Einnahme von Östrogenen
nach „Totaloperation”
Frage von
Dr. F.-R.G. aus Dortmund: >> In Ihrem Artikel zur LIFT-Studie (1)
schreiben Sie: „Für Frauen jenseits des 60. Lebensjahres gibt es grundsätzlich
keine Indikation für die Verordnung von Östrogenen”. Gilt dies kategorisch auch
bei Patientinnen nach Totaloperation? Ich war der Meinung, dass die WHI-Studien
den Verdacht nahelegen, dass die schädigenden Wirkungen, z.B. erhöhte Rate von
Schlaganfällen, besonders dann auftreten, wenn schon Schäden an den Gefäßen
bestanden, bevor Östrogene eingenommen wurden. Ich erlebe es gelegentlich, dass
Östrogene seit der Totaloperation, die schon Ende des 40. oder des 50.
Lebensjahres stattgefunden hat, noch durchgehend bis ins 80. Lebensjahr
eingenommen werden. <<
Antwort:
>> Grundsätzlich gibt es auch für hysterektomierte oder „total”-operierte
Frauen nach dem 60. Lebensjahr keine Indikation für eine sogenannte
Hormonersatz-Therapie. Wenn eine Frau deutlich vor dem physiologischen
Menopausenalter (um das 50. Lebensjahr) ovariektomiert werden muss, dann ist
bei Fehlen von Kontraindikationen eine Östrogentherapie im Sinne einer echten
Substitution sicher indiziert. Ab dem 50. Lebensjahr gelten aber die gleichen
Erwägungen für eine weitere Hormontherapie wie bei nicht ovariektomierten
Frauen, das heißt, eine Östrogentherapie sollte nur bei erheblichen
klimakterischen Beschwerden begonnen und möglichst bald „ausgeschlichen”
werden. Das Ovar der postmenopausalen Frau sezerniert praktisch keine Östrogene
mehr. Das Ovarialstroma sezerniert nur noch kleine Mengen Androgene. Die
niedrigen Östrogenkonzentrationen im Serum postmenopausaler Frauen werden fast
ausschließlich durch Umwandlung (Aromatisierung) von Dehydroepiandrosteron und
Androstendion aus der Nebenniere in peripheren Geweben (besonders Fettgewebe)
unterhalten. Deshalb haben adipöse postmenopausale Frauen durchschnittlich
höhere Östrogenwerte im Serum als magere Frauen.
Die Verordnung von Östrogenen nach Totaloperation bis
ins hohe Lebensalter ist also nicht indiziert und beruht auf einem
Missverständnis der Physiologie der ovariektomierten älteren Frau. Diese
Behandlung ist vermutlich mit ähnlichen Risiken verbunden wie eine Östrogen-
oder Östrogen/Gestagen-Behandlung von nicht operierten Frauen. Zwar sprechen einige
Studien dafür, dass eine Östrogenbehandlung hinsichtlich kardiovaskulärer
Komplikationen risikoärmer ist, wenn bei Behandlungsbeginn noch keine
Arteriosklerose vorliegt. Es ist jedoch keineswegs bewiesen, dass eine früh
begonnene Östrogentherapie die Entstehung der Arteriosklerose verhindert und
somit eine Fortsetzung der Therapie bis ins hohe Alter risikoarm wäre. Für das
Brustkrebs-Risiko gilt diese Erwägung ohnehin nicht. (vgl. 2-4). <<
Literatur
-
Cummings, S.R., et al.
(LIFT = Long-term Intervention
on Fractures with Tibolone): N. Engl. J. Med. 2008, 359,
697.
AMB 2008, 42, 98. 
-
AMB 2006, 40,
57.

-
AMB 2007, 41,
85.

-
AMB 2008, 42,
47a.

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