Unter der Rubrik „Clinical Practice” brachte das N.
Engl. J. Med. kürzlich einen Artikel zum Thema isoliert systolische Hypertonie
aus der Feder von A.V. Chobanian aus Boston (1). Behandelnden Ärzten ist oft
nicht bewusst, dass auch eine isoliert systolische Hypertonie (ISH,
systolischer RR > 140 mm Hg bei diastolischem RR < 90 mm Hg) das Risiko
für Schlaganfall, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz erhöht. Das Problem wird oft
nicht ernst genommen, weil mehr als die Hälfte der Menschen über 60 Jahre eine
ISH oder eine kombiniert systolische/diastolische Hypertonie haben. Sehr oft
wird die Diagnose nicht gestellt und/oder die Hypertonie nicht behandelt. Über
das Antihypertensivum, das als erstes angewandt werden sollte, besteht keine
Einigkeit. Einzelheiten sind aus Anlass des IQWiG-Vorberichts zur Behandlung
der Hypertonie eingehend diskutiert worden (9). Im Gegensatz zu früheren Lehren
ist die Höhe des systolischen Blutdrucks bei älteren Menschen für die Inzidenz
kardiovaskulärer und renaler Komplikationen wichtiger als der diastolische (2).
Eine ISH ist meist durch den Elastizitätsverlust der großen Arterien (durch
vermehrte Einlagerung von Kalzium, vermehrtes Bindegewebe und Verlust an
Elastinfasern) bedingt, jedoch muss differentialdiagnostisch an eine
Hyperthyreose, eine Aortenklappeninsuffizienz und andere, seltene Krankheiten
gedacht werden.
Überzeugende Indikationen für die Behandlung einer
ISH (nicht in jedem Fall mit Medikamenten) ergeben sich aus umfangreichen plazebokontrollierten
Therapiestudien. Im „Systolic Hypertension in the Elderly Program” von 4,5 Jahren
Interventionsdauer wurde mit dem Thiaziddiuretikum Chlorthalidon (und eventuell
später zusätzlich Atenolol) bei älteren Menschen mit einem RR von ≥ 160 mm
Hg systolisch und < 90 mm Hg diastolisch die Inzidenz von Schlaganfällen im
Vergleich mit Plazebo um 36%, von manifester KHK um 27% und von
Herzinsuffizienz um 55% gesenkt (3). Ähnlich waren die Ergebnisse zweier
Studien mit dem Kalziumantagonisten Nitrendipin (und eventuell später
zusätzlich einem Thiazid und/oder einem ACE-Hemmer; 4, 5). Das absolute Risiko
für Schlaganfälle allein verminderte sich durch die Therapie mit dem Thiazid
von 1,64% auf 1,04% pro Jahr (3), in den Nitrendipin-Studien von 1,37% auf 0,79%
pro Jahr (4) bzw. von 2,08% auf 1,38% pro Jahr (5).
Behandelnde Ärzte sollten deshalb das Problem ISH
ernst nehmen und ihre Patienten zu einer Therapie motivieren, die meist
nebenwirkungsarm ist. Die Art der Therapie unterscheidet sich nicht von
derjenigen der kombiniert systolischen/diastolischen Hypertonie bei älteren
Menschen. Hierzu bringt die referierte Arbeit (1) einen ganzseitigen
Algorithmus, dessen Botschaften aber auch mit Worten gut zusammengefasst werden
können. Er weicht etwas von den europäischen Empfehlungen ab. Hierzulande wird
die Behandlungsindikation vom Gesamtrisiko abhängig gemacht, nicht nur von den
Blutdruckwerten, und die Pharmakotherapie wird etwas zurückhaltender gehandhabt
(7-9). Trotzdem sind die Ausführungen interessant. Wiederholung ist die Mutter
der Wissenschaft.
Nach der klinischen Untersuchung und Labordiagnostik
(z.B. Serum-Kalium und Serum-Kreatinin, Urinstatus, TSH) sollte durch häufige
Messungen die durchschnittliche Blutdruckhöhe ermittelt und eventuelle Ko-Morbiditäten
in Betracht gezogen werden.
Bei einer ISH mit systolischen RR-Werten von 140-159
mm Hg sollte zunächst versucht werden, wenn angemessen, durch Änderungen des
Lebensstils (Gewichtsabnahme, mehr Bewegung, weniger Kochsalz und Alkohol,
gesünderes Essen etc.) den Blutdruck zu senken. Reichen diese Maßnahmen nicht
aus, was oft der Fall ist, sollte (gegebenenfalls abhängig vom Gesamtrisiko,
s.o.!) ein Thiaziddiuretikum, alternativ ein Kalziumantagonist, ein ACE-Hemmer
oder ein Sartan, eher selten ein Betablocker, verordnet werden. Um
Hypokaliämien zu vermeiden, die zur Blutzuckererhöhung führen können, empfehlen
wir (der AMB) bei Diuretikum-Monotherapie oder bei Kombination mit einem
Kalziumantagonisten die Zugabe von Amilorid oder Triamteren, d.h. ein
Kombinationsdiuretikum (6).
Bei systolischen RR-Werten > 160 mm Hg sollte
(nach Meinung Chobanians) gleich mit Antihypertensiva zusätzlich zu
Lebensstil-Empfehlungen begonnen werden. Hierzulande ist die unbedingte
Indikation zur Pharmakotherapie erst bei 180 mm Hg gegeben. Man sollte den
Patienten die Risiken nennen und dann mitentscheiden lassen. Bei geringem
Effekt auf den systolischen Blutdruck kann früh zu einer niedrig dosierten
Kombinationstherapie (z.B. Kombinations-Diuretikum plus Kalziumantagonist oder
12,5 mg Hydrochlorothiazid plus ACE-Hemmer oder Sartan) übergegangen werden.
Reagiert der systolische Blutdruck nicht oder kaum auf Antihypertensiva, kann
dies in seltenen Fällen auch an der Starre der Armarterien liegen, wobei mit
der Riva-Rocci-Methode am Arm zu hohe Drucke gemessen werden. In solchen Fällen
kann es notwendig sein, Patienten an eine Spezialabteilung zum Vergleich des
intraarteriellen mit dem am Arm indirekt gemessenen Blutdruck zu überweisen.
Bei Patienten mit Ko-Morbiditäten (Herzinsuffizienz,
Zustand nach Herzinfarkt, Niereninsuffizienz, Diabetes mellitus) ist die
antihypertensive Therapie gemäß den Therapierichtlinien für diese Erkrankungen
zu modifizieren.
Therapieziel ist ein Blutdruck < 140/90 mm Hg und
bei Diabetikern oder Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz < 130/80
mm Hg.
Fazit: Ein
erhöhter systolischer Blutdruck ist als Ursache kardiovaskulärer Komplikationen
ernst zu nehmen. Interventionsstudien mit Diuretika oder Kalziumantagonisten
bei älteren Menschen mit isoliert systolischer Hypertonie ergaben eine
deutliche Reduzierung von Schlaganfällen, KHK und Herzinsuffizienz. Hieraus
ergibt sich die Therapieindikation.
Literatur
-
Chobanian, A.V.: N.
Engl. J. Med. 2007, 357, 789.

-
Izzo, J.L., et al.:
Hypertension 2000, 35, 1021.

-
SHEP (Systolic Hypertension
in the Elderly Program): JAMA 1991, 265, 3255
; s.a. AMB 1997, 31, 61. 
-
Staessen, J.A., et al.:
Lancet 1997, 350, 757.

-
Liu, L., et al.: J.
Hypertens. 1998, 16, 1823.

-
AMB 2007, 41, 21.

-
PROCAM Risiko Score:

-
Arterielle Hypertonie.
Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 2.
Aufl. 2004.
-
AMB 2007, 41, 27.

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