Während eines normal langen Lebens schlägt das
menschliche Herz ca. 2-3 Milliarden mal.
Nach einer häufig zu lesenden Theorie besteht eine inverse semilogarithmische Beziehung
zwischen der Ruhe-Herzfrequenz und der Lebenserwartung: Je langsamer das Herz
schlägt, desto länger leben wir. Beobachtungen
bei Säugetieren scheinen diese Theorie zu bestätigen. Meerschweinchen mit ihrer
Herzfrequenz von 160-270/min haben eine Lebenszeit von 4-8 Jahren. Ein Hund mir
seiner Herzfrequenz zwischen 110 und 150/min lebt 12-20 Jahre, und ein Elefant
kann > 100 Jahre alt werden bei einer Herzfrequenz zwischen 35 und 40/min. Viele
kardiologische Studien haben zudem nachgewiesen, dass eine hohe Herzfrequenz in
Ruhe (ab 75-80/min) bei Herzkrankheiten allgemein und besonders bei Koronarer
Herzkrankheit (KHK) prognostisch ungünstig ist.
Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen
sucht nun ein neues Arzneimittel seine Indikation: Ivabradin (Procoralan®,
Servier). Diese Substanz hemmt
selektiv und spezifisch den Ionenstrom im sog. Funny-Channel (If-Inhibitor), der sich im Sinusknoten
des Herzens befindet (vgl. 1). Ivabradin senkt bei Menschen mit Sinusrhythmus in
Ruhe und unter Belastung die Herzfrequenz um 5-10 Schläge/min. Nach derzeitigem
Wissen ist Ivabradin bei Vorhofflimmern unwirksam. Es beeinflusst nicht die intraatriale,
atrioventrikuläre oder intraventrikuläre Reizleitung und auch nicht die
myokardiale Kontraktilität oder die ventrikuläre Repolarisation (QTc-Zeit).
Die Senkung der
Herzfrequenz verringert die Herzarbeit und den myokardialen Sauerstoffverbrauch.
Hierdurch entsteht bei KHK ein antianginöser Effekt. Ivabradin hat seit Oktober 2005 die
europäische Zulassung für die Behandlung der chronischen stabilen Angina pectoris
bei Patienten mit Sinusrhythmus bei Kontraindikationen für bzw. Unverträglichkeit
von Betablockern. Es handelt sich also um ein „Reserve-Antianginosum”.
Ivabradin ist nicht indiziert bei instabilen Koronarsyndromen oder reaktiven bzw. unklaren
Sinustachykardien. Da Ivabradin über CYP3A4 verstoffwechselt wird, ist bei gleichzeitiger
Anwendung von CYP3A4-Hemmern (z.B. Amiodaron, Verapamil, Diltiazem,
Grapefruitsaft, Omeprazol, Simvastatin, Azol-Antimykotia, Makrolidantibiotika etc.)
Vorsicht geboten, ebenso in der Schwangerschaft und Stillzeit. Da sich If-Kanäle
auch in der Netzhaut befinden, kommt es häufig (14,5%) zu visuellen Symptomen
(sog. Phosphene: vorübergehende verstärkte Helligkeit in einem begrenzten
Bereich des Gesichtsfelds). Die Wirkungen einer Langzeitbehandlung mit
Ivabradin auf die Augen sind nicht bekannt. Ein Therapieabbruch sollte in jedem
Fall erwogen werden, wenn eine unerwartete Verschlechterung der Sehkraft
auftritt. Insbesondere bei Patienten mit Retinitis pigmentosa ist Vorsicht
angebracht.
Die größte Studie zu Ivabradin trägt das sehr
euphemistische Akronym BEAUTIFUL und wurde kürzlich im Lancet veröffentlicht (2).
Die Studie sollte prüfen, ob durch Hinzufügen von Ivabradin zur medikamentösen Standardtherapie (Betablocker, ASS) kardiovaskuläre Todesfälle
und Morbidität bei stabiler KHK vermindert werden können. Für diese Indikation
ist Ivabradin übrigens nicht zugelassen. Es geht offenbar bei dieser Studie um
eine Ausweitung der Indikation.
Eingeschlossen wurden Patienten > 55
Jahre mit einer über drei Monate stabilen KHK und eingeschränkter
linksventrikulärer Funktion (LVEF < 40%, LVEDD > 56 mm). Die Patienten
mussten Sinusrhythmus und einen Ruhepuls von mindestens 60/min haben. In den
Jahren 2005-2006 wurden an 781 Zentren in 33 Ländern insgesamt 12 473
Patienten gescreent, von denen schließlich 10 917 (87,5%) eingeschlossen
wurden. Das mittlere Alter betrug 65,2 Jahre, 37% waren Diabetiker, 88% hatten
einen Myokardinfarkt und 52 eine koronare Revaskularisation (PCI, CABG) in der
Vorgeschichte. Die Studie ist extrem „männerlastig” (83%).
In einem doppeltblinden Studiendesign erhielt jeweils
die Hälfte der Patienten Ivabradin (zweimal 5 mg/d bis maximal zweimal 7,5 mg/d)
oder Plazebo, zusätzlich zu ihrer Standardmedikation (87% Betablocker, 44%
Nitrate, 90% ACEH/AT-II-RB). Ziel war ein Ruhepuls unter 60/min, jedoch nicht
unter 50/min. Um dies zu erreichen, wurde bei den Visiten die Dosierung
entsprechend angepasst. Dieses Vorgehen dürfte zumindest teilweise die
Verblindung aufgehoben haben, weil nur Ivabradin und nicht Plazebo die
Herzfrequenz senkt. Primärer Endpunkt der Studie war eine Kombination von
kardiovaskulärem Tod, Krankenhausaufnahme wegen akuten Myokardinfarkts oder
Verschlechterung der Herzinsuffizienz. Sekundäre Endpunkte waren u.a.
Gesamtletalität und Koronarinterventionen. Ursprünglich war eine 28-monatige
Nachbeobachtung vorgesehen. Bei erwarteten Ereignissen von 11% sollten über 9 000
Patienten eingeschlossen werden, um statistisch eine mindestens 19%ige
Reduktion der Ereignisse unter Ivabradin nachweisen zu können.
Ergebnisse:
Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug dann aber nur 19 Monate. Dies begründen
die Autoren, die allesamt Honorare und/oder Forschungsgelder von Servier erhalten
haben, damit, dass im Laufe der Studie mehr Ereignisse aufgetreten sind, als
erwartet und die statistischen Vorgaben somit vorzeitig erfüllt waren. Zum Zeitpunkt
des Ziel-Ereigniswerts waren aber viele Patienten erst wenige Wochen in der
Studie. Um diese wenigstens 12 Monate lang zu beobachten, beschloss das
Executive Committee der Studie, das ursprüngliche Konzept eines „Event driven
trials” zu verlassen und BEAUTIFUL als ein „Time driven trial” weiterzuführen.
Bei allem Verständnis für diese Entscheidung bleibt festzuhalten, dass hier das
Design während der laufenden Studie verändert und dadurch das Ergebnis
möglicherweise beeinflusst wurde.
Die mittlere Ivabradin-Dosis betrug etwa 12 mg/d, 40%
der Patienten nahmen die vorgegebene Maximaldosis von zweimal 7,5 mg/d ein. Wegen
UAW setzten 28% der Patienten Ivabradin wieder ab (16% in der Plazebo-Gruppe),
überwiegend wegen Bradykardie. Ansonsten war die Verträglichkeit gut und
ähnlich wie die von Plazebo.
Nach sechs Monaten war die mittlere Herzfrequenz
unter Ivabradin um 7,2 Schläge/min niedriger als unter Plazebo. Dieser Effekt
fand sich auch nach 12 und 24 Monaten (6/min bzw. 5/min). Trotz dieser
signifikanten und anhaltenden Senkung der Herzfrequenz waren die Ergebnisse
enttäuschend. Die Intention-to-treat-Analyse ist in Tab. 1 wiedergegeben. In
der Gesamtpopulation wurde bei keinem Endpunkt ein signifikant günstiges
Ergebnis erreicht.
Daher wurden nun Subgruppen analysiert.
Dabei ist bemerkenswert, dass die Subgruppe „Patienten mit
Ausgangs-Herzfrequenz > 70/min” in der gesamten Veröffentlichung als
vordefiniert bezeichnet wird. Demgegenüber ist aber im Methodikteil zu lesen,
dass diese Gruppe erst definiert wurde, als die Studie bereits lief. Somit
handelt es sich wohl eher um eine versteckte Posthoc-Analyse. Diese Subgruppe
der Patienten mit einer Ausgangs-Herzfrequenz > 70/min (49,4% aller
Patienten, davon 84% mit Betablocker) ist insofern interessant, weil es die
einzige ist, bei der sich ein gewisser zusätzlicher Nutzen von Ivabradin im
Vergleich mit der Standardtherapie fand. Diese Patienten erreichten zwar auch
nicht seltener den primären Endpunkt, jedoch wurden im Nachbeobachtungszeitraum
weniger Patienten wegen Myokardinfarkten ins Krankenhaus aufgenommen und
weniger Revaskularisationen durchgeführt (vgl. Tab. 1). Bei allen anderen zehn
untersuchten Subgruppen (Diabetiker, Frauen, alte Patienten etc.) fand sich
kein Vorteil von Ivabradin. Eine statistische Adaptation der Ergebnisse für
multiples Testen wurde offenbar nicht durchgeführt. Man kann Datensätze so oft
zerlegen und testen bis schließlich doch ein statistischer Unterschied
herauskommt.
An der Studie muss als „not beautiful” kritisiert
werden, dass die verwendeten Dosierungen der Betablocker nicht angegeben sind.
Die Subgruppe mit einer Herzfrequenz > 70/min könnten ja solche Patienten
sein, bei denen der Betablocker zu niedrig dosiert war. Für das Verständnis der
Studie ist dies eine unerlässliche Information.
Das überwiegend negative Ergebnis der
BEAUTIFUL-Studie wird in den Presseaussendungen von Servier als Erfolg
beworben. Der errechneten Risikoreduktion von 36% (Myokardinfarkt) und 30% (Revaskularisationen)
in der besagten Subgruppe stehen jedoch eine Number needed to treat von 56 bzw.
83 über 19 Monate und außerdem sehr hohe Kosten gegenüber. Noch wichtiger ist
aber der Hinweis, dass Ivabradin in der untersuchten und beworbenen Indikation
gar nicht zugelassen ist (s.o.).
Fazit: Die Ergebnisse der BEAUTIFUL-Studie
mit Ivabradin sind nach unserer Einschätzung kärglich und können den Einsatz des neuen Präparats weder bei
instabiler noch bei stabiler KHK begründen. Auch für den Ablauf der Studie (interkurrente Verkürzung
der Nachbeobachtungszeit, keine echte Verblindung möglich) und für die Darstellung
der Ergebnisse (versteckte Post-hoc-Analyse, keine Angaben zur Betablockerdosis)
ist kein Schönheitspreis zu verleihen.
Die Tagestherapiekosten für Ivabradin betragen etwa 2,50 EUR (Metoprolol etwa
0,30 EUR).
Literatur
-
AMB 2008, 42, 01.

-
Fox, K., et al.
(BEAUTIFUL = The morBidity-mortality EvAlUaTion
of the I(f) inhibitor ivabradine in patients with coronary disease and
left ventricULar dysfunction): Lancet 2008, 372, 807.

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