In einem kürzlich erschienenen
Cochrane-Review wird Escitalopram (E) mit 21 anderen selektiven
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern und neueren Antidepressiva verglichen (1). Die
Autorinnen und Autoren kommen nach einer differenzierten Metaanalyse der
vergleichenden randomisierten Studien in der Zusammenfassung zu dem Schluss, E (Cipralex®)
sei in der Behandlung der Major-Depression dem Citalopram (C = Cipramil®
und Generika) signifikant überlegen. Im Vergleich mit anderen Antidepressiva
gab es keine wesentlichen Unterschiede. Das Ergebnis überrascht, weil E
lediglich das gereinigte S-Enantiomer des Razemats von C ist. Wir wollen daher diesen
Wirkungsvergleich des Reviews näher betrachten. Eine entsprechend höhere
Dosierung des Razemats sollte doch eigentlich den gleichen Effekt wie das
Enantiomer haben. Am Ende ihres Textes konstatieren die Cochrane-Autoren denn
auch, dass möglicherweise ein „Sponsorship-Bias” für die gefundenen
Unterschiede zwischen E und C verantwortlich sein könnte. Was ist wirklich dran
an der vermeintlich besseren Effektivität von E?
Der Vergleich E versus C des
Cochrane-Reviews stützt sich auf sechs randomisierte kontrollierte Studien, wobei
fünf von der Herstellerfirma von E unterstützt wurden. Nur für den Zeitpunkt
6-12 Wochen nach Therapiebeginn konnten aus allen Studien verwertbare Daten für
den Review extrahiert werden.
Als primärer Endpunkt wurde die
„Response-Rate” bei akuter Behandlung untersucht, die als mindestens 50%ige
Reduktion auf der Hamilton-Depression-Scale (HAM-D), der Montgomery-Asberg
Depression Rating Scale (MADRS) oder auf irgendeiner anderen Depressionsskala
definiert wurde. Als sekundäre Endpunkte wurden die Remissionsrate (< 8
Punkte auf HAM-D, < 12 Punkte auf MADRS) und die standardisierte
durchschnittliche Score-Reduktion definiert (in Prozent umgerechnet, um die
verschiedenen verwendeten Skalen vergleichbar zu machen). Weitere sekundäre
Endpunkte waren Lebensqualität, Behandlungskosten, Drop-out-Raten, Häufigkeit und
Art unerwünschter Arzneimittelwirkungen.
Alle Studien wurden auch systematisch
darauf geprüft, ob es Hinweise auf Einflussnahme der Sponsoren, d.h. Bias geben
könnte. Waren Gruppenbildung, Randomisierung und Verblindung adäquat? Wurde
beschrieben, warum Daten inkomplett waren? Gab es sonst Hinweise auf Bias?
Ergebnisse: Bei der Analyse der „Ansprechrate” 6-12
Wochen nach Therapiebeginn war ein Versagen der Therapie signifikant seltener
unter E als unter C (14,7% relative Risikoreduktion; Odds Ratio: 0,67; 95%-CI:
0,50-0,89; p = 0,006; absolute Risikoreduktion 6,8%; NNT: 15). Dabei ist
bemerkenswert, wie häufig die Therapie überhaupt nicht wirkte: Therapieversager
39,4% unter E und 46,2% unter C.
Auch bei der Remissionsrate gab es bei E
signifikant seltener Therapieversagen als bei seinem Razemat (relative
Risikoreduktion 15%, Odds Ratio: 0,57; 95%-CI: 0,36-0,90; p = 0,02; absolute
Risikoreduktion: 9,2%; NNT: 11). Es wird allerdings von einem hochsignifikant
positiven Test auf Studienheterogenität berichtet, wodurch die Aussage der
Metaanalyse relativiert wird. Ist dieser Test positiv, liegen die Ergebnisse
der einzelnen Studien so weit auseinander, dass kaum noch davon ausgegangen werden
kann, dass tatsächlich das Gleiche gemessen wurde.
Auch der Vergleich der mittleren
standardisierten Abnahme der
Depressivität auf den Depressionsskalen ergab einen
signifikanten Vorteil für E. Adjustiert auf die 60 Punkte umfassende MADRS
ergab sich eine Score-Differenz von 1,7 Punkten zugunsten von E. Auch dies ist
zwar in der Metaanalyse statistisch signifikant, aber klinisch sicher nicht
relevant.
Die Cochrane-Autoren geben an, dass
aufgrund der geringen Zahl von Studien die adäquate Methode („Funnel-Plot”) zum
Erkennen eines Publication-Bias nicht angewandt werden konnte. Es fällt aber
doch auf, dass bei den sechs eingeschlossenen Studien der gemessene Effekt sich
deutlich umgekehrt proportional zur Fallzahl verhält.
Um weitere Bias-Möglichkeiten zu
erkennen, haben die Autoren des Cochrane-Reviews alle Studien individuell
hinsichtlich der obengenannten Qualitätskriterien überprüft. Dabei wurde
festgestellt, dass keine einzige alle Anforderungen erfüllt. Bei allen gibt es
Verdachtsmomente, die Einflussnahme nahe legen. Nur eine der Studien (2)
erfüllt zumindest fünf der sechs überprüften Qualitätskriterien. Und gerade diese
Studie zeigt in keinem der untersuchten primären und sekundären Zielkriterien
einen Vorteil für E gegenüber C.
Zu den sekundären Endpunkten
Lebensqualität und Behandlungskosten werden in den Studien keine Daten
vorgelegt, die ausgewertet werden könnten. Die Häufigkeit der unerwünschten
Wirkungen (UAW) hingegen wird ausführlich und akribisch statistisch untersucht.
Auch hier ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen E und C.
Eine ökonomische Analyse wurde in dem
Cochrane-Review nicht vorgenommen, obwohl doch die Preise der Präparate bekannt
sind. Damit können wir uns nicht zufrieden geben. Ein bei gleicher Wirkung überhöhter
Preis eines Arzneimittels ist doch eine wichtige, ja entscheidende „UAW” und
damit wert, auch in einem Cochrane-Review diskutiert zu werden. Tab. 1 zeigt
die Apothekenverkaufspreise in Deutschland und Österreich. Die
Originalpräparate sind etwa viermal so teuer wie die C-Generika!
Fazit: Es besteht trotz des „positiven” Cochrane Reviews keine
Veranlassung, eine praktisch bedeutsame Überlegenheit von Escitalopram
gegenüber Citalopram anzunehmen. Auch ein Cochrane-Review kann nur so gut sein,
wie die dort eingeschlossenen Studien. Wenn bisher überwiegend von Firmen
gesponserte und mit erheblichem Bias-Verdacht behaftete Studien veröffentlicht
wurden, kann auch bei einer sorgfältigen Metaanalyse nichts endgültig Überzeugendes
herauskommen. Die positive Beurteilung von Escitalopram in der Zusammenfassung
der Cochrane-Autoren steht in deutlichem Widerspruch zu dem von den Autoren
selbst aufgezeigten Qualitätsmängeln der Studien. Es ist für uns auch
unverständlich, dass bei einem solchen Arzneimittelvergleich der erheblich unterschiedliche
Preis der Präparate nicht angesprochen wird.
Literatur
-
Cipriani, A., et al.:
Cochrane Database Syst Rev 2009;(2):CD006532:
-
Colonna, L., et al.:
Curr. Med. Res. Opin. 2005, 21, 1659.

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