Mehr als 350 Millionen Menschen sind weltweit mit dem
Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert (1). Die Infektion mit HBV kann zu
chronischen Lebererkrankungen, Leberzirrhose und hepatozellulärem Karzinom
führen (2). Viele Menschen jedoch sind mit dem Virus infiziert, haben keine
Symptome der Erkrankung und werden eventuell auch nie symptomatisch. Dieses
Stadium der Erkrankung wird als chronische Hepatitis B mit fehlender
entzündlicher Aktivität bezeichnet, früher auch symptomloser Träger (Carrier)
genannt. Bei diesen Individuen liegt in der Regel eine niedrige HBV-Replikation
in den Hepatozyten vor (3). Erhalten diese Menschen jedoch eine Behandlung mit
immunsuppressiven Substanzen, kann die HBV-Replikation steigen und zu einer
akuten Hepatitis unterschiedlicher Schwere bis hin zum fatalen akuten
Leberversagen führen (4). Rechtzeitiges Erkennen und der Beginn einer
Anti-HBV-Therapie kann manchen Patienten helfen. Manchmal kommt diese Therapie
jedoch zu spät, und es bleiben irreversible Leberschäden oder der Patient
stirbt im Leberversagen (5).
In einer Metaanalyse wurde daher der Frage
nachgegangen, ob eine präventive Behandlung mit Lamivudin bei HBsAg-positiven
Patienten, die eine Chemotherapie erhalten sollen, die HBV-Reaktivierung
verhindern und zur Senkung der Letalität beitragen kann (6). Für diese
Metaanalyse wurden alle Studien berücksichtigt, die bis Juni 2007 publiziert
waren, mehr als fünf Patienten in jede Gruppe eingeschlossen und präventiv
Lamivudin mit einer Vergleichsgruppe bei HBsAg-positiven Chemotherapie-Patienten
untersucht hatten. Nach einem aufwendigen Suchsystem konnten aus PubMed, Web of
Science, Cochrane, Toxnet, Ovid Medline und Scopus schließlich 14 Studien zu
diesen Einschlusskriterien gefunden werden. Von diesen 14 waren nur zwei
randomisiert prospektiv. Keine der Studien hat Lamivudin mit neueren
Anti-HBV-Medikamenten verglichen. In keiner der acht Studien, die UAW
dokumentierten, traten Lamivudin-assoziierte UAW auf. Insgesamt gab es 275
Patienten in der präventiven Lamivudin- und 475 in der Kontroll-Gruppe für den
primären Endpunkt HBV-Reaktivierung. Das relative Risiko der HBV-Reaktivierung
lag in der Lamivudin-Gruppe bei allen Studien niedriger als in der
Kontroll-Gruppe (zwischen 0 und 0,2). Insgesamt gab es neun HBV-Reaktivierungen
in der Lamivudin-Gruppe (n = 275) und 146 in der Kontroll-Gruppe (n = 475). In
den sieben Studien, in denen ein HBV-assoziiertes Leberversagen als Endpunkt
definiert war, kam es bei keinem Patienten unter Lamivudin (n = 108) zu diesem
Ereignis, aber bei 21 von 163 Patienten in der Kontroll-Gruppe.
Fazit:
Trotz der begrenzten Aussagekraft dieser Metaanalyse sollte bei HBsAg-positiven
Patienten, die eine Chemotherapie erhalten sollen, eine präventive
Lamivudin-Therapie erwogen werden. Nach jetzigem Kenntnisstand, der allerdings
überwiegend auf Expertenmeinung beruht, sollte diese vor der Chemotherapie
begonnen und nach Beendigung der Chemotherapie sechs Monate lang fortgeführt
werden (7). Größere randomisierte Studien sind notwendig, um die optimale Dauer
einer präventiven Lamivudin-Therapie zu ermitteln und den Nutzen neuerer
Anti-HBV-Medikamente (Entecavir, Telbivudin, Adefovir, Tenofovir) in dieser
Risikogruppe zu definieren.
Literatur
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Lok, A.S., und
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. Erratum ibid. 1347.
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