Der Arzneiverordnungs-Report 2007 (1) schildert die
Verordnungen zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach dem
Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz, das 2006 wirksam geworden
ist. Die wichtigsten Elemente sind:
·
die Zuzahlungsbefreiung für
Arzneimittel, deren Apothekenverkaufspreis mindestens 30% unter dem Festbetrag
liegt,
·
die Anpassungen in den
Festbeträgen sowie
·
der 10%ige Generikaabschlag in
Verbindung mit dem Verbot von Naturalrabatten.
Im Gesamtjahr betrug die Steigerung der
Ausgaben im GKV-Fertigarzneimittelmarkt nur 0,6% auf absolut 23,7 Milliarden
EUR. Unterschiedliche Faktoren nahmen Einfluss. Dabei
haben sich die Abnahme bei der Zahl der Verordnungen und bei den Preisen
positiv und die Zunahme im Wert der Verordnungen sowie der Anstieg der Mehrwertsteuer
negativ ausgewirkt. Als problematisch bezeichnen die Herausgeber die
Preisgestaltung für innovative Arzneimittel. Es bestehe die Gefahr, dass
einzelne Hersteller eine Monopolstellung ausnutzen, um extrem hohe Preise
festzusetzen. Damit werde "die freie Preisgestaltung zur Farce".
Im Jahre 2006 wurden 27 Arzneimittel neu zugelassen.
Im Arzneiverordnungs-Report werden sie seit vielen Jahren nach folgenden
Gesichtspunkten beurteilt (2):
A =
Innovative Struktur bzw. neuartiges Wirkprinzip mit therapeutischer Relevanz,
B =
Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Eigenschaften bereits
bekannter Wirkprinzipien,
C =
Analogpräparat mit keinen oder nur marginalen Unterschieden zu bereits
eingeführten Präparaten,
D = nicht
ausreichend gesichertes Wirkprinzip oder unklarer therapeutischer Stellenwert.
17 der neuen Arzneimittel wurden mit A
beurteilt. Viele dieser als innovativ eingestuften Wirkstoffe können zum
Zeitpunkt der Marktzulassung jedoch nicht hinsichtlich ihres medizinischen
Stellenwertes beurteilt werden, da aussagekräftige klinische Studien zur
Beurteilung ihres Nutzens im Vergleich zur derzeit als Standard geltenden
Therapie meistens nicht vorliegen. Darüber hinaus ist eine Abwägung des Nutzens
gegen die Risiken unter Alltagsbedingungen anhand der randomisierten,
kontrollierten Studien mit häufig stark selektionierten Patientenkollektiven und
kurzer Beobachtungsdauer nicht möglich. Viele dieser mit A beurteilten Substanzen
mögen innovativ oder neuartig sein, aber therapeutisch relevant sind sie nur
für ganz wenige Patienten. Allein acht wurden ausdrücklich für seltene
Erkrankungen zugelassen (Orphan Drugs). Das bedeutet unter anderem: Ein
Ausschuss muss festgestellt haben, dass es sich um ein Arzneimittel mit
seltener Indikation ohne alternative Behandlungsmöglichkeit handelt. Die
Zulassung erfolgt unter erleichterten Bedingungen. Das alleinige Vertriebsrecht
ist dem Hersteller für zehn Jahre garantiert. Insgesamt stehen in Europa 40
Arzneimittel auf der Liste der Orphan Drugs.
Die allgemeine Bedeutung eines Arzneimittels kann
natürlich nicht allein mit einem Buchstaben (A, B, C, D)
charakterisiert werden. Die meisten Leser unserer kurzen Übersicht werden
feststellen, dass sie kein Medikament mit „therapeutischer Relevanz” für die
tägliche Praxis finden. Therapeutisch relevant wären ganz andere Innovationen.
Die Preise sind, wie im Arzneiverordnungs-Report seit
Jahren üblich, in EUR/DDD angegeben. Dabei ist die defined daily dose (DDD,
definierte Tagesdosis) die angenommene mittlere tägliche Erhaltungsdosis für
die Hauptindikation eines Arzneimittels bei Erwachsenen und wird von der WHO
festgesetzt. Die DDD ist eine rechnerische Maßeinheit und entspricht nicht
unbedingt der empfohlenen oder tatsächlich verordneten Tagesdosis. Wenn eine
offizielle Definition der Tagesdosis fehlt, gelten die Angaben der Hersteller.
Für die Preise gilt der Stand vom 1.4.2007. Diese Preisangaben sind für die
Kalkulation der aktuellen Kosten zwar unpraktisch, aber sie können die Preise
der neuen Arzneimittel 2006 vergleichend darstellen und nur darum geht es in
diesem Zusammenhang.
Alglucosidase alfa (Myozyme®; A) ist eine rekombinant hergestellte Glukosidase zur
Behandlung einer Glykogen-Speicherkrankheit (M. Pompe), die ohne Behandlung
häufig wenige Monate nach der Geburt zum Tode führt. Die Krankheit kommt bei
einem von 40 000 Neugeborenen vor. Die Behandlung eines 5,5 kg schweren
Kindes, 20 mg/kg i.v. alle zwei Wochen, kostet 39.000 EUR/Jahr.
Galsulfase (Naglazyme®; A) ist das zweite rekombinant hergestellte Enzym, das
2006 zur Behandlung einer seltenen Speicherkrankheit (Mukopolysaccharidose VI)
zugelassen wurde. Die betroffenen Kinder leiden unter Skelettanomalien und
Herzklappenfehlern. Die Stoffwechselstörung und ihre funktionellen Auswirkungen
bilden sich unter der Substitution (1 mg/kg einmal/Woche) rasch zurück. Die
Behandlung eines Kindes von 10 kg KG kostet 200.115 EUR/Jahr.
Carbetocin (Pabal®; B) ist ein Oxytocin-Analogon, das zur Prophylaxe einer
Uterusatonie nach Kaiserschnitt angewandt werden kann. Oxytocin hat eine kurze
Halbwertszeit (4-10 Minuten) und muss daher infundiert werden. Die Halbwertszeit
von Carbetocin ist 40 Minuten. Eine einmalige i.v. Injektion ist daher
ausreichend und darf nicht wiederholt werden. Abgesehen von der Pharmakokinetik
unterscheidet sich Carbetocin nicht von Oxytocin in der Wirksamkeit oder im
Profil der unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW). Beim Vergleich der Kosten
von Carbetocin (34,41 EUR/DDD) und Oxytocin (5,35 EUR/DDD) muss bei Oxytocin
das Infusionssystem zusätzlich berücksichtigt werden.
Clofarabin (Evoltra®; B) wurde im beschleunigten Zulassungsverfahren im Jahre
2004 von der Food and Drug Administration (FDA) und 2006 von der Europäischen
Arzneimittelagentur (EMEA) zugelassen zur Behandlung der akuten lymphatischen
Leukämie (ALL) bei Kindern und Jugendlichen, die nach mindestens zwei
Vorbehandlungen ein Rezidiv erleiden oder refraktär sind. Die Zulassung dieses
Nukleosidanalogons erfolgte im wesentlichen auf dem Boden der Ergebnisse einer
offenen Phase-2-Studie, in der 61 Kinder mit refraktärer oder rezidivierter ALL
behandelt wurden. Die Ansprechquote betrug 30%, darunter zwölf komplette
Remissionen, so dass bei neun Patienten eine allogene Stammzelltransplantation
durchgeführt werden konnte. Weitere Phase-3-Studien zur kombinierten Behandlung
der ALL mit Clofarabin und etablierten Zytostatika müssen den klinischen
Stellenwert der Substanz klären. Die Therapie mit Clofarabin kostet 30.832
EUR/Therapiezyklus und sollte ausschließlich im Rahmen kontrollierter
klinischer Studien erfolgen.
Daptomycin (Cubicin®; A) haben wir eingehend besprochen (3). Es ist als
Reserveantibiotikum zur Behandlung komplizierter Haut- und Weichteilinfektionen
und Rechtsherz-Endokarditiden mit Methicillin-sensitivem bzw.
Methicillin-resistentem S. aureus (MRSA) zugelassen. Bei Linksherz-Endokarditiden
mit diesen Erregern wird frühzeitig operiert (Klappenersatz; 4). Allerdings
stiegen bei 25% der Patienten die zuvor normalen Kreatinkinase-Werte unter
Daptomycin an, teilweise bis über das Zehnfache der Norm. Bei 2,5% der
Patienten musste es deshalb abgesetzt werden (Tagestherapiekosten 101 EUR). Tigecyclin
(Tygacil®; B) ist ein weiteres neues Reserve-Antibiotikum,
das zur Behandlung komplizierter Infektionen mit multiresistenten Erregern
zugelassen worden ist (5; vgl. 31). Tagestherapiekosten 129 EUR.
Dasatinib (Sprycel®; B) ist ein neuer Tyrosinkinase-Inhibitor, der im
November 2006 von der EMEA für die Behandlung von Erwachsenen mit chronischer
myeloischer Leukämie (CML) in der chronischen bzw. akzelerierten Phase oder in
der Blastenkrise mit Resistenz oder Intoleranz gegenüber Imatinib (Glivec®;
6) zugelassen wurde. Angezeigt ist Dasatinib angesichts fehlender
Therapieoptionen auch für die Behandlung von Erwachsenen mit
Philadelphia-Chromosom-positiver (Ph+) ALL oder lymphatischer Blastenkrise
einer CML, die auf Imatinib nicht mehr ansprechen, um z.B. den Zeitraum bis zu
einer allogenen Stammzelltransplantation zu überbrücken. Dasatinib ist in
vitro deutlich wirksamer als Imatinib und ist gegen die meisten erworbenen
BCR-ABL-Mutationen aktiv. Dasatinib ist in Phase-1- und Phase-2-Studien
hinsichtlich Wirksamkeit und kurzfristiger Toxizität bei Patienten mit CML und
Ph+ ALL untersucht worden (7). Dasatininb wird vermutlich die unbefriedigenden
Therapieergebnisse von Imatinib bei Patienten mit fortgeschrittener CML oder
Ph+ ALL nicht entscheidend verbessern. Unterschiede im Toxizitätsprofil im
Vergleich zu Imatinib, wichtige Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln
(Metabolisierung u.a. über CYP3A4) und die sehr hohen Jahrestherapiekosten von
Dasatinib (bei der derzeit empfohlenen Dosierung von zweimal 70 mg/d ca. 65.000
EUR/Jahr) sind zu beachten (8).
Sorafenib (Nexavar®; A) und Sunitinib
(Sutent®; A) sind zwei
weitere im Jahre 2006 zugelassene Multikinase-Inhibitoren mit Aktivität u.a.
gegen Rezeptor-Tyrosinkinasen, die für Zellwachstum und Blutversorgung von
Tumoren wichtig sind. Sorafenib wurde im Juli 2006 von der EMEA zunächst
zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom
zugelassen, bei denen eine vorherige Therapie mit Zytokinen (Interferon alfa,
Interleukin-2) versagt hat oder die für eine solche Therapie nicht geeignet
sind. Die klinische Wirksamkeit von Sorafenib bei Patienten mit fortgeschrittenem
Nierenzellkarzinom wurde in Phase-2- und Phase-3-Studien gegenüber Plazebo,
nicht aber mit Sunitinib (s. u.), verglichen. In der Phase-3-Studie (9) konnte
bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom, die zuvor zumindest
eine Immuntherapie mit einem Zytokin erhalten und darauf nicht mehr
angesprochen hatten, eine Verbesserung sowohl des progressfreien als auch des
Gesamtüberlebens (um drei Monate) gegenüber Plazebo erreicht werden. Die Rate
objektiver Remissionen betrug allerdings nur 10% im Sorafenib- gegenüber 2% im
Plazebo-Arm. Sorafenib wird über CYP450 Isoenzyme, aber auch durch Konjugation
mit Glucuronsäure metabolisiert. Die daraus resultierenden Wechselwirkungen
sind nur teilweise bekannt. Wie so häufig bei rasch zugelassenen neuen
Wirkstoffen in der Onkologie fehlen auch aussagekräftige Untersuchungen zur
Pharmakokinetik bei schwerer Leber- oder Nierenfunktionsstörung. Häufige UAW
von Sorafenib sind Diarrhö, Hand-Fuß-Syndrom und andere Hautreaktionen,
Müdigkeit, Gewichtsverlust sowie arterielle Hypertonie. Die Therapiekosten von
Sorafenib betragen bei einer empfohlenen Tagesdosis von zweimal 400 mg 160,12
EUR/d bzw. 58.445 EUR/Jahr. Im Oktober 2007 wurde die Zulassung von Sorafenib
um die Behandlung von Patienten mit Leberzellkarzinom erweitert.
Auf die im Vergleich mit Sorafenib ähnlichen UAW
(sehr häufig Hypothyreose, auch arterielle Hypertonie und Herzinsuffizienz; 10,
11) und auf klinische Studien mit Sunitinib bei Patienten mit
fortgeschrittenen gastrointestinalen Stromatumoren (GIST; 10) sind wir bereits
ausführlich eingegangen. Sunitinib wurde im Juli 2006 von der EMEA neben der
Behandlung von Imatinib-refraktären GIST-Patienten auch für die Therapie
fortgeschrittener, therapierefraktärer Nierenzellkarzinome zugelassen.
Bemerkenswert ist, dass bei vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem
Nierenzellkarzinom für Sunitinib bisher keine Ergebnisse aus randomisierten
kontrollierten Studien vorliegen. In Phase-2-Studien wurde als primärer Endpunkt
das Ansprechen auf Sunitinib untersucht und in zwei Studien eine partielle
Remission bei jeweils etwa 40% der Patienten erreicht. In einer offenen
Phase-3-Studie wurde bei Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom die
Wirksamkeit von Sunitinib mit Interferon alfa verglichen und eine Überlegenheit
für Sunitinib im ereignisfreien Überleben, bisher jedoch nicht im
Gesamtüberleben, gezeigt (12). Die Therapiekosten von Sunitinib betragen bei
der empfohlenen Tagesdosis von 50 mg/d für vier Wochen mit anschließender Therapiepause
von zwei Wochen 146 EUR/d und 53.287 EUR/Jahr.
Deferasirox (Exjade®; B) ist nach Deferipron (Ferriprox®; 13) der
zweite, von der EMEA zugelassene (August 2006), oral applizierbare
Chelatbildner zur Behandlung der chronischen Eisenüberladung auf Grund häufiger
Transfusionen bei Patienten mit Thalassaemia major (in Deutschland ca. 700
Patienten). Deferasirox ist auch zur Behandlung der chronischen,
transfusionsbedingten Eisenüberladung bei Patienten mit anderen Anämien
zugelassen, wenn eine Deferoxamin-Therapie kontraindiziert oder unangemessen
ist. In einer Phase-3-Studie wurde die Wirksamkeit unterschiedlicher Dosen von
Deferoxamin (Desferal®) oder Deferasirox bei Kindern (n = 299) und
Erwachsenen (n = 287) mit Thalassaemia major verglichen (14). Die Dosierung der
Eisenchelatbildner orientierte sich an der Eisenkonzentration in der Leber. In
beiden Behandlungsgruppen wurde die Eisenkonzentration in der Leber und das
Serum-Ferritin dosisabhängig gesenkt. Der primäre Endpunkt der Studie, eine
äquivalente Wirksamkeit von Deferasirox, konnte jedoch in den Dosisbereichen
< 20 mg/kg/d nicht erreicht werden. Vergleichende Studien von Deferasirox
mit einer Monotherapie mit Deferipron bzw. einer alternierenden oder sequenziellen
Therapie mit Deferipron und Deferoxamin wurden bisher nicht durchgeführt.
Häufigste UAW unter Therapie mit Deferasirox sind gastrointestinale Störungen,
Hautreaktionen und bei etwa einem Drittel der Patienten Erhöhung des
Serum-Kreatinins. Nach Markteinführung sind der FDA Fälle von Panzytopenie und
akutem Nierenversagen, z.T. mit tödlichem Ausgang, gemeldet worden. Daten zu
langfristig auftretenden UAW nach Deferasirox liegen noch nicht vor. Der in
Werbebroschüren des pharmazeutischen Herstellers von Deferasirox (Novartis)
vermittelte Eindruck, dass dieser Wirkstoff bereits heute als Standardtherapie
der chronischen Eisenüberladung gelten kann, ist falsch. Standardtherapie ist
weiterhin Deferoxamin und bei Patienten mit Thalassaemia major mit
Kontraindikation oder Unverträglichkeit von Deferoxamin bzw. Problemen in der subkutanen
Verabreichung sollte zunächst Deferipron unter Beachtung möglicher UAW, insbesondere
Neutropenie (vgl. 13), verordnet werden. Die Tagestherapiekosten für eine Dosis
Deferasirox von 20 mg/kg/d (102 EUR) sind nahezu gleich wie die von 40 mg/kg/d
Deferoxamin (106 EUR). Die Kosten für eine Therapie mit Deferipron (dreimal 25
mg/kg/d) betragen für einen 70 kg schweren Patienten knapp 30 EUR.
Dexrazoxan (Savene®; A) ist als Orphan drug zur Behandlung einer
Extravasation von Anthrazyklinen bei Erwachsenen zugelassen worden.
Akzidentelle Extra- bzw. Paravasate von Anthrazyklinen, die in weniger als 0,1%
aller Anthrazyklin-Gaben auftreten, können zu Ulzerationen und z.T. ausgedehnten
Nekrosen führen. Neben chirurgischer Intervention wurden bisher als lokale,
empirische Maßnahmen DMSO, intermittierende Kälteapplikation, Kortikosteroide
und die Hochlagerung der betroffenen Extremität empfohlen. Die Wirksamkeit von
Dexrazoxan wurde bisher in zwei offenen, unkontrollierten, multizentrischen
Phase-2-Studien an insgesamt 80 Patienten untersucht. Als primärer Endpunkt
wurde die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention nach akzidenteller
Anthrazyklin-Extravasation, am häufigsten nach Epirubicin, analysiert.
Insgesamt waren in beiden Studien nur 54 Patienten hinsichtlich Wirksamkeit
auswertbar, von denen ein Patient eine chirurgische Intervention benötigte.
Dexrazoxan sollte spätestens sechs Stunden nach Extravasation und dann an drei
aufeinander folgenden Tagen (Tag 1: 1000 mg/m2, Tag 2: 1000 mg/m2,
Tag 3: 500 mg/m2) als intravenöse Infusion über 1-2 Stunden
verabreicht werden. Als UAW bzw. unerwünschte Arzneimittelereignisse traten
insbesondere Schmerzen an der Injektionsstelle, gastrointestinale Störungen
sowie Leber- und Hämatotoxizität auf, wobei gastrointestinale Störungen bzw.
Hämatotoxizität auch durch die Anthrazyklin-haltige Chemotherapie ausgelöst
wurden. Patienten mit eingeschränkter Leber- und/oder Nierenfunktion wurden in
den Studien nicht untersucht und sollten deshalb nicht mit Dexrazoxan behandelt
werden. Die Kosten für die dreitägige Behandlung (2500 mg/m2
entsprechend 4500 mg/Patient) betragen 11.960 EUR. Seit Juni 2007 ist ein
anderes Präparat von Dexrazoxan (Cardioxane®) auch zur
Vorbeugung von chronischer kumulativer Kardiotoxizität durch Verwendung von
Anthrazyklinen zugelassen (vgl. 15), wobei sich die Dosierung (abhängig vom
verwendeten Anthrazyklin etwa 1000 mg/m2 30 Minuten vor Gabe des
Anthrazyklins) und insbesondere der Preis (ca. 2.624 EUR für 2500 mg/m2)
deutlich unterscheiden. Cardioxane® ist (bisher) nicht zur
Behandlung von Anthrazyklin-Extravasaten zugelassen, so dass eine
kostengünstige Therapie mit diesem Präparat derzeit ein Off-Label-Use ist. Unabhängig
von der Frage nach den Gründen für diese enormen Preisunterschiede ist jetzt
rasch eine Stellungnahme der Krankenkassen erforderlich, dass dieser
Off-Label-Use geduldet wird.
Entecavir (Baraclude®; B) ist ein Nukleosidanalogon zur Behandlung der
Hepatitis B. Wir haben das Medikament bereits eingehend besprochen (16).
Resistenzen gegen diese Substanz entwickeln sich vergleichsweise langsam. Bei
Lamivudin-Resistenz können aber auch gegen Entecavir Kreuzresistenzen
vorliegen. Dies ist unbedingt beim Einsatz dieses Medikaments zu bedenken. Als
Mittel der ersten Wahl würden wir Entecavir nicht empfehlen, da es in
Tierversuchen eine karzinogene Potenz gezeigt hat und noch keine Langzeitdaten
beim Menschen vorliegen. Tagestherapiekosten 16,23 EUR, Lamivudin (Epivir®)
4,23 EUR.
Fomepizol (Fomepizole OPi®; A). ist ein Alkoholdehydrogenase-Hemmer, der zur
Behandlung der akuten Ethylenglykolvergiftung (Frostschutzmittel) zugelassen
ist. Die Alkoholdehydrogenase setzt aus Ethylenglykol, das unverstoffwechselt
nicht toxisch ist, sehr toxische Spaltprodukte frei. Die übliche Therapie
dieser Vergiftung ist Äthylalkohol in hoher Dosierung, um die Dehydrogenase zu
besetzen und die renale Ausscheidung des nicht verstoffwechselten atoxischen
Ethylenglykols zu fördern. Bei schweren Vergiftungen wird hämodialysiert.
Fomepizol ist besser dosierbar als Äthylalkohol, aber teurer: eine Behandlung
kostet 7.300 EUR.
Gadofosveset (Vasovist®; B) ist ein paramagnetisches Kontrastmittel für die
MRT-Angiographie. An die besondere UAW der Gadoliniumkontrastmittel, die
nephrogene systemische Fibrose, sei erinnert (17). Die Kosten für die einmalige
Anwendung sind 142,91 EUR.
Hexaminolevulinat (Hexvix®; A) wird bei der Diagnostik des Blasenkarzinoms
eingesetzt. Das Prinzip der Fluoreszenszystokopie beruht auf der Anreicherung
des Fluorochroms in den Karzinomzellen. Es hat die Diagnostik des Carcinoma in
situ erleichtert. Kosten pro Anwendung 515,25 EUR.
Die Einführung des Impfstoffs gegen Humane
Papillomviren (HPV; Gardasil®; A) haben wir optimistisch, aber
auch kritisch begleitet (18). Zurzeit ist noch nicht klar, welchen zusätzlichen
Nutzen Frauen von der Impfung haben. Es ist dringend erforderlich, dass in
Registern erfasst wird, welche möglicherweise HPV-abhängigen Krankheiten bei
geimpften und nicht-geimpften Frauen auftreten. Bei den Krankenversicherungen
laufen alle Informationen zusammen, die ausgewertet werden könnten. Dies
geschieht bis heute leider nicht. Aus der Analyse dieser Daten ließe sich in
vielen Jahren die entscheidende Frage beantworten: werden Zervixkarzinom und
andere HPV-abhängigen Krankheiten durch die Impfung wirklich seltener?
Mittlerweile verbraucht die Impfaktion beträchtliche Teile des
Arzneimittelbudgets. Die Kosten für eine Grundimmunisierung sind in Deutschland
und Österreich im Vergleich zu USA unangemessen hoch (477 EUR bzw. 624 EUR bzw.
360 US $).
Ivabradin (Procoralan®; A) ist eine Substanz mit einem neuartigen Wirkprinzip.
Es senkt die Herzfrequenz durch Blockade eines kardialen If-Kanals,
der wie der Kalium- und Kalziumkanal für die Regulation der
Repolarisationsdauer verantwortlich ist. UAW auf die Kontraktilität des Herzens
und die glatte Gefäß- oder Bronchialmuskulatur fehlen. Ivabradin wurde im
Januar 2006 zur Behandlung der stabilen Angina pectoris bei Kontraindikation
von Betablockern zugelassen und wurde im gleichen Jahr bereits mehr als
10 000 mal verordnet (wie Rimonabant und Rotigotin s.u). Es gibt
Untersuchungen, die eine antianginöse Wirksamkeit nachweisen und die
vergleichbar sein soll mit der von Atenolol oder Amlodipin (19, 20, 21). Ob
sich die Behandlung mit der Substanz langfristig günstig auf die Häufigkeit von
Herzinfarkten oder auf die Letalität auswirkt, ist nicht bekannt. Wenn
Betablocker kontraindiziert sind (Zulassungsindikation), wird stattdessen heute
oft mit Kalziumantagonisten (speziell Verapamil) behandelt. Ob im Vergleich
dazu Ivabradin einen Zusatznutzen bringt, ist nicht untersucht. Bei etwa 15%
der Patienten treten durch die Wirkung auf die If-Kanäle der
Netzhaut eigentümliche Sehstörungen auf: Lichtblitze und helle Areale im
Gesichtsfeld. Über UAW, speziell auf die Retina bei chronischer Einnahme, ist
noch nichts bekannt. Die Tagestherapiekosten sind 2,47 EUR (Verapamil ~0,40
EUR, Metoprolol ~0,40 EUR). Es handelt sich um eine neuartige und besonders in
der Langzeittherapie noch unzureichend untersuchte teure Substanz. Sie sollte
zunächst nur in klinischen Studien angewandt werden.
Lanthankarbonat (Fosrenol®; A) wird als Phosphatbinder bei Dialysepatienten
eingesetzt, die auf die sonst üblichen Kalziumsalze mit schwerer Hyperkalziämie
reagieren. Tagestherapiekosten 11,61 EUR, Kalziumkarbonat 1,10 EUR.
Natalizumab (Tysabri®; A) ist ein humanisierter Antikörper gegen das Alpha4-Beta1-Integrin,
ein Adhäsionsmolekül, das u.a. auf Lymphozyten exprimiert wird. Der Antikörper
hemmt die Infiltration der Lymphozyten in das ZNS und soll so den Verlauf der
Multiplen Sklerose günstig beeinflussen. Drei Monate nach der Zulassung in den
USA (2005) wurde der Vertrieb wieder gestoppt, weil bei drei Patienten eine
progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) aufgetreten war. Alle bis
dahin weltweit behandelten 3116 Patienten wurden mit MRT und Liquorpunktion
nachuntersucht. Zusätzliche Patienten mit PML wurden nicht entdeckt. Daraufhin
wurde Tysabri 2006 wieder zugelassen (22) mit der Auflage, dass alle
behandelten Patienten registriert werden müssen. Diese Auflage fehlt bei der
europäischen Zulassung. Das ist bedauerlich. Es wäre ein großer Fortschritt für
die Arzneimitteltherapiesicherheit, wenn nach der Einführung aller neuen
Medikamente mit unklarem Risikoprofil alle behandelten Patienten in
Registern geführt werden müssten. Natalizumab sollte sicher nur mit genauer
Überwachung des Verlaufs und nur in spezialisierten Kliniken angewandt werden
(vgl. 31). Tagestherapiekosten etwa 80 EUR.
Rekombinantes humanes Parathormon (Preotact®;
C) ist zur Behandlung der Osteoporose
zugelassen worden. Ein sehr ähnliches Molekül ist unter dem Namen Forsteo®
bereits auf dem Markt (23). Das Wirkungs- und UAW-Spektrum ist noch
unübersichtlich. Beide Substanzen sind extrem teuer. Die Tagestherapiekosten
von Preotact® sind 19,45 EUR und damit etwa 15 mal höher als die der
Bisphosphonate. Die Parathormone haben keinen Platz in der Routinetherapie der
Osteoporose.
Pegaptanib (Macugen®; A) ist der erste Hemmstoff des vaskulären endothelialen
Wachstumsfaktors (VEGF), der für die Behandlung der feuchten, altersbedingten
Makuladegeneration zugelassenen wurde. Mittlerweile wurde er von Ranibizumab
(Lucentis®; 24) bzw. Bevacizumab (Off label: Avastin®; 25)
schon wieder verdrängt. Die Wirksamkeit der VEGF-Hemmung ist erwiesen. Die
Preisgestaltung der Hersteller beherrscht die Diskussion. Pegaptanib (0,3 mg)
kostet 854,15 EUR pro Injektion alle sechs Wochen, Bevacizumab (0,5 mg) bei
Off-label-Anwendung etwa 3 EUR.
Rimonabant (Acomplia®; A/C). wird zur Behandlung der Adipositas vermarktet. Das
Fazit unserer Besprechung (26) lautete „Rimonabant führt zu einer
signifikanten, aber selbst bei starker Adipositas nur wenig bedeutsamen
Gewichtsreduktion. Nach dem Absetzen steigt das Gewicht rasch wieder an. Die
daraus resultierende Notwendigkeit der fortwährenden Einnahme, die dadurch
entstehenden erheblichen Kosten und die UAW, vor allem die psychischen,
sprechen gegen die Anwendung. Es ist unverständlich, warum die EMEA Rimonabant
angesichts der problematischen grundlagenwissenschaftlichen Daten und ohne
Ergebnisse aus Langzeitstudien zugelassen hat”. Dem ist nichts hinzuzufügen
außer den Tagestherapiekosten: 3,35 EUR. Die gesetzlichen Krankenkassen
übernehmen die Kosten nicht.
Rotavirus-Impfstoff
monovalent (Rotarix®) und Rotavirus-Impfstoff pentavalent (RotaTeq®;
A) sind zugelassen, aber von der ständigen
Impfkommission (noch) nicht empfohlen worden. Das Fazit unseres Referates der
Zulassungsstudien (27) lautete: ”In Deutschland sind Rotaviren die häufigste
Ursache von Diarrhö bei Kleinkindern. Ein sicherer und effektiver Impfstoff ist
daher sehr erwünscht. Nach den Ergebnissen der Studien stehen zwei bezüglich Morbidität,
aber nicht Letalität wirksame und verträgliche orale Impfstoffe zur
Verfügung. Die bei einem früher zugelassenen Rotavirus-Impfstoff vermutete UAW,
dass nämlich durch die Impfung Invaginationen des Dünndarms häufiger auftreten,
wurde in beiden Studien nicht gefunden”. Die Grundimmunisierung mit RotaTeq®
kostet 192,63 EUR, mit Rotarix® 175,20 EUR.
Rotigotin (Neupro®;
C) ist ein Dopaminrezeptor-Agonist
zur transdermalen Anwendung bei M. Parkinson. In der klinischen Wirksamkeit ist
Rotigotin dem chemisch ähnlichen Ropinirol (Requib®; 28) nicht
überlegen. Der Zusatznutzen ist noch unklar (31), aber das Molekül ist lipophil
und daher transdermal resorbierbar. Das Pflaster muss alle 24 Stunden
gewechselt werden. Die Anwendungsart ist beliebt. Rotigotin gehört zu den
wenigen Medikamenten, die bereits im Jahr der Einführung mehr als 10 000
mal verordnet wurden. Die anderen beiden waren Rimonabant und Ivabradin - man
staunt (s.o.). Die Tagestherapiekosten für Neupro®-Pflaster sind
9,60 EUR, Ropinirol 6,56 EUR, Levodopa plus Benserazid 2,30 EUR.
Sitaxentan (Thelin®;
B) ist ein Endothelinrezeptor-Antagonist
zur Behandlung der pulmonalen Hypertonie. Bosentan (Tracleer®),
einen anderen Antagonisten dieser Art, haben wir besprochen (29). In einer
vergleichenden Untersuchung an 245 Patienten hatte sich die
Sechs-Minuten-Gehstrecke nach 18 Wochen Therapie mit Sitaxentan um 24,9 m
verlängert, bei Therapie mit Bosentan fast gleich um 23,0 m (Plazebo: -6,5 m; 30).
Es ist nicht nachgewiesen, dass die Therapie einen Einfluss auf die hohe
Letalität der Erkrankung hat. UAW sind häufig (Kopfschmerzen, Übelkeit, Ödeme).
Die UAW hinsichtlich der Leberfunktion sind seltener als bei Bosentan. Wegen
Interaktion mit CYP2C9 muss die Dosierung von Dicumarol deutlich zurückgenommen
werden. Die Tagestherapiekosten sind 117,50 EUR und damit ähnlich wie die von
Bosentan. Die Alternativen Iloprost (50,87 EUR) und Sildenafil (26,16 EUR) sind
deutlich billiger.
Ziconotid (Prialt®;
A) wurde zur intrathekalen Therapie
bei Patienten mit sonst nicht behandelbaren Schmerzen zugelassen. Es hemmt
N-Typ-Kalziumkanäle, die an der spinalen Schmerzleitung beteiligt sind und hat
damit einen anderen Ansatzpunkt als Morphin und Opioide. Nur 1% der
Schmerzpatienten müssen intrathekal behandelt werden, in der Regel mit Morphin.
Ein direkter Vergleich von Ziconotid intrathekal mit Morphin intrathekal ist
nicht bekannt. Vor allem psychiatrische und neurologische UAW müssen beachtet
werden. Die Tagestherapiekosten sind 60,26 EUR und damit 460mal höher als die
von Morphin. Sicher wird es nur sehr selten eine Indikation geben.
Zusammenfassung: Die neu zugelassenen Arzneimittel 2006 sind für die
Routine der täglichen Praxis wenig bedeutsam. Nur drei wurden im Jahr der
Zulassung mehr als 10 000 mal verordnet, insgesamt 37 800
Verordnungen (Rimonabant, Rotigotin, Ivabradin). Gardasil, der „Renner” des
Jahres 2007, wurde erst im Oktober 2006 zugelassen. Im Vorjahr waren es vier
mit insgesamt 325 000 Verordnungen. Es werden also weniger ganz neue
Medikamente verordnet. Auch die Verordnung der Medikamente, die in den letzten
zehn Jahren zugelassen wurden, nimmt ab (2005 = 27,5%, 2006 = 23,7% des
Gesamtumsatzes). Das verwundert nicht, denn das Preis-Leistungs-Verhältnis der
neuen Medikamente ist in der Regel schlechter als das der älteren: die Preise
der mittleren Tagesdosis sind höher, zum Teil viel höher, die Wirkungen und UAW
aber weniger gut bekannt. Die Hersteller nutzen bei der Preisgestaltung ihre
Monopolstellung und vertrauen auf das gute Funktionieren ihrer
Marketinginstrumente - aber die verordnenden Ärzte werden kritischer!
Literatur
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Schwabe, U., und Paffrath, D.:
Arzneiverordnungs-Report 2007. Springer, Berlin, Heidelberg, New York.
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Schiffer, C.A.: N. Engl. J. Med. 2007, 357,
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