Zu diesem Thema erschien im JAMA ein interessanter
Kommentar von R.H. Unger (1). In den USA und in Europa sind zunehmend mehr
Menschen adipös als Folge von Überernährung und unzureichender körperlicher
Bewegung. Parallel dazu nehmen Inzidenz und Prävalenz des Diabetes mellitus Typ
2 (DM 2) zu. Zwei drastische Beispiele zeigen die entscheidende Bedeutung des
Übergewichts für die Manifestation des DM 2:
·
Im US-Staat Arizona und in den
Bergen Nord-Mexikos leben Pima-Indianer mit erheblichem genetischem DM 2-Risiko.
Die Prävalenz des DM 2 ist bei den meist überernährten in den USA lebenden
Indianern über 30%, während sie bei den infolge einer frugalen Diät schlanken
mexikanischen Indianern < 10% ist (2).
·
Viele extrem adipöse Menschen,
bei denen zur Gewichtsreduktion das Magenvolumen chirurgisch reduziert wird
(bariatrische Chirurgie, z.B. „gastric banding”), haben einen DM 2. Nach
drastischem postoperativem Gewichtsverlust verschwindet der manifeste DM bei
über 70% der Patienten (3).
Bei adipösen Nicht-Diabetikern ist die Plasma-Insulinkonzentration
meist erhöht, sowohl nüchtern als auch postprandial. Sie benötigen also zur
Erhaltung der Euglykämie mehr Insulin, ein Zustand, den man Insulinresistenz
nennt. Auch übergewichtige Patienten mit DM 2 haben trotz Hyperglykämie initial
meist erhöhte Insulinkonzentrationen im Plasma. Die Ursache der Hyperinsulinämie
und Insulinresistenz bei Zunahme der Körperfettmasse war lange ein Rätsel. Das
Fettgewebe sezerniert selbst einige Peptide (Leptin, Resistin, Adiponectin),
die die Wirksamkeit von Insulin behindern. Eine wichtigere Rolle scheinen aber bei
Adipösen außerhalb des Fettgewebes (ektop), z.B. in Muskeln und Leber,
abgelagerte Lipide und freie Fettsäuren (fFS) im Plasma zu spielen. Die
Plasmakonzentration fFS ist bei Adipösen und bei DM 2 erhöht. FFS hemmen die
Glukoseaufnahme in den Muskel dadurch, dass sie die durch Insulin bewirkte
Translokation des Glukosetransporters GLUT 4 in die Plasmamembran hemmen. In
der Leber, wo Insulin postprandial normalerweise die Glukoneogenese und
Glykogenolyse unterdrückt, wird durch fFS dieser Insulineffekt ebenfalls
behindert. Die verminderte Glukoseaufnahme in Muskelzellen und die behinderte
Unterdrückung der hepatischen Glukoseproduktion sind die wichtigsten Ursachen
der Hyperglykämie bei Diabetikern.
Bei länger bestehendem DM 2 nimmt die
Insulinsekretion meist ab. Als Ursache hierfür wird u.a. die Hyperglykämie
angesehen, die die Betazellen des Pankreas schädigt („Glukosetoxizität”). Lee
et al. zeigten jedoch schon 1994, dass sich bei adipösen diabetischen Ratten
auch in den Pankreasinseln ektop Lipide anhäufen, die zu einer toxischen Destruktion
von Betazellen führen können (4).
Da die Lipogenese im Fettgewebe und in der Leber
durch Insulin gefördert wird, sollte bei Insulinresistenz eigentlich weniger
Fett in diesen Organen akkumulieren. Paradoxerweise stimuliert Insulin aber
einen Transkriptionsfaktor (SREBP-1c), der die Lipogenese fördert (5), d.h. der
lipogenetische Effekt von Insulin ist von der Resistenz ausgespart.
Die pathogenetische Beziehung zwischen einer erhöhten
Energiebilanz und DM 2 scheint folgende Sequenz zu haben: Kalorischer
Überschuss à Hyperinsulinämie als Folge erhöhter fFS à
vermehrte Fettsynthese à ektope Fettablagerung (Muskel, Leber) à Hyperglykämie,
verstärkt durch spätere Betazell-Lipotoxizität. In diesem Lichte könnte man
teleologisch die verminderte Glukoseaufnahme in die Zellen als eine
kompensatorische Anpassung sehen, durch die weniger lipogenes Substrat (Glukose)
in die Zellen aufgenommen wird, jedoch um den Preis der Hyperglykämie.
Die therapeutischen Konsequenzen dieses Konzeptes
sind nahe liegend: Erste Priorität muss die Beseitigung der positiven
Energiebilanz durch Ernährungsumstellung und vermehrte Muskelarbeit haben.
Muskelarbeit vermindert zudem die Insulinresistenz in den beteiligten Muskeln.
Ziel soll bei adipösen DM 2-Patienten die Gewichtsabnahme sein, um welchen
Betrag auch immer. Auch die Verhinderung einer weiteren Gewichtszunahme ist schon
ein Erfolg. An zweiter Stelle steht im Rahmen einer pathophysiologisch
sinnvollen Therapie zunächst nichts. An dritter Stelle kommen Medikamente, die
die Verminderung des Körperfetts erleichtern, z.B. Metformin. Hier kämen auch
Appetitzügler und Verdauungshemmer wie Orlistat und Alpha-Glukosidase-Hemmer in
Betracht, doch haben sie alle im AMB mehrfach besprochene UAW. Thiazolidindione
(Glitazone) verbessern zwar die Insulinresistenz, haben aber ebenfalls
bedenkliche UAW und sind sehr teuer. Im Lichte dieses Konzepts kommen
Insulinstimulanzien wie Sulfonylharnstoffe oder Glinide und auch Insulin selbst
nicht gut weg. Bei Patienten mit bereits hochgradig reduzierter
Insulinsekretion führt natürlich kein Weg an einer Insulintherapie vorbei. Auch
gibt es ältere, meist nicht oder wenig übergewichtige DM 2-Patienten, die einen
primären Insulinmangel haben, verursacht durch erst später manifestierte
genetische Defekte oder durch Inselzell-Autoantikörper wie beim DM Typ 1. Für
solche Patienten ist die Insulintherapie eine echte Hormonsubstitution. Die von
uns kürzlich besprochene ACCORD-Studie (6) hat gezeigt, dass eine forcierte
Normalisierung des HbA1c-Werts bei meist übergewichtigen DM 2-Patienten zu
einer höheren Sterblichkeit führt im Vergleich mit dem Ziel, einen HbA1c-Wert
von ca. 7% zu erreichen. Der Grund der häufigeren Todesfälle ist noch unklar. Als
nächst liegende Ursache kommen Hypoglykämien infrage, jedoch könnte auch eine
durch die Insulintherapie weiter geförderte ektope Fettablagerung in Muskeln,
Herz und Leber eine Rolle spielen.
Fazit: Die
„lipozentrische Theorie” des Diabetes mellitus Typ 2 b basiert u.a. auf der
Beobachtung, dass die hyperglykämische Störung bei übergewichtigen DM
2-Patienten nach Gewichtsabnahme voll in Remission gehen kann. Primäres Ziel
der Therapie muss deshalb eine Reduzierung der Körperfettmasse sein (s.a. 7).
Literatur
-
Unger, R.H.: JAMA 2008, 299,
1185.

-
Ravussin, E., et al.:
Diabetes Care 1994, 17, 1067.

-
Dixon, J.B., et al.: JAMA
2008, 299, 316.

-
Lee, Y., et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 1994, 91, 10878.

-
Shimomura, I., et al.:
Mol. Cell. 2000, 6, 77.

-
Gerstein, H.C., et al.
(ACCORD = Action to Control CardiOvascular Risk
in Diabetes): Am. J. Cardiol. 2007,
99, 34i
; s.a. AMB
2008, 42, 27 und AMB 2008,
42, 59. 
-
Erdmann, J., et al.: Med. Welt 2008,
59, 83.
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