Alle freuen sich über ein positives
Studienergebnis: der Hersteller, weil er mit einer Zulassung des
getesteten Medikaments und Umsatzsteigerung rechnen kann, die Wissenschaftler, weil sie die Wirksamkeit eines neuen Arzneimittels
beweisen konnten, und die Herausgeber der Zeitschrift, weil die
Publikation einer wirksamen Behandlung das Ansehen der Zeitschrift hebt.
Doch was passiert, wenn eine Studie mit
einem negativen Ergebnis endet? Wenn nicht gezeigt werden konnte, dass das neue
Medikament besser ist als die bisherige Standardtherapie? Solche Studien werden
möglicherweise gar nicht erst zur Publikation eingereicht, entweder, weil die
Wissenschaftler sich erst gar nicht die Arbeit machen, sie zu schreiben, oder
weil der Hersteller die Publikation nicht fördert oder gar verhindert - hängen
doch die Wissenschaftler häufig am Tropf von Fördermitteln aus der Industrie.
Oder die Publikation von negativen Resultaten wird von Herausgebern und Peer-Reviewern
abgelehnt: nicht interessant genug und wissenschaftlich fragwürdig. Viele
Studien werden als „Überlegenheitsstudien” geplant und von der Fallzahl her
entsprechend „gepowert”. Kann die Überlegenheit der neuen Therapie statistisch
nicht bewiesen werden, heißt das aber noch lange nicht, dass die verglichenen
Behandlungsweisen gleichwertig sind. Hierzu wäre die Durchführung einer
Äquivalenzstudie erforderlich, die mit ungleich größerem Aufwand (meist
doppelte Fallzahl erforderlich) verbunden ist. Das negative Studienergebnis
sagt also oft gar nichts aus, denn die Überlegenheit ist nicht erwiesen, die Gleichwertigkeit
aber auch nicht.
Der
vermeintliche Nutzen eines Medikaments wird verzerrt, wenn Studien mit
negativen Ergebnissen nicht publiziert werden. Dies ist unter der Bezeichnung
Publication bias bekannt (vgl. 1). In systematischen Übersichtsarbeiten und
Metaanalysen wird mit verschiedenen Methoden (z.B. der Funnel-Plot) versucht,
einen möglichen Publication bias abzuschätzen. Beim Funnel-Plot werden Fallzahl und
Effektgröße aller Studien in ein Koordinatensystem eingetragen. Unter der
Vorstellung, dass die Studienergebnisse um den wahren Wert streuen und die
Streuung bei zunehmender Fallzahl geringer wird, sollte sich normalerweise das
Bild eines umgekehrten Trichters (Funnel) ergeben. Ein asymmetrischer
Funnel-Plot wird als Hinweis auf einen Publication bias angesehen. Dieses
Verfahren wird häufig als spekulativ angegriffen und stürzt die Fachwelt
in Glaubenskriege.
Autoren der Abteilung für Psychiatrie und
der Abteilung für Pharmakologie der Oregon Health and Science University haben
nun einen anderen Weg beschritten, um dem Publication bias auf die Spur zu
kommen. Sie analysierten Daten der zwischen 1987 und 2004 bei der FDA (Federal
Drug Administration) in den USA eingereichten Phase-2- und Phase-3-Studien
(alles randomisierte kontrollierte Studien) für die Zulassung von
Antidepressiva und suchten in den medizinischen Datenbanken nach den
Publikationen dieser bei der FDA registrierten Studien (2).
Von den 74 bei der FDA registrierten
Studien (12 564 Patienten) sind 23 (3 449 Patienten) nicht in der
medizinischen Fachliteratur publiziert worden (31%!), wobei sich die
durchschnittliche Patientenzahl in den publizierten Studien (n = 153) nicht
signifikant von der in den unpublizierten unterschied (n = 146). Die Ergebnisse
der publizierten Studien differierten hochsignifikant von den unpublizierten.
Die FDA stufte das Ergebnis von 38 der 74 Studien als positiv ein, d.h. nur in
51% der bei der FDA eingereichten Studien konnte die Wirksamkeit des untersuchten
Antidepressivums nachgewiesen werden. Von diesen 38 Studien mit positivem Ergebnis
sind 37 publiziert worden. Nur für eine positive Studie ließ sich keine
Publikation bei der Literaturrecherche finden. Ganz anders bei den 36 von der
FDA als negativ (24) oder fragwürdig (12) beurteilten Studien. Von diesen 36
Studien wurden nur drei mit ihrem wahren negativen Ergebnis publiziert. Bei elf
Studien wurde das Ergebnis durch Weglassen des ursprünglich im Protokoll
definierten primären Zielkriteriums („selective reporting”) oder durch
posthoc-Definition von primären Zielkriterien in der Publikation so
manipuliert, dass es positiv erschien. 22 der negativen bzw. fragwürdigen
Studien wurden nie publiziert.
Erstaunlich waren auch die Unterschiede
beim Vergleich der Medikamenteneffekte: diese wurden in den medizinischen Publikationen
um bis zu 69% (Durchschnitt 32%) größer angegeben als in der Bewertung durch die
FDA (negative und fragwürdige Studien einbezogen), und zwar für alle
untersuchten Substanzen (Citalopram, Escitalopram, Duloxetin, Fluoxetin,
Mirtazapin, Paroxetin, Venlafaxin, Sertralin u.a.).
Fazit: Es ist zu befürchten, dass Effekte von Arzneimitteln
durch Publication bias generell überschätzt werden. Er kann mit statistischen Techniken
wahrscheinlich nicht mit Sicherheit aufgedeckt oder ausgeschlossen werden (gleiche
Fallzahl bei publizierten und nicht publizierten Studien!). Untersuchungen, wie
die hier für Antidepressiva referierte, sind auch für andere Substanzklassen zu
fordern. Die Zulassungsbehörden sollten alle abgeschlossenen Studien
transparent machen und die Herausgeber der Fachjournale mehr Mut zeigen, auch Studien
mit negativen Ergebnissen zu publizieren.
Literatur
-
AMB 2003, 37,
55a.

-
Turner, E.H., et al. N.
Engl. J. Med. 2008, 358, 252.

|