Wir haben 1996 und 1997 ausführlich über Studien
berichtet, die dafür zu sprechen schienen, dass orale Kontrazeptiva (OK) mit
relativ niedrigem Gehalt an Ethinylestradiol (EE) und den damals neuen
Gestagenen der sog. 3. Generation (Gestoden, Desogestrel) häufiger venöse
Thrombosen/Thromboembolien (VTE) verursachen als solche der 2. Generation
(Levonorgestrel = LNG, Norethisteron; 1, 2). Alle genannten Gestagene sind
Derivate des 19-nor-Testosterons. Die der 3. Generation wurden wegen einer
geringeren androgenen Restaktivität auf den Markt gebracht. Kritiker haben
damals das in epidemiologischen Studien ermittelte höhere VTE-Risiko in erster
Linie mit einem „prescriber bias” (Verschreibung der neuen OK bei Frauen mit
höherem VTE-Risiko) und mit anderen „Confounders” erklären wollen, aber am Ende
scheint das Risiko doch signifikant höher zu sein als mit LNG-haltigen OK mit
der gleichen Östrogen-Dosis (3).
In zwei neuen Beobachtungsstudien wurde jetzt das VTE-Risiko
unter OK mit den Gestagenen Cyproteronazetat (CPA) und Drospirenon (DRSP) mit
anderen OK, besonders mit LNG-haltigen, verglichen (4, 5). CPA ist ein Gestagen
mit zusätzlicher antiandrogener Wirkung. DRSP hat, ähnlich wie Progesteron,
einen antimineralokortikoiden Effekt.
In der Studie aus den Niederlanden (4) wurden alle VTE
bei Frauen zwischen 18 und 50 Jahren, die in sechs Antikoagulations-Kliniken
nachbehandelt wurden, erfasst und hinsichtlich OK-Gebrauch mit einer Gruppe von
vergleichbaren Kontrollpersonen (Alter, Größe, Gewicht, Familienanamnese)
verglichen. Insgesamt standen 1524 Patientinnen mit VTE 1760 fast gleich alten
Kontrollen gegenüber. 72,4% der Patientinnen und 37,4% der Kontrollen hatten OK
eingenommen. VTE-Patientinnen, die LNG benutzt hatten (n = 485) standen 125 Patientinnen
gegenüber, die CPA und 19, die DRSP eingenommen hatten. LNG-OK-Patientinnen hatten
gegenüber „non-users” ein 3,6-fach höheres VTE-Risiko (Odds ratio), Frauen mit
CPA-OK ein 6,8-faches und solche mit DRSP-OK ein 6,3-faches Risiko. Für Gestoden
und Desogestrel waren die Odds ratios 5,6 bzw. 7,3. Diese Ergebnisse müssen
überprüft werden, da die Zahl der DRSP-Anwenderinnen sehr klein war.
In einer Studie aus Dänemark (5) wurden vier
verschiedene nationale Register mit der Frage der Assoziation zwischen
OK-Einnahme und VTE zusammengeführt. Die OK-Verschreibungen wurden
ausschließlich einem Register entnommen, die VTE-Diagnosen einem anderen
Register. „Confounders”, wie z.B. das Körpergewicht (adipöse Frauen haben ein
höheres VTE-Risiko) oder familiäre VTE-Disposition, konnten nicht erfasst
werden. Frauen unter Einnahme von LNG-OK (ca. 367 000 „Frauenjahre”)
hatten ein ca. 2-fach höheres adjustiertes Risiko als „non-users”, Frauen unter
DRSP-OK (ca. 131 000 „Frauenjahre” ) ein 4-fach erhöhtes Risiko. Für Gestoden
und Desogestrel zusammengenommen lag das Risiko 3,55-fach höher als bei den
Kontrollen. CPA-OK wurden nicht untersucht. Diese Studie scheint ein erhöhtes
VTE-Risiko nach DRSP-OK zu belegen.
Bereits 2007 wurde eine umfangreiche prospektive
Studie veröffentlicht, in die 58 674 Frauen aus gynäkologischen Praxen und
Kliniken in sieben europäischen Ländern eingeschlossen worden waren (6). Sie
bekamen entweder erstmals ein OK verordnet oder wurden auf ein anderes OK („switchers”)
umgestellt. Den Ärzten war das OK nicht vorgegeben. Die an der Studie
freiwillig teilnehmenden Frauen mussten initial und alle sechs Monate einen
Fragebogen zur OK-Einnahme und besonderen Vorkommnissen, speziell VTE-Ereignissen,
ausfüllen. Alle solche Ereignisse wurden blind von einem Expertenkomitee
ausgewertet. Es gingen nur 2,4% der Frauen aus der Nachbeobachtung verloren,
wobei große Anstrengungen unternommen wurden, die Probandinnen an das Ausfüllen
der Fragebogen zu erinnern oder sie nach einem Umzug wieder aufzuspüren.
Insgesamt konnten ca. 142 000 Frauenjahre evaluiert werden. 16 534 Frauen
bekamen initial DRSP-OK, 15 428 LNG-OK und 26 341 andere EE-haltige
OK. Insgesamt wurden 118 VTE registriert. Auf LNG-OK entfielen 25 VTE oder
80 VTE/100 000 Frauenjahre, für DRSP-OK war die Zahl der VTE 26 oder
91 VTE/100 000 Frauenjahre; für andere OK war die Zahl der VTE 52
oder 99/100 000 Frauenjahre. Die Unterschiede waren nicht signifikant. Die
Studie wurde von der Firma Schering gesponsert, so dass Einflussnahmen
zugunsten des Herstellers von DRSP nicht auszuschließen sind. Immerhin handelt
es sich um die erste prospektive Studie zum Thema VTE und OK.
Verwunderlich sind die extrem unterschiedlichen
Informationen über das anzunehmende VTE-Risiko bei jüngeren, nicht schwangeren
Frauen (im OK-Alter), die keine OK oder Sexualhormone einnehmen oder anwenden.
In unserem Artikel von 1997 haben wir dieses basale Risiko noch mit fünf
VTE/100 000 Frauenjahre zitiert. Ein Kommentator der beiden neuen Veröffentlichungen
im BMJ (3, 4), N. Dunn aus England (7), zitiert noch das gleiche basale Risiko
von „non-users”, ohne zu bemerken, dass das VTE-Risiko von „non-users” in den
beiden von ihm besprochenen Arbeiten viel höher ist: 30/100 000
Frauenjahre in der dänischen Studie (5) und 12-23/100 000 Frauenjahre mit
steigendem Alter (< 30-50 Jahre) in der holländischen Studie (4). J.C. Dinger
et al. kommen in ihrer prospektiven Studie unter Einschluss einer parallelen
Zusatzstudie (6) in Deutschland sogar auf ein VTE-Risiko bei „non-users” von
44/100 000 Frauenjahre, so dass sich aufgrund der oben mitgeteilten Befunde
das Risiko bei Frauen, die LNG- oder DRSP-OK nehmen, etwa verdoppelt.
Fazit: Die
Daten zur Häufigkeit venöser Thrombosen bzw. Thromboembolien unter oralen
Kontrazeptiva (OK), die Cyproteronazetat oder Drospirenon enthalten, sind
widersprüchlich. Das Risiko ist aber sehr wahrscheinlich höher als unter
Levonorgestrel. Deshalb ist es sinnvoll, einer Frau, die lediglich eine
Kontrazeption beabsichtigt, ein lange bewährtes, Levonorgestrel enthaltendes OK
mit niedrigem Gehalt an Ethinylestradiol (möglichst 20 µg/d) zu verordnen.
Literatur
-
AMB 1996, 30, 01 und 20.
-
AMB 1997, 31,
11.

-
Kemmeren, J.M., et al.:
BMJ 2001, 323, 131.

-
van Hylckama Vlieg, A., et al. (MEGA = Multiple Environmental
and Genetic Assessment of risk factors for venous thrombosis
study): BMJ 2009, 339, b2921.

-
Lidegaard, Ø., et al.:
BMJ 2009, 339, b2890.

-
Dinger, J.C., et al.
(EURAS = EURopean Active Surveillance study):
Contraception 2007, 75, 344.

-
Dunn, N.: BMJ 2009, 339,
b3164.

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