Vor kurzem erschien im N. Engl. J. Med. eine
von Abbott gesponserte Originalarbeit, in der gezeigt wurde, dass eine Zusatztherapie
(„Add-on”) mit Nikotinsäure (Niacin) in Retardform („Extended-release”) bei
Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko und bestehender Statintherapie
binnen 14 Monaten zu einer signifikanten Abnahme der Intima-Media-Dicke in den
Karotiden führt (1). Wird nun die Zusatztherapie mit Nikotinsäure zum neuen
Standard?
Die Autoren rekrutierten in zwei Zentren
in den USA 363 von 630 teilnahmeberechtigten Patienten unter Statintherapie mit
Koronarer Herzkrankheit (KHK) oder KHK-äquivalentem Risiko. Die
Studienpatienten wurden in zwei Gruppen randomisiert. Eine Gruppe erhielt als
Zusatztherapie retardierte Nikotinsäure (Niaspan®) in aufsteigender
Dosis mit dem Ziel von 2 g/d (wurde bei 75% der Probanden erreicht), die andere
Gruppe statt der Nikotinsäure zusätzlich 10 mg/d Ezetimib (Ezetrol®).
Eine Verblindung der Medikation erfolgte nicht. Zu Studienbeginn sowie nach
acht und 14 Monaten wurde die Intima-Media-Dicke in den Karotiden mittels
Ultraschall gemessen. Als primärer Endpunkt wurde der Unterschied in der
Veränderung der mittleren Intima-Media-Dicke zwischen beiden Gruppen definiert.
Nach einer Interimsanalyse mit positivem Ergebnis
wurde die Studie vorzeitig beendet, nachdem bei 208 Patienten die dritte
Ultraschallmessung durchgeführt worden war. Nur diese 208 Patienten wurden in
die Per-protocol-Endauswertung einbezogen, davon 111 der Ezetimib- und 97 der
Nikotinsäure-Gruppe. Bis zum Studienabbruch waren neun Patienten der Ezetimib-
und 27 der Nikotinsäure-Gruppe wegen UAW oder anderer Gründe ausgeschieden. Sie
wurden in der Abschlussanalyse nicht berücksichtigt. Die Nikotinsäure war auch
in der Retardform offenbar nicht besonders gut verträglich: 36% hatten einen
kutanen „Flush”.
Die Intima-Media-Dicke nahm in der Nikotinsäure-Gruppe
signifikant ab (um durchschnittlich 0,0142 ± 0,0041 mm; p = 0,001), während in
der Ezetimib-Gruppe keine Veränderung gemessen wurde. Auch der Unterschied
zwischen Ezetimib- und Nikotinsäure-Gruppe war signifikant (p = 0,01).
Durch die Behandlung fiel in der
Ezetimib-Gruppe das LDL-Cholesterin von 83,7±19,9 auf 66,1±18,8 mg/dl
signifikant ab, unter zusätzlicher Nikotinsäure von 80,5±17,2 auf 70,5±23,9
mg/dl (Unterschied zwischen beiden Gruppen nicht signifikant). In der Nikotinsäure-Gruppe
stieg das HDL-Cholesterin von 42,5±8,6 auf 49,9±12,2 mg/dl signifikant an, in
der Ezetimib-Gruppe nahm es von 43,3±8,5 auf 40,5±7,9 leicht ab (Unterschied mit
p < 0,001 signifikant).
Als kombinierter sekundärer Endpunkt war
von den Autoren Herzinfarkt, kardiovaskuläre Revaskularisationsmaßnahme,
Krankenhausaufnahme wegen eines Akuten Koronarsyndroms und kardiovaskulärer Tod
definiert worden. Auch bei dieser Analyse wurden die Patienten, die aus der
Studie ausgestiegen waren, nicht berücksichtigt. Neun Patienten der Ezetimib-
und zwei der Nikotinsäure-Gruppe erreichten den kombinierten sekundären Endpunkt.
Das Ergebnis war im Chi2-Test mit p = 0,04 gerade signifikant.
Wenn auch die Ergebnisse auf den ersten
Blick spannend aussehen, so hat die Studie doch beträchtliche Schönheitsfehler.
Zum einen ist unverständlich, warum die Studie zu einem so frühen, für die
Untersucher und die finanzierende Firma Abbot günstigen Zeitpunkt abgebrochen
wurde. Auf diese Weise erreichten nur 57% der eingeschlossenen Patienten den
geplanten Evaluationszeitpunkt nach 14 Monaten. Leider wurden auch die Zwischenergebnisse
nur für die 208 Patienten mitgeteilt, die in die Endauswertung eingingen. Zum
Zeitpunkt des Studienabbruchs lag sicher ein Großteil der Acht-Monats-Ultraschallergebnisse
auch von den nicht berücksichtigten Patienten vor. Warum wurden sie nicht
mitgeteilt?
Es ist ein erhebliches Manko der Studie,
dass die Ergebnisse der ausgefallenen Patienten nicht einbezogen wurden, d.h. nicht
nach intention-to-treat analysiert wurde. Immerhin haben 27 Patienten der
Nikotinsäure-Gruppe (22% der gesamten Gruppe) die Studie vorzeitig abgebrochen.
In aller Regel wird die Aussagekraft von Studien mit einer „Drop-out-Rate” von
> 20% in Frage gestellt. Dies gilt hier natürlich vor allem im Hinblick auf
den zusammengesetzten sekundären Endpunkt. Dieser wurde in beiden Gruppen nur
von so wenigen Patienten erreicht, dass sich verlässliche Aussagen kaum
ableiten lassen. Daran ändert auch das signifikante Ergebnis des Surrogatparameters
Intima-Media-Dicke nichts.
Als
interessanter Nebenbefund der Studie ist zu erwähnen, dass sich in der
Ezetimib-Gruppe trotz Abnahme der LDL-Konzentration keine wesentliche Abnahme
der Intima-Media-Dicke fand (Vgl. auch 2). Dieser Befund stellt einmal mehr die Hypothese in Frage, nach der ein
weiteres Absenken der LDL-Zielwerte zu einer Reduktion der Atherosklerose
führen könnte.
Beide
Editorials in der selben Ausgabe des N. Engl. J. Med. (3, 4) sehen die Studienergebnisse eher positiv. Sie
empfehlen, trotz der dargestellten methodischen Mängel und dem vorzeitigen
Studienabbruch, dass man über die "Add-on"-Therapie mit retardierter
Nikotinsäure bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten nachdenken sollte,
insbesondere weil die Abnahme der Intima-Media-Dicke vergleichsweise deutlich
war. Sie fordern jedoch auch größere und methodisch bessere Studien mit
klinischen Endpunkten.
Fazit: Design und Ergebnisse der ARBITER 6-HALTS-Studie
belegen nicht, dass bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko, die
bereits ein Statin einnehmen, zusätzlich Nikotinsäure nötig ist. Offenbar war die
Nikotinsäure auch in der hier verwendeten Retardform relativ schlecht
verträglich, und es ist fragwürdig, ob die UAW für den vermeintlichen Vorteil
in Kauf genommen werden sollten. In einem Punkt gibt uns die Studie allerdings
weitere Sicherheit: Es hat sich erneut gezeigt, dass Ezetimib als Zusatz zu
einer bestehenden Statintherapie - obwohl das LDL-Cholesterin weiter gesenkt
wurde - keinen zusätzlichen günstigen Effekt auf die Atherosklerose (Surrogatparameter
Intima-Media-Dicke) hatte.
Literatur
-
Taylor, A.J., et al. (ARBITER 6-HALTS = ARterial
Biology for the Investigation of the Treatment Effects
of Reducing cholesterol 6 - HDL And LDL Treatment
Strategies in atherosclerosis): N. Engl. J. Med. 2009, 361, 2113.

-
AMB 2008, 42,
31.

-
Blumenthal, R.S., und Michos,
E.D.: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 2178.

-
Kastelein, J.J.P., und Bots,
M.L.: N. Engl. J. Med. 2009, 361, 2180.

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