Zusammenfassung:
Zwei aktuelle Studien legen dar, dass die Effektivität, insbesondere aber die
klinische Sicherheit kardiovaskulärer Implantate vor ihrer Marktzulassung
(noch) schlechter untersucht ist als die von Arzneimitteln. Die hohen
Qualitätsanforderungen an Design und Durchführung von Arzneimittelstudien
lassen sich nicht ohne weiteres auf Implantatstudien übertragen. In Anbetracht
dieser Schwierigkeiten und des rasch wachsenden, sehr kostenintensiven und
nicht selten auch ethisch sensiblen Bereichs ist es besonders wichtig, dass
Studien zu Implantaten sorgfältiger prospektiv geplant werden und
Qualitätskriterien erfüllen, die an die jeweilige Situation adaptiert sind.
Nach der Marktzulassung könnten kontrollierte vollständige Register solcher
Implantationen die vorhandenen Lücken im Qualitätsvergleich schließen im Sinne
einer „Implantat-Vigilanz”. Die dazu notwendigen Informationen zur Häufigkeit
von Reoperationen wegen Komplikationen oder technischer Defekte liegen
(unveröffentlicht) bei den Kostenträgern.
Zwei aktuelle US-amerikanische Studien
untersuchten die Qualität der Daten, die von den Herstellern kardiovaskulärer
Implantate (Devices) in ihren Zulassungsanträgen an die FDA vorgelegt wurden,
und kommen zu dem Schluss, dass die Marktzulassung oft trotz ungenügender
Evidenz erfolgt. Die Untersuchungen umfassten unter anderen die Zulassungen
folgender - heterogener - Gruppen von Implantaten: koronare und nicht-koronare
Stents, endovaskuläre Grafts, intrakardiale Implantate (z.B. Okkludersysteme
für Vorhofseptumdefekte), Herzschrittmacher und implantierbare Defibrillatoren,
linksventrikuläre Unterstützungssysteme („Bridge-to-Transplant-Devices”).
Die erste Untersuchung (University of
California, San Francisco) bewertete systematisch 123 öffentlich einsehbare
”Summaries of Safety and Effectiveness Data” (SSED) von 78 kardiovaskulären
Implantaten, die von der FDA zwischen Januar 2000 und Dezember 2007 zugelassen
wurden (1). Bereits aus diesen Zahlen geht hervor, dass jedem Zulassungsantrag
im Mittel nur 1,6 Studien zugrunde liegen (bei 65% überhaupt nur eine, maximal
fünf). Gerade mal 27% dieser Studien waren randomisiert, nur 14% verblindet.
Von allen in diesen Studien untersuchten Endpunkten waren 88%
Surrogatparameter, nur knapp mehr als die Hälfte hatten einen Vergleich mit
einer Kontroll-Guppe, und 31% der Kontrollen waren retrospektiv. Die mittlere
Patientenzahl lag bei 308 pro Studie, wobei 80% der SSED die Patientenzahl
überhaupt nicht erwähnen. Die Autoren weisen auf den hohen Anteil von
post-hoc-Analysen und die teilweise großen Diskrepanzen zwischen den Zahlen
eingeschlossener und per-protocol analysierter Patienten hin.
Die zweite - differenziertere -
Untersuchung (2) stammt vom Medical Device Safety Institute des Beth Israel
Deaconess Medical Center in Boston sowie Wissenschaftlern der Division of
Cardiovascular Devices der FDA. Sie überprüfte alle Zulassungsanträge für
kardiovaskuläre Implantate, über die die FDA von Januar 2000 bis Dezember 2007
zu entscheiden hatte. Den Autoren standen - im Unterschied zur erstgenannten
Studie - nicht nur die öffentlich einsehbaren SSED, sondern die vollständigen
Akten mit allen Studiendaten der bei der FDA eingereichten Zulassungsanträge
zur Verfügung. Insgesamt wurden 88 Zulassungsanträge für kardiovaskuläre
Implantate (davon 77,3% permanente Implantate) analysiert, denen 132 klinische
Studien zugrunde lagen. Die mittlere Patientenzahl pro Studie lag bei 283,
davon waren 232 Implantat-Empfänger. Angaben zu relevanten Komorbiditäten
fanden sich nur in einem Teil der Studien (z.B. zu KHK nur in 51%, zu Diabetes
nur in 37% und zu Nikotinabusus nur in 32% der Studien). Die
Autoren überprüften die Studien auf ihre Datenqualität, wobei eine Studie als
qualitativ hochwertig erachtet wurde, wenn folgende Kriterien erfüllt waren: A
= klar definierter primärer Endpunkt für Effektivität; B = klar definierter
primärer Endpunkt für Sicherheit mit jeweils spezifischen Analysezeitpunkten; C
= „Drop-out-Rate” unter 10%. Diese Kriterien erfüllten nur A = 81,8%, B = 60,2%
und C = 77,3% der Studien. Es wurden auch Implantate aus unterschiedlichen
kardiovaskulären Anwendungsgebieten (s. Tab. 1) verglichen, wobei die Autoren
in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Implantate und Studiendesigns hier zur
vorsichtigen Interpretation raten.
Aus den beiden
Untersuchungen werden die großen Schwierigkeiten sichtbar, die mit der
Evaluierung kardiovaskulärer Implantate verbunden sind:
·
Bei
den Implantationen handelt es sich in der Regel um permanente und irreversible
Maßnahmen. Dagegen können Arzneimittel bei UAW abgesetzt werden.
·
Bei
manchen Implantaten handelt es sich um Therapieoptionen in Notfallsituationen
als lebenserhaltende Maßnahme.
·
Es
ist schwierig und manchmal ethisch nicht vertretbar, Patienten für
Implantatstudien zu randomisieren. Auch Verblindung ist in der Regel nicht
möglich. Das Kriterium, ob eine Device-Studie randomisiert und verblindet ist
oder nicht, ist daher nicht generell geeignet, die Qualität des Studiendesigns
zu beurteilen. Dies trifft in besonderer Weise auf chirurgische Implantate zu.
·
Die
große Heterogenität der Implantate und ihrer Indikationen erfordert auch
unterschiedliche Studiendesigns. Möglichst allgemeingültige Schemata – wie sie
bei Arzneimittelstudien zur Qualitätssicherung gefordert werden – sind hier
nicht sinnvoll.
·
Studien
mit sehr großen Patientenzahlen, wie sie bei kardiovaskulären
Arzneimittelstudien üblich sind, sind bei Implantaten nicht praktikabel. Bei
manchen Fragen ist man daher gezwungen, Surrogatparameter statt harter
klinischer Endpunkte zu untersuchen, um überhaupt Daten zur Effektivität zu
gewinnen.
·
Lange
Nachbeobachtungszeiten nach Implantationen werden häufig dadurch in Frage
gestellt, dass von den Herstellern in immer kürzeren Zeitabständen
Implantat-Innovationen angeboten werden und damit Vorgängermodelle obsolet
werden.
Die FDA hat versprochen, Kriterien zu
formulieren, die sich im Wesentlichen auf die Vorschläge von Kramer et al. (2)
gründen. Künftig sollen Qualität und Zulässigkeit von Studien, auf die sich
Implantat-Hersteller in ihren Zulassungsanträgen berufen, an diesen Kriterien
gemessen werden (3):
·
Klare Endpunkte für Sicherheit und
Effektivität müssen vordefiniert sein.
·
Der Zeitpunkt, zu dem ein Endpunkt
evaluiert wird, muss vordefiniert sein.
·
Bei kombinierten Endpunkten muss eine
Gewichtung der einzelnen Komponenten vordefiniert sein.
·
Patientenzahlen (insbesondere die Bilanz
der Zahl eingeschlossener und analysierter Patienten) müssen dargelegt werden,
um die Interpretierbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten.
Auf Kriterien, wie sie bei
Arzneimittelstudien üblich sind (z.B. Randomisierung, Verblindung, möglichst
lange Nachbeobachtung, kombinierte klinische Endpunkte inkl. Letalität) wurde
aus oben genannten Gründen bewusst verzichtet.
Literatur
- Dhruva,
S.S., et al.: JAMA 2009, 302, 2679.

- Kramer, D.B., et
al.: Am. J. Ther. 2009, 17, 2.

- Miller. R.:
theheart.org. 30. Dezember 2009.
(Zugriff am 13.1.2010)
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