Ein H1N1-Influenza-A-Virus war bei der weltweiten
Grippepandemie 1918-1919 möglicherweise beteiligt. Nun stellen einige
renommierte Wissenschaftler vom „National Institute of Allergy and Infectious
Diseases” der USA (1) dieses seit einigen Jahren aus eingefrorenem Material sequenzierte
Virus sogar als Gründer einer viralen Dynastie dar.
Influenza-Viren haben acht Gene, von denen zwei die
Oberflächenantigene Hämaglutinin (H) und Neuraminidase (N) kodieren, die dem
Virus ermöglichen, eine Wirtszelle zu befallen und sich von Zelle zu Zelle
auszubreiten. Diese Antigene lösen auch die Immunantwort des Wirts aus. Es gibt
16 H-Untereinheiten und neun N-Untereinheiten, so dass sich 144 mögliche
HN-Kombinationen ergeben. Bei den Menschen-infizierenden Influenza-Viren hat
man jedoch nur drei Kombinationen gefunden (H1N1, H2N2 und H3N2). Viren mit
anderen Kombinationen, wie z.B. das Vogelgrippe-Virus H5N1, befallen Menschen
nur gelegentlich.
Für ein besseres Verständnis schlagen die Autoren (1) vor,
sich Influenza-Viren als Gen-Teams mit acht Spielern vorzustellen, die mit
anderen Teams zusammenarbeiten und gelegentlich Spieler austauschen, um neue
Fähigkeiten zu erlangen, wie z.B. einen anderen Wirt zu infizieren. Sie spekulieren
weiter, dass 1918 durch aviäre Influenzaviren (Vogelgrippe) ein zusätzlicher
Satz von acht Genen hinzu kam. Bisher unbekannte Mechanismen ermöglichten es
dann diesem Virus, die Artenbarriere zu überwinden, Menschen und Säugetiere zu
infizieren und von Mensch zu Mensch übertragen zu werden.
Während der schweren Pandemie von 1918 übertrugen Menschen
das Virus auch an Schweine, in denen es seitdem zirkuliert. Schweinezüchter in
Iowa, die ihre Tiere im Herbst 1918 auf der „Cedar Rapids Swine Show”
präsentierten, klagten damals bereits über eine respiratorische Erkrankung
ihrer Herden, die in ihren Symptomen denen der menschlichen Influenza ähnelte
(2). Auch dieses ist reine Spekulation, da wir nicht wissen, ob unter Schweinen
bereits früher ein H1N1-Influenzavirus zirkulierte.
Auch wird behauptet, alle derzeit an den Menschen
adaptierten Influenza-A-Viren, sowohl saisonale Variationen als auch solche,
die schwere Pandemien ausgelöst haben, stammten direkt oder indirekt vom „Gründer-Virus”
des Jahres 1918 ab. Welche Botschaft soll mit diesem Bezug suggeriert werden?
Etwa die, dass wir jetzt einen direkten oder fast direkten Nachfolger haben, und
dass deshalb auch dieses Virus sehr gefährlich sein wird? Angesichts der vielen
Hypothesen erscheint uns dies als Angstmache.
Die Autoren schreiben sehr bildhaft, dass das menschliche
Immunsystem und Influenza-A-Viren seit 1918 einen komplizierten „Pas-de-deux”
tanzen, bei dem jeder versucht, die Führung zu übernehmen. Dies gilt jedoch mehr
oder weniger für die meisten humanpathogenen Erreger und ist keine Besonderheit
von H1N1. Trotz der vielen unbewiesenen Annahmen finden die Autoren zum Schluss
doch wieder zu einer realen Beurteilung der Situation, der wir so als Fazit
zustimmen können.
Fazit: Insgesamt scheinen die Pandemien seit 1918 in ihrer
Schwere abzunehmen. Dies liegt zum einen vermutlich am medizinischen
Fortschritt, zum anderen spiegelt es aber möglicherweise auch den evolutionären
Vorteil der Viren wieder, die ihren Wirt nicht umbringen. Leicht erkrankte
Opfer dienen der Weiterverbreitung des Virus am besten.
Literatur
- Morens, D.M., et al.: N.
Engl. J. Med. 2009, 361, 225.

- Zimmer, S.M., und Burke,
D.S.: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 279.

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