Zusammenfassung: Die Befürchtung, dass Insulinanaloga, speziell das sehr
häufig verordnete, lang wirkende Insulin glargin (Lantus®),
das Wachstum von Tumoren fördern können, geht auf tierexperimentelle und
in-vitro-Untersuchungen - auch an humanen Tumorzelllinien - zurück (1-6).
Vergleichende epidemiologische Untersuchungen von Humaninsulinen und
Insulinanaloga bei Diabetikern mit eindeutigen Ergebnissen und
Entscheidungshilfen für das praktische Vorgehen gibt es – auch acht Jahre nach
der Einführung von Insulin glargin – nicht. Jetzt wurden vier retrospektive
Beobachtungsstudien publiziert, die etwas mehr Klarheit bringen sollten. Sie
haben verschiedene methodische Schwächen (7) und sind in ihren Ergebnissen, die
wir im Folgenden eingehender darstellen und kommentieren, leider inkonsistent.
Sie beantworten also die Frage immer noch nicht, geben aber ein ernst zu
nehmendes Warnsignal, das dazu führen muss, rasch die bisherigen retrospektiven
Daten besser auszuwerten und sofort prospektive Studien mit aussagekräftiger
Methodik auf den Weg zu bringen (8). Neu eingeführte Arzneimittel müssen
hinsichtlich unerwünschter Wirkungen von Anfang an durch
Pharmakovigilanzstudien begleitet werden (vgl. 9).
Angesicht der unsicheren Datenlage zu
den potenziellen Risiken von Insulinanaloga ist es derzeit unmöglich,
Evidenz-basierte Empfehlungen zu geben. Vorerst sehen wir, wie auch die
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (10), keinen Grund, bei gut
eingestellten Patienten nach entsprechender Aufklärung und gegebenenfalls Anpassen
der Begleittherapie (Metformin!) die Therapie mit Insulin glargin zu beenden,
zumal eine Umstellung auch mit Risiken verbunden sein kann. Bei Patienten, die
neu mit Insulin eingestellt werden müssen, sollte sorgfältig abgewogen werden,
ob ein Insulinanalogon individuell wirklich Vorteile gegenüber Humaninsulin
hat, die den Einsatz rechtfertigen.
Das lang wirkende Insulinanalogon Glargin, dessen Primärstruktur nur geringfügig
von der des humanen Insulins abweicht, hat nach s.c. Injektion bei den meisten
Patienten eine ca. 24-stündige Wirkdauer und ermöglicht bei Diabetikern mit
höhergradigem Insulinmangel mit einer Injektion pro Tag die Imitation einer
basalen Insulin-Sekretionsrate. Es kann bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ
2 (DM 2) in Kombination mit oralen Antidiabetika (OAD) oder bei DM 1 sowie DM 2
kombiniert mit Mehrfach-Injektionen kurz wirkender Insuline oder Insulinanaloga
(Intensivierte Insulin-Therapie bzw. Basis-Bolus-Therapie) eingesetzt werden
(vgl. 11, 12). Eine aktuelle Metaanalyse zur Wirksamkeit und Sicherheit von
Insulinanaloga, die auch 49 randomisierte kontrollierte Studien (RCT) zu lang wirkenden
Insulinanaloga ausgewertet hat, ergab allerdings nur geringfügige klinische Vorteile
der kurz oder lang wirkenden Analoga gegenüber konventionellen Insulinen bei
Patienten mit Diabetes mellitus Typ 1, Typ 2 oder Schwangerschaftsdiabetes (12).
Alle
Insuline und Insulinanaloga wirken über den Insulin-Rezeptor. Sie stimulieren
aber auch den Insulin-like growth factor 1 (IGF-1)-Rezeptor, dessen Hauptligand
das in der Leber und anderen Organen unter dem Einfluss von Wachstumshormon
gebildete IGF-1 ist. IGF-1 kann das Wachstum verschiedener Tumore (Mamma,
Dickdarm, Pankreas, Prostata) stimulieren, ist aber selbst nicht mutagen, also
nicht Krebs-auslösend. Manche Insulinanaloga, so auch Glargin, stimulieren den
IGF-1-Rezeptor deutlich stärker als natürliches oder rekombinant
synthetisiertes humanes Insulin (Übersicht bei 3). Bei Patienten mit DM 2 ist
das Risiko, an Mamma- bzw. Dickdarm- bzw. Bauchspeicheldrüsen-Krebs zu
erkranken um ca. 20% bzw. 30% bzw. 50% erhöht. Bei DM 1 ist das Krebsrisiko um
ca. 20% erhöht, mit einer anderen Organverteilung (3). Das erhöhte Krebsrisiko
kann bei DM 2 mit Insulinresistenz und zeitweiser Hyperinsulinämie, aber auch
mit der Insulintherapie ursächlich zusammenhängen. Da manche Insulinanaloga den
IGF-1-Rezeptor stärker stimulieren als humanes Insulin, wurde nach Einführung
der Analoga die Möglichkeit eines erhöhten Risikos, an Malignomen zu erkranken,
intensiv diskutiert und in präklinischen Untersuchungen analysiert (1-3).
Mitarbeiter des deutschen Instituts für Qualität und
Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) führten nun, acht Jahre nach der
Zulassung von Glargin, zusammen mit drei Mitarbeitern des Wissenschaftlichen
Instituts der Ortskrankenkassen (WIdO) eine umfangreiche retrospektive
Kohortenstudie durch, die Hinweise darauf zu ergeben scheint, dass die
Anwendung von Glargin in Dosierungen bis zu ca. 50 IE/d dosisabhängig mit einer
etwas höheren Inzidenz von Malignomen assoziiert ist als die von Humaninsulin
im gleichen Dosisbereich (13). Diese der Zeitschrift Diabetologia (Organ der
European Association for the Study of Diabetes) zur Veröffentlichung
eingereichte Arbeit wurde zunächst nicht angenommen. Drei weitere
Arbeitsgruppen mit Zugriff auf umfangreiche diabetologische Datenbanken in
Schweden (14), Schottland (15) und Großbritannien (16) wurden aufgefordert, den
Verdacht auf eine Malignom-fördernde Wirkung von Glargin zu überprüfen. Kürzlich
erschienen die deutsche Studie (13) und die in Auftrag gegebenen Studien (14-16)
mit einem ausführlichen Editorial (3) in der Zeitschrift Diabetologia.
Die deutsche Studie (13): Aus verschiedenen pseudonymisierten Datenbanken der
AOK wurden von 1998 bis 2005 folgende Aspekte von Patienten mit DM 1 bzw. DM 2
miteinander verknüpft: Insulinverschreibung umgerechnet auf IE/d, Diagnose
eines Malignoms laut ICD-10 oder ICD-9 und Todesfälle. Patienten mit einer
Malignomdiagnose in den drei Jahren vor Beginn der Beobachtung wurden
ausgeschlossen. Die Patienten durften nur eine Spezies Insulin erhalten haben.
Kombinationen mit OAD und anderen Medikamenten wurden auch erfasst. Die Daten
von 95 804 Patienten, die nur Humaninsulin (Depot oder kurz wirkend oder
Mischinsuline) erhalten hatten, wurden mit denen von 23 855 Patienten, die
nur Glargin, 4 103, die nur Aspart sowie 3 269, die nur Lispro
erhalten hatten, verglichen. Die mittlere Nachbeobachtungszeit zwischen
erfasster Verschreibung von Humaninsulin bzw. Analoga und Feststellung eines
Malignoms oder von Tod war 1,63 Jahre (für Humaninsulin 1,70 Jahre, für Glargin
1,31 Jahre!).
Ergebnisse: Die für Kovariate nicht adjustierte Inzidenz von
Malignomen (Lokalisation nicht möglich) war 2,5/100 Patientenjahre bei Patienten,
die Humaninsulin erhalten hatten. Die Inzidenz unter Glargin war 2,14, unter
Aspart 2,16, unter Lispro 2,13/100 Patientenjahre. Für die „unbereinigte”
Letalität waren die Zahlen (die Patienten waren bei Beobachtungsbeginn im
Mittel etwa 69 Jahre alt): 9,24, 6,30, 5,75, bzw. 6,91 Todesfälle/100
Patientenjahre. Wird die Dosis in eine adjustierte Auswertung einbezogen, kehrt
sich das Verhältnis um, da Glargin in der Studienpopulation mit niedrigeren
Dosen verordnet wurde. Es wird ein statistisches Modell vorgestellt, in der die
Dosierungen in drei Klassen eingeteilt wurden, < 20 IE, 20-40 IE, > 40
IE. In dieser Analyse wird sichtbar, dass eine erhöhte Hazard Ratio (= HR,
Inzidenzrate Glargin/Humaninsulin) nur auf Dosierungen über 40 IE beschränkt
ist: HR bei 20 IE: 1,13 (0,98-1,3); HR bei 20-40 IE: 1,01 (0,88-1,16); HR bei
> 40 IE: 1,59 (1,30-1,94). Das Risiko steigt also - anders als in Abb. 2 der
Arbeit dargestellt - nicht linear mit der Glargin-Dosis an.
Kommentar: Die Autoren hatten sich zum Ziel gesetzt, mögliche
Risiken jeweils einzelnen Präparaten zuschreiben zu können und deswegen alle
Patienten mit Mischverordnungen ausgeschlossen. Im Effekt bedeutet das, dass
Glargin-Patienten mit zusätzlicher Injektion von kurz wirkendem Humaninsulin
oder Analoga ausgeschlossen wurden, während Patienten mit lang wirkendem
Humaninsulin und zusätzlichen Injektionen von kurz wirkendem Humaninsulin in
der Studie verbleiben konnten. Aus einer Tabelle mit Basisdaten geht auch
hervor, dass fast alle Glargin-Patienten zusätzlich OAD einnahmen (92%), aber
nur 77% der Humaninsulin-Patienten. Da Patienten, die hohe Dosierungen
benötigen, eher selten ausschließlich mit lang wirkenden Präparaten versorgt
werden, sind hohe Dosierungen in der Glargin-Gruppe kaum vertreten. Wohl
hauptsächlich dadurch sind die Dosierungen in der Glargin-Gruppe niedriger
ausgefallen. Man muss sich nun fragen: sind Patienten mit relativ hoher
(ausschließlich) Glargin-Dosis tatsächlich direkt vergleichbar mit Patienten
mit hohen Dosen lang plus kurz wirkender Humaninsuline? Oder ist es vielmehr
so, dass Patienten mit hohen Dosierungen ausschließlich lang wirkender Insuline
eine spezielle klinische Untergruppe darstellen, z.B. Übergewichtige (für BMI
wurde leider wegen Datenmangels nicht adjustiert) oder weniger leistungsfähige
Patienten, die zu mehreren Insulininjektionen nicht in der Lage sind?
Eine Analyse ist dringend erforderlich,
in der die Glargin-Gruppe, so wie sie ist, mit Patienten verglichen wird, denen
ausschließlich lang wirkendes Humaninsulin verordnet wurde, d.h. ohne
zweifelhafte Linearitätsannahme. Bei der Auswahl der biometrischen Methodik
(17, 18) muss gegebenenfalls eine Nichtlinearität des Risikoanstiegs
berücksichtigt werden. Hinsichtlich der berechneten dosisabhängigen Zunahme von
Malignomen und Todesfällen unter Glargin ist auch die sehr unterschiedliche
Größe der Gruppen kritisch zu sehen. Den Zweifeln hinsichtlich der
statistischen Relevanz von Risiko-Kalkulationen bei so unterschiedlich großen
Gruppen müssen noch medizinische Überlegungen hinzugefügt werden. Die Tabelle
mit Basaldaten der verschiedenen Insulin- bzw. Analoga-Gruppen lässt erkennen,
dass 92,1% der Glargin-Patienten OAD erhielten, aber nur 77,2% der
Humaninsulin-Patienten. Das heißt, die große Mehrheit der Glargin-Patienten
erhielt vermutlich abends eine Glargin-Injektion und tagsüber OAD. Die
Humaninsulin-Patienten hingegen injizierten entweder 1-2 mal NPH-Insulin und
nahmen OAD oder sie wurden nach dem Basis-Bolus-Prinzip oder mit zwei Tagesdosen
Mischinsulin oder mit einer Insulinpumpe therapiert. Die
Patientencharakteristika könnten in beiden Gruppen also sehr unterschiedlich
gewesen sein, was eine Dosis-Risiko-Kalkulation weiterhin erschwert. Zudem ist
es fraglich, ob eine Therapie mit einem stärker mitogenen Insulinanalogon
innerhalb von im Mittel 1,31 Jahren zu einer erhöhten Inzidenz von Malignomen
und vor allem zu Todesfällen führt. In einer rechtzeitig prospektiv geplanten,
wenn auch nicht randomisierten Untersuchung hätten leicht zusätzliche Daten
erhoben werden können, z.B. Body Mass Index, Lokalisation der Neoplasien und
spezifische Todesursachen (1). Es ist sehr zu begrüßen, dass endlich Daten von
Krankenkassen systematisch ausgewertet werden, um zusätzliche Informationen zu
Arzneimitteln zu gewinnen. In Methodik und Präsentation angreifbare Ergebnisse
gefährden jedoch wichtige Ziele der Versorgungsforschung.
Die schwedische Studie (14): In Schweden haben alle Einwohner eine
Identitätsnummer, über die Daten aus sieben verschiedenen Gesundheits-relevanten
Registern zusammengeführt werden können. Bei 114 841 Diabetikern, die vom
1. Juli bis 31. Dezember 2005 Insulin- bzw. Analoga-Verschreibungen erhalten
hatten, wurde vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2007 die Inzidenz von
Malignomen registriert. Außer der Gesamtzahl von Malignomen wurde die von
Mamma- und Prostatakarzinomen sowie von gastrointestinalen Tumoren ermittelt.
Auch hier war die Expositionszeit der Patienten mit den unterschiedlichen
Insulinen sehr kurz (ca. 2 Jahre).
Für 10 323 Personenjahre bei
Injektion von Glargin im Vergleich mit 148 804 Personenjahren bei
Injektion aller Insuline außer Glargin ergab sich eine adjustierte HR für alle
Malignome von 1,06 (KI: 0,9-1,25). Für Prostatakrebs und Magen-Darm-Tumore war
das Risiko ebenfalls nicht unterschiedlich. 25 Frauen mit Glargin in 4 974
Patientenjahren erkrankten jedoch an Brustkrebs im Vergleich mit 181
Humaninsulin-Patientinnen in 69 358 Patientenjahren. Die adjustierte HR
war mit 1,99 (KI: 1,31-3,03) signifikant erhöht zu Ungunsten von Glargin.
Wurden jedoch Patientinnen, die Glargin in Kombination mit anderen Insulinen
erhalten hatten (41 Patientinnen mit Brustkrebs in 16 882 Frauenjahren)
mit Frauen verglichen, die andere Insuline außer Glargin erhalten hatten (183
Patientinnen mit Brustkrebs in 69 358 Frauenjahren), dann war das Risiko
unter Glargin nicht signifikant erhöht (HR: 1,1; KI: 0,77-1,56). Da die Autoren
es für unwahrscheinlich halten, dass andere Insuline, die zusammen mit Glargin
injiziert wurden, eine stimulierende Wirkung von Glargin auf das Tumorwachstum
verhindern, halten sie es am ehesten für wahrscheinlich, dass die erhöhte HR
für Brustkrebs unter Glargin allein auf „random fluctuations” bei relativ
kleiner Fallzahl in der Glargin-Gruppe bedingt sein könnte. Es ist möglich,
dass die Frauen der Glargin-allein-Gruppe höhere Dosen als die in der
Kombinationsgruppe erhielten. Die Insulin- bzw. Analoga-Dosen konnten in dieser
Studie aber nicht ermittelt werden.
Die schottische Studie (15): In Schottland gibt es ein Diabetiker-Register
(database), in dem die meisten Patienten der Region erfasst werden. Die
Beziehung zwischen dem Insulin- bzw. -Analogon-Typ und der Inzidenz von
Karzinomen wurde an zwei Kohorten ermittelt. Kohorte 1 waren 36 254
Patienten mit 715 späteren Krebsfällen, denen innerhalb eines
Vier-Monats-Zeitraums im Jahr 2003 Insuline bzw. Analoga verschrieben worden
waren. Die Basisdaten der verschiedenen Gruppen in Kohorte 1 (besonders das
mittlere Alter) waren sehr unterschiedlich. Kohorte 2 erhielt von Januar 2002
bis zum Ende der Erfassung von Krebsfällen (31. Dezember 2005) entsprechende
Verschreibungen (12 852 Patienten mit 381 Krebsfällen). Glargin wurde erst
2003 in Schottland eingeführt.
Ergebnisse: Patienten, die Glargin (allein oder in Kombination
mit anderen Insulinen bzw. Analoga) injizierten (n = 3 959), hatten die
gleiche Inzidenz von Tumoren wie Nicht-Glargin-Patienten (HR: 1,02; KI:
0,77-1,36). Bei den wenigen Patienten mit Glargin allein (n = 447) war die HR
für Tumore im Vergleich mit der viel größeren Zahl von Nicht-Glargin-Patienten
(32 295) marginal signifikant erhöht (HR: 1,55; KI: 1,01-2,37; p = 0,045).
Die Expositionszeit zwischen den verschiedenen Insulinen und der Erfassung der
Endpunkte war sehr kurz. Die Inzidenz von Mammakarzinomen war unter Glargin -
bei sehr niedriger Fallzahl dieses Tumors - erhöht. Bei Patienten, die
Glargin in Kombination mit anderen Insulinen bzw. Analoga erhalten hatten, war
die Krebs-Inzidenz aber niedriger als bei Nicht-Glargin-Patienten (HR: 0,81;
KI: 0,55-1,18; p = 0,26).
In Schottland war den Ärzten empfohlen
worden, Glargin in erster Linie bei Insulin-pflichtigen älteren Menschen
anzuwenden, die zum Teil fremde Hilfe für die Injektionen benötigen.
Dementsprechend war das mittlere Alter der Glargin-allein-Patienten in der
größeren Kohorte 1 mit 68 Jahren viel höher als das der Nicht-Glargin-Patienten
(55 Jahre), während die Patienten, die Glargin plus andere Insuline bzw. Analoga
erhalten hatten, noch jünger waren (41 Jahre). In letzterer Gruppe waren
vermutlich viele Patienten mit Basis-Bolus-Therapie vertreten. Die Inzidenz
früherer Malignome war bei den Glargin-Patienten der Kohorte 1 mit 8,7%
entsprechend der Altersdifferenz etwa dreimal so hoch wie in der Glargin-Plus-Gruppe
(2,6%) und etwa doppelt so hoch wie in der Nicht-Glargin-Gruppe (4,7%). Unter
Berücksichtigung dieser Differenzen führen die Autoren die erhöhte Inzidenz von
Tumoren bei den älteren Nur-Glargin-Patienten auf „allocation bias” zurück. In
der Kohorte 2, deren Basaldaten (Alter etc.) den Tabellen nicht zu entnehmen
sind, fanden sich keine Unterschiede zwischen Glargin und Humaninsulin
hinsichtlich des Malignomrisikos.
Die britische Studie (16): Diese Studie, die Daten aus dem 2002 gegründeten
„The Health Information Network” (THIN, angeschlossen an 300 Praxen im UK)
auswerten konnte, berichtet über die Beziehung zwischen der Art der
DM-Medikation und der Inzidenz von Malignomen bei Patienten, deren DM nach dem
40. Lebensjahr diagnostiziert wurde. Es ist unklar, ob auch Daten aus
Schottland, das auch zum UK gehört, in der Studie verwendet wurden. Die hier
besonders interessierenden, mit Insulin oder Analoga therapierten Patienten
waren nach Gründung von THIN auf Glargin allein (n = 2 286), humanes Depot-Insulin
(1 262), humanes biphasisches Insulin (2003) oder auf ein biphasisches
Analogon (2 483) ein- oder umgestellt worden. Parallel hierzu wurden aber
auch DM-2-Patienten unter Metformin-, Sulfonylharnstoff (SH)- und kombinierter
Metformin-SH-Therapie in die Studie einbezogen.
Ergebnisse: Das niedrigste Malignomrisiko hatten 31 421
Patienten unter Metformin. Verglichen mit Metformin war das Risiko von
7 439 SH-Patienten signifikant erhöht (HR: 1,36; KI: 1,19-1,54; p <
0,001). Bei 13 882 Patienten mit SH plus Metformin war das Risiko nicht
erhöht (HR: 1,08; KI: 0,96-1,21). Bei allen mit Insulinen bzw. Analoga
behandelten Patienten war es im Vergleich mit Metformin deutlich erhöht (HR:
1,47; KI: 1,42; p < 0,001). Bei Therapie mit Insulin plus Metformin war die
HR jedoch kleiner als 1 verglichen mit Metformin allein.
Im Vergleich mit Glargin allein war die
HR für Patienten mit humanem Basal-Insulin nicht signifikant erhöht (HR: 1,24;
KI: 0,9-1,7). Zu beachten ist, dass in dieser Studie die Glargin-Gruppe der
Bezugspunkt war und dass hier das Risiko unter Humaninsulin (nicht signifikant)
höher war als unter Glargin. Die HR für humanes biphasisches Insulin war 0,88
(KI: 0,66-1,19) und für biphasische Analoga 1,02 (KI: 0,76-1,37).
In dieser Studie wurde Glargin
korrekterweise nur mit humanem Depot-Insulin verglichen. Überraschend und
unerwartet war das deutlich niedrigere errechnete Malignomrisiko bei Patienten,
die Metformin zusätzlich zu SH oder Insulin einnahmen (deutlich niedriger nach
SH oder Insulin bzw. Analoga allein). Da Patienten unter Metformin allein das
niedrigste Tumorrisiko hatten, scheint dieser Substanz auch bei
Kombinationstherapie, ein protektiver Effekt zuzukommen, sofern ein solcher
Schluss aus einer Assoziationsstudie erlaubt ist.
Zusammenfassende Beurteilung der
Studien: In der deutschen und in der
britischen Studie war das Gesamtrisiko (ohne Adjustierung für Alter, Dosis und
Komedikation) für Malignome unter Glargin etwas niedriger als unter
Humaninsulin. In der schwedischen Studie war es etwas erhöht. Alle Daten sind
nicht signifikant. In der deutschen Studie war auch das Gesamt-Letalitätsrisiko
unter Glargin etwas niedriger als unter Humaninsulin. In der deutschen Studie
ergab sich der Verdacht auf ein erhöhtes Malignom- und Letalitätsrisiko für
Glargin im Vergleich mit Humaninsulin im höheren Dosisbereich. Wie oben
ausgeführt, ist dieser Befund vermutlich das Ergebnis des Vergleichs nicht
vergleichbarer Patientengruppen.
In der schwedischen Studie ergaben sich
speziell Hinweise auf eine erhöhte Inzidenz von Mammakarzinomen bei mit Glargin
behandelten Frauen. Bei deutlich weniger Patientinnen „at risk” nach Glargin
als in der Humaninsulin-Gruppe und gleichem Risiko bei Frauen unter
Humaninsulin, verglichen mit Glargin plus anderen Insulinen, halten die
Autoren, trotz Signifikanz des Befundes, „random fluctuations” der
Mammakarzinom-Inzidenz nach Glargin bei kurzer Expositionszeit für
wahrscheinlich. Schließlich sei noch einmal bemerkt, dass eine dosisabhängig
gesteigerte Letalität unter Glargin im niedrigen Dosisbereich und nach im
Mittel 1,31 Jahren Exposition unwahrscheinlich ist.
Es sei daran erinnert, dass die Analysen
aller Studien auf den Verschreibungen von Insulin in einem begrenzten Zeitraum
(4-6 Monate minimal) und der Erfassung der Inzidenz von Malignomen wenige Jahre
danach beruht. Ob die verschriebenen Insuline bzw. Analoga auch in den
geschätzten Tagesdosen appliziert wurden, ist nicht bekannt.
Alle Autoren der referierten Studien, die
Verfasser eines ausführlichen Editorials in Diabetologia (3), aber auch die
Europäische Arzneimittelagentur (8) fordern randomisierte kontrollierte Studien
zur Klärung, ob konventionelle Insuline bzw. Insulinanaloga das Tumorwachstum
fördern. Es würde aber lange dauern, bis solche Studien aussagekräftige
Ergebnisse bringen können. Die Patienten sollten über die nicht geklärte
Sicherheitslage informiert werden, aber auch darüber, dass auch die Behandlung
mit Humaninsulin das Malignomrisiko erhöhen kann. Die Verfasser des Editorials
(3) sind der Meinung, dass die hier vorgelegten Studien und daraus
hervorgehende Unsicherheiten in erster Linie Patienten mit DM 2 betreffen und
dass sich Patienten mit DM 1 in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen brauchen.
Da Patienten mit DM 1 jedoch jünger sind und Insulin bzw. Analoga potenziell
länger injizieren, ist diese Aussage nicht logisch.
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