Anfang Oktober fand in Wien
die Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD)
statt. Ein im Verlauf des Kongresses heftig diskutiertes Thema war wieder die
Definition des optimalen HbA1c-Werts in der Therapie des
Typ-2-Diabetes. Derzeit nennen die American Diabetes Association (ADA) und die
EASD in ihren Leitlinien einen Zielwert von HbA1c < 7%, andere
Diabetes-Organisationen jedoch, wie die American Association of Clinical
Endocrinologists (AACE) und die International Diabetes Federation (IDF), legen den
Zielwert bei < 6,5% fest.
Seit im vergangenen Jahr die
ACCORD-Studie wegen höherer Letalität in der Patientengruppe mit sehr
intensivierter Blutzucker (BZ)-Senkung (HbA1c-Zielwert < 6%) im
Vergleich zu einem Standard-Arm
(HbA1c-Zielwert 7,0%-7,9%) vorzeitig abgebrochen werden musste (1, 2),
gilt die Maxime „je niedriger desto besser” für den HbA1c-Wert nicht
mehr, und die Diskussionen darüber reißen nicht ab. Auch in der ADVANCE- (3)
und VADT-Studie (4) führte eine sehr scharfe Diabeteseinstellung nicht zu einer
Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse. Lediglich die UKPDS (5, 6) erbrachte
anhaltende günstige Effekte einer früheren intensiven BZ-Senkung auf die
Diabetes-Komplikationen nach zehn Jahren, das Infarktrisiko und die Gesamtletalität.
Aktuelle Subgruppenanalysen der ACCORD-Studie zeigten, dass in der Gruppe mit
intensivierter antiglykämischer Therapie die Letalität insbesondere bei
denjenigen Patienten erhöht war, die den HbA1c-Zielwert trotz
intensiver Pharmakotherapie nicht oder nicht anhaltend erreichten, während
diejenigen Patienten, die sich unproblematisch auf konstant sehr niedrige HbA1c-Werte
einstellen ließen, sehr wohl davon profitierten (7).
Nach einer einfachen Botschaft
für die Hausärzte wurde in Wien erwartungsgemäß vergeblich gesucht. Einigkeit
herrschte nur darin, dass ein individuelles Therapiemanagement bei
Diabetespatienten grundsätzlich das beste ist. Im Mittelpunkt der Debatte stand
insbesondere die optimale Behandlung älterer Diabetiker angesichts der
unzureichenden Datenlage zu dieser großen Patientengruppe. Dass bei jüngeren
Patienten (< 60 Jahre) mit neu diagnostiziertem Diabetes möglichst
niedrige HbA1c-Werte zur Prävention mikrovaskulärer Spätkomplikationen
(Nephro-, Neuro-, Retinopathie) angestrebt werden sollten, war weitgehend
unbestritten. Ältere Patienten hingegen leiden häufig bereits unter kardiovaskulären
und anderen Krankheiten und haben ohnehin eine geringere Lebenserwartung, so dass
mikrovaskuläre Spätkomplikationen weniger Bedeutung haben. Eine HbA1c-Senkung
mit allen (Arznei-)Mitteln ist für diese Patienten wahrscheinlich vor allem deshalb
nachteilig, weil sie ein höheres Risiko für Hypoglykämien und andere UAW sowie
für Wechselwirkungen im Rahmen einer Polypharmakotherapie haben.
Fazit: Der optimale Zielwert für das HbA1c
bei Diabetes mellitus Typ 2 ist weiter unklar, was sich in den verschiedenen Leitlinien
widerspiegelt. Die Behandlung des Diabetikers sollte sich nach individuellen
Faktoren richten. Patienten (meist relativ junge), die mit einfachen Mitteln
dauerhaft auf einen niedrigen (d.h. im Normalbereich liegenden) Zielwert
einzustellen sind, profitieren davon. Bei älteren Diabetikern hat eine oft nur
mit intensiver (Poly-)Pharmakotherapie mögliche, strenge Blutzuckereinstellung
negative Effekte auf das Überleben. Die Gründe hierfür sind wahrscheinlich
multifaktoriell (Hypoglykämien, UAW, Wechselwirkungen).
Literatur
-
AMB 2008, 42,
27.

-
ACCORD = Action
to Control CardiOvascular Risk in Diabetes
study: N. Engl. J. Med. 2008, 358, 2545.
S.a. AMB
2008, 42, 59. 
-
ADVANCE Collaborative
Group = The Action in Diabetes and Vascular disease:
PreterAx and DiamicroN modified release Controlled Evaluation:
N. Engl. J. Med. 2008, 358, 2560.
S.a. AMB
2008, 42, 59. 
-
Duckworth, W., et al.
(VADT = Veterans Affairs Diabetes Trial):
N. Engl. J. Med. 2009, 360,
129.
Errata: Moritz, T., et al.: N. Engl. J. Med. 2009, 361,
1024. 
-
Holman, R.R., et al. (UKPDS 80 = UK Prospective Diabetes
Study 80): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1577.
S.a. AMB 2008, 42, 94. 
-
Holman, R.R., et al. (UKPDS 81 = UK Prospective Diabetes
Study 81): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1565.
S.a. AMB 2008, 42, 94. 
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Riddle, M.C., und
Duckworth, W.C.: New analysis from ACCORD and VADT. American Diabetes
Association 2009 Scientific Sessions; June 9, 2009; New Orleans, LA.
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