetzen steigt das Gewicht rasch wieder an. Die daraus resultierende
Notwendigkeit der fortwährenden Einnahme, die dadurch entstehenden erheblichen
Kosten und die unerwünschten Wirkungen, vor allem die psychischen, sprechen
gegen die Anwendung. Es ist unverständlich, warum die EMEA Rimonabant
angesichts der problematischen grundlagenwissenschaftlichen Daten und ohne dass
Ergebnisse aus Langzeitstudien vorlagen, zugelassen hat. Das Problem „Epidemie
Adipositas” wird vermutlich auch in Zukunft nicht pharmakologisch zu beheben
und zu finanzieren sein, sondern eher durch Programme zur Umstellung auf eine
vernünftige Ernährung mit Änderung des Lebensstils, flankiert von politischen
und gesellschaftlichen Maßnahmen.
Endocannabinoide spielen eine wesentliche Rolle bei
der Regulation des Körpergewichts, des Glukose- und Lipidstoffwechsels und des
psychischen Befindens. Bei der Erforschung der Wirkungen von Haschisch (Hauptwirkstoff:
Tetrahydrocannabinol) wurden zunächst die Rezeptoren CB1 und CB2 entdeckt und
später die endogenen Liganden, die sog. Endocannabinoide. CB1-Rezeptoren finden
sich insbesondere in zentralen Nervenzellen im Hirnstamm, Kleinhirn und
Hippocampus, aber auch peripher in Fettgewebe, Muskeln und im
Gastrointestinaltrakt. CB2-Rezeptoren finden sich hingegen auf Immunzellen. Da
beim Konsum von Haschisch starker Appetit auftritt, wurde früh vermutet, dass
zentralnervöse CB1-Rezeptoren an der Appetitregulation beteiligt sind. Nach
bisherigem Kenntnisstand kann das Endocannabinoid-System hierbei als eine Art
„Erholungssystem” charakterisiert werden, wobei seine Aktivierung mit mentaler
Entspannung, Reduktion von Schmerzen und Angst, Hemmung motorischer Aktivität,
kognitiven Wirkungen (Vergessen, Beseitigung angsterzeugender Erinnerungen) und
eben Appetitanregung mit Verstärkung des Belohnungsverhaltens einhergehen.
Andererseits konnte gezeigt werden, dass
pathologische Zustände wie beispielsweise Adipositas oder Nikotinabusus mit
Überstimulation der CB1-Rezeptoren und damit chronischer „Überaktivität” des
Endocannabinoid-Systems assoziiert sind. Durch diese Überaktivierung werden
vermutlich die vermehrte Nahrungsaufnahme und die Lipogenese in den Adipozyten
stimuliert.
1994 wurde der erste selektiv wirkende CB1-Rezeptor-Antagonist
Rimonabant entdeckt. Rimonabant soll durch Blockade der CB1-Rezeptoren die
Nahrungsaufnahme drosseln. Darüber hinaus werden günstige metabolische
Direkteffekte (z.B. Verbesserung der Insulinsensitivität) postuliert. Unter dem
Namen Acomplia® wurde Rimonabant 2006 europaweit zugelassen, additiv
zu Diät und Bewegungstherapie bei Adipositas mit einem BMI > 30 kg/m2 oder
bei übergewichtigen Personen mit einem BMI > 27 kg/m2, die zudem
einen oder mehrere Risikofaktoren haben (z.B. Typ-2-Diabetes mellitus oder Fettstoffwechselstörungen).
Obwohl vom Hersteller zur Indikation Raucherentwöhnung ebenfalls mehrere
Zulassungsstudien durchgeführt worden waren, wurde der Antrag auf Zulassung
hierfür zurückgezogen, nachdem die europäische Zulassungsbehörde EMEA und die
amerikanische FDA einen abschlägigen Bescheid angekündigt hatten. Eine
Zulassung für die Indikation Gewichtsreduktion wurde in den USA von der FDA
2006 mittels eines „Approval letters” in Aussicht gestellt. Mit diesem
Schreiben wurde jedoch bereits auch die Sicherheit von Rimonabant kritisch
hinterfragt und vom Hersteller Sanofi umfangreiche weitere Unterlagen für eine
abschließende Bewertung angefordert. Überraschend deutlich (14 zu 0) stimmte
nun das Gutachtergremium der FDA im Juli 2007 gegen die Zulassung von
Rimonabant, überwiegend aufgrund der bisher beobachteten psychischen unerwünschten
Wirkungen (UAW).
Rimonabant steht als Filmtablette in einer Dosierung
von 20 mg zur Verfügung. Es wird per os rasch resorbiert mit Spitzenkonzentrationen
im Plasma nach etwa zwei Stunden. Die Eliminationshalbwertzeit ist lang; sie beträgt
9-16 Tage. Da gleichzeitige Nahrungsaufnahme die Plasmakonzentration erhöht,
wird empfohlen, Rimonabant morgens vor dem Frühstück einzunehmen. Wie viele
andere Medikamente wird Rimonabant vorwiegend in der Leber durch
Cytochrom-P-450-Enzyme (CYP3A4) metabolisiert.
Klinische Wirksamkeit: Die Wirksamkeit von Rimonabant wurde vor allem in
den vier zulassungsrelevanten, randomisierten, plazebokontrollierten RIO(Rimonabant
In Obesity)-Studien untersucht (1-4; s.a. 5). In diesen ähnlich
aufgebauten Phase-III-Studien wurde bei etwa 6 500 Patienten, zum Großteil
weiße Frauen, der Effekt von 5 mg/d oder 20 mg/d Rimonabant auf das
Körpergewicht (primärer Endpunkt) untersucht. Als primäre Maßnahme wurde allen
Teilnehmern der Studien eine Kalorienreduktion von 600 kcal/d empfohlen. Es
erfolgten aber keine weiteren Maßnahmen zur Modifikation des Lebensstils. Die
Patienten erhielten nach Randomisation ein oder zwei Jahre lang Rimonabant (5 mg/d
oder 20 mg/d) oder Plazebo. In der RIO-North America-Studie (4) wurde
nach einem Jahr der Behandlungsarm erneut randomisiert aufgeteilt.
Die Teilnehmer der RIO-Studien waren im Mittel
zwischen 45 und 56 Jahre alt. Das mittlere Körpergewicht lag bei Studienbeginn
zwischen 94 bis 104 kg, entsprechend einem Body Mass Index (BMI) von 33-38 kg/m2.
Nach einem Jahr Behandlung wurde unter der zugelassenen Dosis von 20 mg/d
Rimonabant eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 5,3-6,9 kg erzielt.
Unter 5 mg/d Rimonabant war sie deutlich geringer. In RIO-Europe betrug der
plazebobereinigte Gewichtsverlust nach zwei Jahren 4,3 kg unter 20 mg/d und 1,7
kg unter 5 mg/d Rimonabant.
Die Daten der RIO-North-America-Studie zeigten, dass
sich die Gewichtsreduktion nach Absetzen von Rimonabant rasch verliert. In der
Gruppe, die nach einem Jahr Rimonabant auf Plazebo randomisiert wurde, stieg
das Körpergewicht innerhalb weniger Wochen wieder auf das Niveau der Patienten
an, die bereits initial Plazebo eingenommen hatten (4). Daraus kann gefolgert
werden, dass Rimonabant lebenslang oder zumindest über viele Jahre eingenommen
werden muss, um das Gewicht zu reduzieren und dadurch möglicherweise klinisch günstige
Effekte zu erzielen.
In den RIO-Studien war die Abbruchrate sehr hoch. Nur
53-66% der Teilnehmer blieben 12 Monate in den Studien. Unter Rimonabant
brachen 15,7% und unter Plazebo 7,8% der Patienten die Behandlung wegen UAW ab.
An der RIO-North-America-Studie nahmen zum Schluss sogar nur noch 35% teil,
d.h. nur 1121 von 3045 randomisierten Patienten beendeten die Therapie
protokollgerecht. Das Gewicht der Studienabbrecher wurde nicht erfasst. Für die
statistische Endpunktanalyse wurde die Methode „Last observation carried
forward (LOCF)” angewendet, die oft zur Überschätzung eines Therapieeffekts
führt. Insbesondere bleibt damit ein Gewichtsanstieg nach Absetzen von
Rimonabant unberücksichtigt.
UAW und Sicherheit: Während an der (moderaten) Wirksamkeit von Rimonabant kein Zweifel
besteht, gibt es hinsichtlich der Sicherheit kontroverse Meinungen, die sich
auch in den unterschiedlichen Einschätzungen der europäischen und der US-amerikanischen
Zulassungsbehörden widerspiegeln (6, 7). Die FDA ließ die Daten aller
abgeschlossenen Studien, auch zur Indikation Raucherentwöhnung, mit insgesamt
13 000 Patienten nochmals extern auswerten (6). In allen RIO-Studien fielen
besonders häufig psychische und neurologische UAW auf. Angstsymptome traten
unter Rimonabant bei 6% der Patienten versus 2,5% unter Plazebo auf.
Depressionen (5,2% vs. 3,1%), depressive Symptome insgesamt (9% vs. 5%),
Schlaflosigkeit (5,4% vs. 3,2%), Stimmungsänderungen (4,8% vs. 3,1%),
Reizbarkeit (1,9% vs. 0,6%) waren jeweils unter Rimonabant signifikant
häufiger. In ihrem Medikamentendossier listet die EMEA diese UAW jeweils
einzeln auf. Die FDA hingegen stellt die Gesamtzahl der Patienten mit
psychischen UAW gegenüber: 26% vs. 14%, was einen anderen Eindruck der Sicherheit
der Substanz ergibt. Das zusammengefasste Relative Risiko (RR) für eine psychische
UAW unter Rimonabant wird im FDA-Bericht mit 1,9 angegeben. Im EMEA-Dokument
wird ein Suizid unter der Einnahme von Rimonabant erwähnt, im FDA-Dokument wird
die Suizidalität hingegen sehr detailliert ausgeführt. Hierbei wurde eine
externe Bewertung durch die Arbeitsgruppe um K. Posner von der
Columbia-Universität zugrunde gelegt. Neben erfolgten und versuchten Suiziden wurden
auch suizidale Gedanken und selbstverletzendes Verhalten mitbewertet. Unter
Berücksichtigung aller Studiendaten (außer Studien ohne 20 mg/d Rimonabant) konnten
74 Berichte als mögliche oder definitive suizidale Fälle klassifiziert werden:
20 unter Plazebo, 8 unter 5 mg/d und 46 unter 20 mg/d Rimonabant. Es resultiert
eine Odds ratio für die Inzidenz der Suizidalität von 1,9
(95%-Konfidenzintervall = CI: 1,1-3,1) für 20 mg/d Rimonabant vs. Plazebo.
Im FDA-Briefing-Dokument wird auch die hohe Abbruchrate
in den Studien hervorgehoben. Da etwa 50% der Teilnehmer die Studie vorzeitig
abbrachen, u. a. auch wegen aufgetretener Ängste und Depressionen, sei das
Risiko bei fortwährender Einnahme unkalkulierbar und am ehesten unterschätzt.
Insgesamt spielten depressive Symptome und Suizidalität für die US-Gutachter
bei der Gesamtbewertung von Rimonabant die entscheidende Rolle. Dies dürfte
wohl auch mit der Sensibilisierung der US-Öffentlichkeit zusammenhängen, die
sich zuletzt stark mit den suizidalen UAW der Antidepressiva beschäftigt hat.
Auch die Ergebnisse grundlagenwissenschaftlicher
Untersuchungen stellen die Sicherheit der Substanz in Frage. Bei Nagern wirkt
Rimonabant hepatotoxisch und neurotoxisch. Insbesondere werden durch höhere Dosen
Krampfanfälle induziert. Viele tierexperimentelle Studien wurden jedoch mit
relativ geringen Dosierungen durchgeführt. Krampfanfälle waren in den RIO-Studien
ebenfalls häufiger als unter Plazebo. Der Unterschied war allerdings nicht signifikant.
In den RIO-Studien stieg unter Rimonabant auch das Risiko
für andere neurologische Symptome (Schwindel, Gedächtnisstörungen). Dies könnte
ein Grund dafür sein, warum Rimonabant-Patienten überproportional häufig
Verletzungen und Unfälle erlitten (6,9% vs. 3,8%). Auffallend war für die
Gutachter die Häufung neurologischer UAW bei Übergewichtigen mit Diabetes. In
der RIO-Diabetes-Studie und in der SERENADE-Studie (8) berichteten 5% (20 mg/d
Rimonabant) vs. 1,2% (Plazebo) der Teilnehmer über Dys- und Hypästhesien. Für
neurologische UAW errechnete sich zusammengefasst ein RR von 3,1 (CI: 1,8-5,5).
Tierexperimentell kommt es unter CB1-Antagonisierung zur Exazerbation demyelinisierender
Erkrankungen.
In Deutschland bekam das BfArM bis Ende 2006
insgesamt 86 Berichte über die UAW von Rimonabant. In 40 Fällen waren es psychische
Effekte, davon sechs Suizide.
Nach dem eindeutigen Gutachtervotum der FDA gegen die
Zulassung von Rimonabant hat die EMEA in einer kurzfristigen Reaktion am 19.
Juli 2007 die Zulassung für Rimonabant zwar weiter positiv bewertet, jedoch als
neue Kontraindikation eine „Major Depression” oder eine laufende antidepressive
Behandlung aufgeführt. Außerdem wird die Einnahme von Acomplia®
nicht empfohlen, wenn in der Vergangenheit schon einmal Depressionen mit Suizidgedanken
aufgetreten sind. Bei diesen Patienten sei abzuwägen, ob der Nutzen von
Acomplia® das Risiko für das erneute Auftreten depressiver
Erkrankungen überwiegt. Ein „Rote-Hand-Brief” wurde am 27. Juli 2007 von Sanofi
Aventis verschickt.
Kosten: 20
mg/d Rimonabant kosten ca. 86 EUR/Monat. Im Vergleich hierzu kosten 10 mg/d
Sibutramin (Reductil®) ca. 42 EUR/Monat und dreimal 120 mg/d
Orlistat (Xenical®) ca. 96 EUR/Monat. Rimonabant ist also ähnlich
teuer wie Orlistat. Als erheblicher Kostenfaktor ist jedoch anzusehen, dass die
Wirkung nur solange anhält, wie Rimonabant eingenommen wird. Die Kassen werden
Rimonabant wahrscheinlich nicht bezahlen. Ein aktuelles Urteil des Berliner
Sozialgerichtes vom Juni 2007 folgte der Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses
(GBA), der Rimonabant den Lifestyle-Arzneimitteln zuordnete und damit von der Erstattungsfähigkeit
ausschloss.
Literatur
-
Deprés, J.P., et al. (RIO-Lipids Study): N. Engl. J. Med. 2005,
353, 2121.

-
Van Gaal, L.F., et al.
(RIO-Europe Study): Lancet 2005, 365, 1389.

-
Scheen, A.J., et al.
(RIO-Diabetes Study): Lancet 2006, 368, 1660.

-
Pi-Sunyer, F.X., et al. (RIO-North America Study): JAMA 2006, 295,
761.

-
AMB 2005, 39, 94.

-
FDA: briefing document:

-
EMEA Dokument:
-
Iranmesh, A., et al.:
World Diabetes Congress. Kapstadt, 5.12. 2006.
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