Das Akute Atemnotsyndrom beim Erwachsenen (Akutes
progressives Lungenversagen, Schocklunge oder Acute Respiratory
Distress-Syndrome = ARDS) ist gekennzeichnet durch akuten Beginn von Atemnot
mit Hypoxämie und diffusen pulmonalen Infiltraten. Es kann durch direkte
pulmonale Schädigungen, z.B. Aspiration, Pneumonien oder durch schwere
Allgemeinerkrankungen wie Sepsis oder Polytrauma ausgelöst werden.
Da Entzündungsmediatoren eine pathogenetische Rolle
spielen, wird versucht, durch Applikation antiinflammatorischer Kortikosteroide
die Prognose beim ARDS zu verbessern. J.V. Peter et al. aus Indien und
Australien veröffentlichten im BMJ eine Metaanalyse zur Wirksamkeit von Kortikosteroiden
in der Prophylaxe und in der Therapie bei bereits eingetretenem ARDS (1). Die
angewandten Dosen variierten zwischen 1 mg/kg/d und fast unglaublichen 120
mg/kg/d Methylprednisolon i.v. Das ARDS wurde nach einem amerikanisch-europäischen
Konsensus-Artikel definiert (2). Nur neun von 62 gefundenen Artikeln erfüllten
die von den Autoren gewählten wissenschaftlichen Qualitätskriterien. Primärer
Endpunkt war die Letalität im Krankenhaus. Die Auswertung erfolgte mit einem
hierarchischen statistischen Modell nach Bayes, bei dem die Odds ratios (OR)
nicht durch Konfidenzintervalle, sondern durch Kredibilitäts-Intervalle ergänzt
werden. Der Wahrscheinlichkeitsgrad der OR wird durch eine Prozentzahl ausgedrückt,
z.B entspräche 90% einer hohen Wahrscheinlichkeit.
Drei randomisierte Studien zur prophylaktischen
Anwendung von Kortikosteroiden bei insgesamt 154 Patienten mit großem Risiko,
ein ARDS zu entwickeln, wurden ausgewertet. Davon hatten 88 Patienten Kortikosteroide
und 66 Plazebo erhalten oder waren „Kontrollen”. Es war kein präventiver Effekt
zu erkennen, vielmehr starben mehr Patienten in der Verum-Gruppe (OR: 1,52;
Wahrscheinlichkeit eines schädlichen Effekts: 72,8%).
Fünf Studien zur Kortikosteroidtherapie bei bereits
eingetretenem ARDS mit insgesamt 571 Patienten (303 Verum, 268 Kontrollen) wurden
ausgewertet. Die OR war 0,62 mit breitem Kredibilitätsintervall (0,23-1,26), so
dass die Wahrscheinlichkeit eines „echten” therapeutischen Effekts mit 6,8%
recht niedrig angegeben wird. Weder in dieser Gruppe noch bei den Studien zur
Prävention hatten relativ niedrig dosierte Kortikosteroide einen Effekt auf die
Entstehung neuer Infektionen, während sich bei sehr hohen Dosen ein Trend zur Begünstigung
neuer Infekte ergab.
Die Probleme der Prävention und Behandlung des ARDS
und die Prinzipien der „Bayesian statistics” werden kompetent in einem
Editorial von N.K. Adhikari und D.C. Scales aus Toronto kommentiert (3).
Fazit: Von
dem Versuch, einem ARDS bei schwer kranken Patienten mit einer
Kortikosteroid-Therapie vorzubeugen, ist nach dieser Metaanalyse abzuraten. Eine
solche Therapie ist bei bereits eingetretenem ARDS allerdings mit einem Trend
zur Verminderung der Letalität assoziiert. Sehr hohe Tagesdosen der Kortikosteroide
sollten dabei vermieden werden. Wahrscheinlich muss man aber das ARDS - den
verschiedenen Auslösern entsprechend - differenzierter betrachten, um in
Studien die Patienten herauszufinden, die wirklich von Kortikosteroiden
profitieren.
Literatur
-
Peter, J.V., et al.:
BMJ 2008, 336, 1006.

-
Bernard, G.R., et al.:
Am. J. Respir. Crit. Care Med. 1994, 149, 818.

-
Adhikari, N.K., und Scales, D.C.:
BMJ 2008, 336, 969.

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