Epoetine sind biotechnisch hergestellte Varianten des
körpereigenen Erythropoietins. Diese Erythropoese-stimulierenden Arzneimittel
(ESA), neuerdings aufgrund der Verfügbarkeit von Biosimilars auch als
Epoetin-Analoga bezeichnet, sorgen nicht nur bei der Tour de France weiterhin
für Schlagzeilen. Die Gabe von ESA ist mit schwerwiegenden, zum Teil
lebensbedrohlichen Risiken verbunden, die sowohl bei Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz als auch bei Tumorpatienten mit Chemotherapie-assoziierter
Anämie beobachtet wurden (1). Wir haben ausführlich über Warnhinweise der US
Food and Drug Administration (FDA) zur Verordnung der ESA bei Tumor- und
renaler Anämie berichtet (2), die inzwischen auch zu Änderungen der Produkt-
und Patienteninformationen geführt haben (3). Auch die europäische
Arzneimittel-Agentur (EMEA) hat die Sicherheit der Verordnung von ESA bei
Tumorpatienten gründlich analysiert (4). Über die von der EMEA angeordneten
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung von ESA bei
Tumorpatienten mit Chemotherapie-assoziierter Anämie, aber auch für Patienten
mit chronischer Niereninsuffizienz, hat nach Abschluss der Risikobewertung in
der Europäischen Union (EU) am 24.7.2008 das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) informiert (5). Insgesamt liegen der FDA bzw. EMEA
inzwischen Ergebnisse von acht randomisierten, kontrollierten klinischen
Studien bei Patienten mit malignen Lymphomen, Tumoren im Kopf-Hals-Bereich,
Mamma-, Zervix- und nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom vor, in denen unter Gabe
von ESA vermehrt thromboembolische Ereignisse, eine Stimulation des
Tumorwachstums und/oder eine erhöhte Letalität beobachtet wurde. Über einige
dieser klinischen Studien haben wir bereits berichtet (6). Besondere
Aufmerksamkeit fand eine kürzlich im JAMA publizierte Metaanalyse von 51
Phase-III-Studien, in denen ESA mit Plazebo oder Standardbehandlung bei Tumorpatienten
mit Anämie verglichen wurden (7). Insgesamt wurden 13 611 Patienten in 51
klinischen Studien hinsichtlich Überleben und 8 172 Patienten in 38
klinischen Studien hinsichtlich der Häufigkeit thromboembolischer Ereignisse
ausgewertet. Tumorpatienten, die mit ESA behandelt wurden, hatten sowohl ein
signifikant erhöhtes Risiko für Thromboembolien (334 Ereignisse/4 610 mit
ESA behandelte Patienten vs. 173 Ereignisse/3 562 Kontrollpatienten = 7,5%
vs. 4,9%; Relatives Risiko: 1,57; 95%-Konfidenzintervall = CI: 1,31-1,87) als auch
ein erhöhtes Risiko zu sterben (Hazard Ratio: 1,10; CI: 1,01-1,20). Angesichts
dieser alarmierenden Ergebnisse und der auch in Deutschland zu häufigen
Verordnung von ESA bei Tumorpatienten ist eine Neubewertung des
Nutzen-Risiko-Verhältnisses dieser Wirkstoffe bei Behandlung der
Chemotherapie-assoziierten Anämie dringend erforderlich. Als Orientierung für
eine rationale Verordnung bei Tumorpatienten mit symptomatischer Chemotherapie-assoziierter
Anämie können neben den oben genannten Warnhinweisen der FDA und EMEA (3, 4)
die aktuellen Empfehlungen der American Society of Hematology bzw. der American
Society of Clinical Oncology, aber auch eine Empfehlung des National Institute
for Health and Clinical Excellence (NICE) herangezogen werden (8, 9). In diesen
Empfehlungen werden auch die inzwischen gut bekannten Risiken der ESA adäquat
berücksichtigt.
Laufende und zukünftige klinische Studien werden sich
mehr als in der Vergangenheit mit unbeantworteten Fragen zu den biologischen
und klinischen Wirkungen von ESA bei Tumorpatienten beschäftigen müssen. Hierzu
zählen unter anderem die funktionelle Bedeutung von Erythropoietin-Rezeptoren
auf Tumorzellen, der Einfluss von ESA auf die „Lebensqualität”, die Ätiologie
der durch ESA ausgelösten thromboembolischen Ereignisse und der Einfluss von
ESA auf die Prognose unterschiedlicher Tumorerkrankungen. Nur die rationale
Verordnung der ESA zur Behandlung der Chemotherapie-assoziierten Anämie und
seriöse wissenschaftliche Untersuchungen werden verhindern, dass sich das für
die ESA als „annus horribilis” apostrophierte Jahr 2007 bald wiederholt (10). Der
von der AOK Baden-Württemberg mit der Roche Pharma AG abgeschlossene
Arzneimittel-Vertrag zu Epoetin beta (NeoRecornom®) bzw. Methoxy Polyethylenglycol
Epoetin beta (Mircera®) und die mit der Pressemitteilung der AOK
verbreiteten Zusatzinformationen der Roche Pharma AG zur „Blutarmut als
Hauptursache der Fatigue bei onkologischen Patienten” und deren Therapie mit
NeoRecormon® sind ein falsches Signal (11).
Fazit: Acht,
bisher nur zum Teil publizierte klinische Studien zum Einsatz von ESA bei
Chemotherapie-assoziierter Anämie unterschiedlicher Tumorerkrankungen haben eindeutige
Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Komplikationen, eine
Stimulation des Tumorwachstums und/oder eine erhöhte Letalität ergeben. Die
Beachtung der Warnhinweise und aktuellen Anwendungsbeschränkungen der FDA und
EMEA für ESA bei Tumorpatienten ist deshalb sehr wichtig (s. Tab. 1).
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen, die nach Gabe von ESA auftreten, sollten
der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft oder dem BfArM konsequent
gemeldet werden.
Literatur
-
AMB 2007, 41,
13b.

-
AMB 2007, 41,
38.

-
http://www.fda.gov/cder/drug/infopage/RHE/default.htm

-
http://www.emea.europa.eu/pdfs/human/press/pr/33396308en.pdf

-
http://www.bfarm.de/cln_030/nn_421158/DE/Pharmakovigilanz/risikoinfo/epo.html__nnn=true

-
AMB 2004, 38,
07.

-
Bennett, C.L., et al.:
JAMA 2008, 299, 914.

-
Rizzo, J.D., et al.:
Blood 2008, 111, 25
.
Erratum: Blood 2008, 111, 3909.
-
http://www.nice.org.uk/guidance/index.jsp?action=byID&o=11990

-
Steensma, D.P.: J.
Clin. Oncol. 2008, 26,
3083
.
-
http://www.aok.de/bawue/rd/198767.php

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