Zusammenfassung:
Hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit sind alle von der EMEA zugelassenen
Erythropoese-stimulierenden Arzneimittel (ESA), einschließlich der oben
genannten Biosimilars, äquivalent. Biosimilars können deshalb bei Beginn einer
Behandlung der renalen oder symptomatischen Chemotherapie-assoziierten Anämie
ebenso eingesetzt werden wie ein biopharmazeutisches Referenzarzneimittel. Wird
ein Patient bereits mit einem Biopharmazeutikum behandelt und soll z.B. aus
Kostengründen von dem Originalprodukt auf ein biosimilares Arzneimittel
umgestellt werden, sind die zugelassenen Anwendungsgebiete und gegebenenfalls
andere Dosen, andere Dosierintervalle und eventuell auch andere
Darreichungswege zu beachten. Der Patient muss unbedingt in der ersten Zeit
nach Umstellung auf ein Biosimilar engmaschig wie bei einer Neueinstellung
überwacht werden.
Biotechnologisch
hergestellte Arzneimittel wie Insulin, Somatropin, Interferone,
Granulozyten-Kolonien-stimulierender Faktor und Erythropoese-stimulierende
Arzneimittel (ESA), sind seit Anfang der 1980er Jahre im Handel. Inzwischen
sind seit 2002 (Humaninsulin) die Patente zahlreicher Wirkstoffe abgelaufen
oder werden in den nächsten Jahren ablaufen (1). Biopharmazeutika sind in den
letzten 20 Jahren das am schnellsten wachsende Segment unter den neu
zugelassenen Arzneimitteln, und bereits heute werden 20-30% der neuen
Wirkstoffe biotechnologisch hergestellt (2). Derzeit befinden sich etwa 400
Biopharmazeutika für unterschiedliche Anwendungsgebiete in der klinischen
Entwicklung, darunter etwa 200 Wirkstoffe für die Behandlung von
Tumorerkrankungen (2). Da diese Arzneimittel häufig sehr hohe Kosten
verursachen, erhofft man sich nach Ablauf ihrer Patente durch
Nachahmerpräparate - ähnlich wie bei den Generika – deutliche Einsparungen.
Das 1989 zunächst für die Behandlung der renalen
Anämie zugelassene Epoetin alfa und weitere, inzwischen entwickelte ESA, wie
Epoetin beta und Darbepoetin, wurden in den letzten zwei Jahrzehnten in großem
Umfang bei Patienten mit Anämie infolge chronischer Niereninsuffizienz oder
Tumorerkrankungen eingesetzt. Im Jahr 2005 wurden weltweit für die ESA etwa
10,8 Milliarden US$ ausgegeben, auch bedingt durch das oft aggressive Marketing
der pharmazeutischen Hersteller (3, 4). Die Behandlung der renalen Anämie mit
ESA gilt heute als medizinischer Standard. Nach den Daten aus dem Österreichischen
Dialyse- und Transplantations-Register von 2002 erhalten 90% der
Hämodialysepatienten, 50% der Peritonealdialysepatienten und 10% der
nierentransplantierten Patienten ESA zur Behandlung der chronischen Anämie.
Demgegenüber sind hinsichtlich der Verordnung von ESA bei Tumorpatienten mit
Chemotherapie-assoziierten Anämie noch viele Fragen zu deren biologischen
Wirkungen und Risiken unbeantwortet und aktuelle Warnhinweise sowie
Anwendungsbeschränkungen müssen unbedingt beachtet werden (5).
Seit einigen Jahren ermöglichen biotechnologische
Herstellungsprozesse die Produktion von komplexen Arzneimittelmolekülen, die
eine Protein- bzw. Glykoproteinstruktur besitzen. Das Molekulargewicht dieser
Moleküle ist mehrere Größenordnungen höher als das konventioneller kleiner
Arzneimittelmoleküle. Der Produktionsprozess basiert auf DNA-Technologie und
Hybridomtechniken (6). Daher können Änderungen des Herstellungsprozesses, z.B.
produzierende Zelllinie, Kulturmedium oder Kulturbedingungen zu
Arzneimittelmolekülen führen, die Änderungen in der Tertiärstruktur, in den
Isoformen, in den Nukleinsäurevarianten und auch in der Glykosylierung
aufweisen. Arzneimittel, die in einem derartigen Produktionsprozess hergestellt
werden, nennt man, wenn sie einem bereits zugelassenen Arzneimittel ähnlich
sind, Biosimilars oder biosimilare Arzneimittel. Obwohl es derzeit keine
allgemein gültige Definition gibt, kann eine Definition aus dem europäischen
Bewertungsbericht der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMEA) für Omnitrope®
(enthält biotechnologisch hergestelltes Wachstumshormon) entnommen werden (7).
Danach sind biosimilare Arzneimittel einem biologischen Arzneimittel ähnlich,
welches bereits in der Europäischen Union (EU) zugelassen wurde und welches den
gleichen wirksamen Bestandteil enthält. Das bereits zugelassene Arzneimittel
wird als „Referenzarzneimittel” bezeichnet. In den USA werden derartige
Nachahmerpräparate als „Follow-on Biologics” bezeichnet (1).
Für die Zulassung biosimilarer Arzneimittel ist es
erforderlich, dass die Ähnlichkeit mit einem Referenzprodukt, das bereits
zugelassen ist, nachgewiesen wird. Der Nachweis der Bioäquivalenz, wie bei
Generika, ist nicht ausreichend. Für eine Zulassung in Europa müssen die durch
die EMEA definierten Anforderungen für den Beleg der pharmazeutischen Qualität
des Arzneimittels, für die präklinische Sicherheit, die pharmakologische
Wirkung sowie die klinische Wirksamkeit und Sicherheit erfüllt werden. Alle
derzeit in der EU zugelassenen biosimilaren Arzneimittel erfüllen diese
Anforderungen. In Richtlinien der EMEA werden detailliert diese Anforderungen,
unter anderem an die Zulassungsunterlagen, pharmazeutische Qualität, prä- und
klinische Studien sowie Pharmakovigilanz, beschrieben (8-10).
Das Patent für biotechnologisch hergestelltes Epoetin
alfa ist 2004 abgelaufen und seit 2007 stehen Biosimilars der ESA zur Verfügung
(s. Tab. 1). Für jedes dieser biosimilaren Arzneimittel wird eine eigene,
genetisch modifizierte Zelllinie von Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters
verwendet. Komplexe Extraktions-, Fermentations- und Purifikationsprozesse
sowie analytische Charakterisierungen sind für die Produktion eines solchen
biosimilaren Arzneimittels notwendig.
Um die Vergleichbarkeit
therapeutischer Wirksamkeit und Sicherheit zwischen biosimilaren Wirkstoffen
der ESA und dem Referenzarzneimittel zu gewährleisten, verlangt die EMEA in
umfangreichen Richtlinien (8) sowie in einem speziell auf ESA zugeschnittenen
Annex (9) ein detailliertes pharmazeutisches Dossier. Darin werden sowohl
genaue Angaben über den Herstellungsprozess, die Herstellungsanlage sowie die
Durchführung von nichtklinischen Bioassays, Toxizitätsstudien, lokalen
Verträglichkeitsstudien, pharmakodynamischen und -kinetischen Untersuchungen
als auch von klinischen Phase-I-IV-Studien im Vergleich mit dem Referenzpräparat
verlangt. So werden z.B. für den Nachweis der Wirksamkeit der ESA zwei doppeltblinde
Studien im randomisierten Parallelgruppendesign bei Patienten mit renaler
Anämie gefordert. Diese Ergebnisse zur Wirksamkeit in einem
Anwendungsgebiet dürfen derzeit auf andere Anwendungsgebiete der ESA (z.B.
Behandlung der symptomatischen, Chemotherapie-assoziierten Anämie bei
Tumorpatienten) übertragen werden (Extrapolation), wobei diese Regelung jedoch
überdacht werden soll (9). Für den klinischen Einsatz des jeweiligen
biosimilaren Arzneimittels sind auch vergleichende pharmakokinetische Studien
mit dem biopharmazeutischen Referenzarzneimittel durchzuführen, z.B. um die
Halbwertszeit zu ermitteln und gegebenenfalls pharmakokinetische Auswirkungen
der unterschiedlichen Glykosilierung von Biosimilar und Referenzarzneimittel
erfassen zu können. Unterschiedliche Halbwertszeiten können Unterschiede in der
Dosierung (Dosishöhe oder Häufigkeit der Dosierung) erforderlich machen.
Dem
Aspekt der Immunogenität muss bei allen Biopharmazeutika, so auch bei
biosimilaren ESA, besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, da es sich bei
diesen Produkten um Proteine handelt, die sehr viel leichter als konventionelle
Arzneimittel eine Immunantwort, z.B. die Bildung von Antikörpern, auslösen
können. Dies zeigte sich auch durch das Auftreten einer isolierten
Erythroblastopenie (Pure red cell aplasia) infolge der Bildung neutralisierender
Antikörper gegen Erythropoietin bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz,
die mit s.c. applizierten ESA, überwiegend Epoetin alfa (Eprex®/Erypo®),
behandelt worden waren (11, 12). Aufgrund der Beobachtung, dass bereits geringe
Veränderungen im Herstellungsprozess sowie der Austausch von Hilfsstoffen des
Arzneimittels die Immunantwort auf Biopharmazeutika erheblich beeinflussen
können, wurden in den europäischen Richtlinien strenge Anforderungen an die
klinischen Untersuchungen zur Immunogenität im Rahmen der Entwicklung von
biosimilaren Arzneimitteln gestellt, z.B. für jedes Anwendungsgebiet separate
Analyse der beobachteten Immunantworten, pharmakokinetische sowie -dynamische
Effekte, Antikörper-Tests (8-10). Grundsätzlich wird das immunogene Potenzial
von Biopharmazeutika vom Herstellungsprozess, häufig aber auch von anderen
Faktoren, wie Applikationsweg, Dosis und Dauer der Behandlung sowie
Patientenmerkmalen, beeinflusst (12). Deshalb muss auch nach Zulassung von
biosimilaren Arzneimitteln im Rahmen der Pharmakovigilanz sehr sorgfältig auf
immunologische Reaktionen geachtet werden. Sie können entweder ohne klinische
Auswirkungen bleiben, oder aber gelegentlich zu einem Verlust, sehr selten auch
zu einer verstärkten Wirksamkeit des Wirkstoffs führen bzw. schwerwiegende
Unverträglichkeitsreaktionen (z.B. Allergie, Anaphylaxie) auslösen (12). Für
die klinische Sicherheit werden deshalb vor Zulassung auch Sicherheitsdaten von
einer ausreichenden Anzahl von Patienten (Beobachtung von mindestens 300
Patienten über einen Zeitraum von wenigstens 12 Monaten) gefordert, um mögliche
Immunogenität und das Profil der weiteren unerwünschten Arzneimittelwirkungen
(UAW) des biosimilaren Wirkstoffs im Vergleich zum Referenzarzneimittel
erfassen zu können. In diesem Zusammenhang trägt der pharmazeutische Hersteller
des Biosimilars die Verantwortung dafür, dass alle sicherheitsrelevanten
Probleme, die aus dem Herstellungsprozess resultieren und unterschiedlich zu
denen des Referenzprodukts sind, in den Dossiers mit präklinischen bzw.
klinischen Daten sorgfältig dokumentiert sind. Da Ergebnisse aus klinischen
Studien vor der Zulassung aufgrund der begrenzten Zahl der untersuchten
Patienten nie ausreichen, um alle sicherheitsrelevanten Unterschiede zwischen
Biosimilar und Referenzarzneimittel zu identifizieren, sind
Unbedenklichkeitsstudien nach der Zulassung (Post-Authorization Safety Studies
= PASS) sowie die Erstellung eines Risiko-Management-Plans (RMP) obligatorisch.
Dabei sind die Verwendung geeigneter Pharmakovigilanzsysteme nach Zulassung des
Biosimilars, wie spontane Berichte über UAW, „Periodic Safety Update Reports”
(PSUR) sowie die Durchführung von PASS essenziell.
Im Juni
2007 hat das Committee for Medicinal Products for Human Use (CHMP) der EMEA der
Zulassung von Binocrit®, Epoetin alfa Hexal® und Abseamed®
zugestimmt. In Österreich gibt es seither Abseamed® und Binocrit®,
in Deutschland auch Epoetin alfa Hexal®, als Biosimilars von
Erythropoietin alfa im Handel. Diese Präparate unterscheiden sich etwas in der
Zulassung und damit in Erstattungsfähigkeit und Produkthaftpflicht. So sind
Abseamed® und Binocrit® beispielsweise nicht für die s.c.
Injektion bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz zugelassen, da die
Daten zur Immunogenität bei dieser Anwendung nicht ausreichend sind.
Der
Biosimilar-Markt für ESA wird in Europa für das Jahr 2010 auf 700 Mio. US$
geschätzt (13). Die umfangreichen Anforderungen der EMEA an präklinische und
klinische Studien erfordern von den Biosimilar-Herstellern deutlich höhere
Investitionen als von Generika-Herstellern für die Entwicklung ihrer Produkte.
Im Gegensatz zu herkömmlichen Generika werden deshalb mit Biosimilars vermutlich
„nur” 15-30% der Arzneimittelkosten für Biopharmazeutika eingespart. Erfreulich
ist, dass seit der Einführung der Biosimilars auch die Preise der
Originalanbieter gesunken sind. Fragen der Substitution (Austausch von
Arzneimitteln mit nachweislich gleicher Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit)
in öffentlichen oder Krankenhausapotheken und die wissenschaftliche
Deklarierung der biosimilaren Arzneimittel (International Non-proprietary Name
= INN) werden derzeit noch kontrovers diskutiert (14).
Literatur
-
Frank, R.G.: N.
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-
Grabowski,
H.: Nat. Rev. Drug Discov. 2008, 7, 479.
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http://www.nytimes.com/2007/05/09/business/09anemia.html

-
Melnikova,
I.: Nat. Rev. Drug Discov. 2006, 5, 627.
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AMB
2002, 36, 25
; AMB 2004, 38,
07 und 71a ; AMB 2007, 41,
13b und 38 ; AMB 2008, 42,
70b. 
-
Mellstedt, H.,
et al.: Ann. Oncol.
2008, 19, 411.

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http://www.emea.europa.eu/humandocs/PDFs/EPAR/Omnitrope/060706de1.pdf

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http://www.emea.europa.eu/pdfs/human/biosimilar/4934805en.pdf

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http://www.emea.europa.eu/pdfs/human/biosimilar/17073408en.pdf

- http://www.akdae.de/46/20081209.pdf

- Boven, K., et al.: Kidney Int. 2005,
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Schellekens, H.:
J. Nephrol. 2008, 21, 497.

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Pisani, J., und
Bonduelle, Y.: http://www.ableindia.org/biosimilars.pdf

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Declerck, P.J.:
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http://www.kvberlin.de/40presse/50publikation/10bubu/2008/02/40arzneimittelmarkt/arzneimittelmarkt.pdf

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