Ob eine milde oder mäßige Hypercholesterinämie oder
Hypertonie unbedingt behandelt werden muss, hängt ab von der Höhe des
kardiovaskulären Gesamtrisikos, das z.B mit dem PROCAM-Risiko-Rechner, dem ARRIBA-Score
oder dem Framingham-Algorithmus aus Alter, Geschlecht, Blutdruck,
Cholesterinkonzentration, Diabetes mellitus, Rauchgewohnheiten,
Familienanamnese abgeschätzt werden kann. Je höher das Gesamtrisiko, desto
wichtiger sind die einzelnen Risikofaktoren. Darin besteht weitgehend
Übereinstimmung. Es gibt aber neben den klassischen Faktoren noch andere so
genannte ”emerging risk factors”, die das Risiko für kardiovaskuläre
Erkrankungen möglicherweise zusätzlich erhöhen. Ihre quantitative Bedeutung
wird noch nicht einheitlich beurteilt. Zu diesen Faktoren (vgl.1-5) gehören
z.B. Adipositas, Alkoholkonsum, Niereninsuffizienz, ethnische oder soziale
Einordnung, aber auch erhöhte Serumkonzentrationen von Homozystein, CRP und
Lipoprotein (a) [Lp(a)].
Eine aktuelle, sehr umfangreiche Metaanalyse (6)
beschäftigt sich mit der Frage, ob eine erhöhte Serumkonzentration von CRP ein
unabhängiger Risikofaktor ist für Koronare Herzkrankheit (KHK) und Schlaganfall
und ob dadurch auch die kardiovaskuläre und nicht-kardiovaskuläre Letalität
erhöht wird. Zur Klärung dieser Frage wurden die Akten von 160 309
Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankungen in der Anamnese (insgesamt 1,31
Mio. Patientenjahre!) aus 54 prospektiven Verlaufsuntersuchungen analysiert.
Bei allen Patienten war zu Beginn außer den demografischen und klinischen Daten
(übliche Risikofaktoren) auch das CRP gemessen worden. Es wurde der Einfluss
der CRP-Konzentration und der üblichen Risikofaktoren unter Einschluss von
Fibrinogen auf die Häufigkeit der Endpunkte statistisch untersucht. Während der
Beobachtungszeit wurden insgesamt 27 769 tödliche oder nicht-tödliche
Ereignisse registriert. Erhöhte CRP- und Fibrinogen-Konzentrationen waren
ähnlich wie die klassischen Risikofaktoren mit einem höheren kardiovaskulären
Risiko korreliert. Ein von anderen Risikofaktoren unabhängiger Einfluss
erhöhter CRP-Konzentrationen (festgestellt mit Hilfe einer Multivarianzanalyse)
auf die Häufigkeit der Endpunkte war sehr gering, vor allem dann, wenn in die
Varianzanalyse auch der Entzündungsparameter Fibrinogen eingeschlossen wurde.
Wer sich für die Einzelheiten der Statistik interessiert, sei auf die Originalarbeit
verwiesen. Eine erhöhte CRP-Konzentration korrelierte auch mit der
nicht-kardiovaskulären Letalität, ein weiterer Hinweis auf die fehlende
Spezifität als direkter kardiovaskulärer Risikofaktor. Die CRP-Konzentration
ist offenbar - ähnlich wie die Blutsenkungsgeschwindigkeit - ein Parameter, der
auf einen entzündlichen Prozess hinweist. Eine genetisch bedingte Erhöhung der CRP-Konzentration
ist nicht mit anderen Risikofaktoren oder einem erhöhten kardiovaskulären
Risiko verbunden (7, 8). Das Editorial in derselben Ausgabe des Lancet (9)
weist darauf hin, dass z.B. in der JUPITER-Studie (10) speziell die Patienten mit
mittelhohem Risiko und erhöhter CRP-Konzentration einen Nutzen von der
Rosuvastatin-Therapie hatten. Aber grundsätzlich ist ein erhöhtes CRP kein
unabhängiger Risikofaktor für atherosklerotische Komplikationen, auch wenn bei Atherosklerose
entzündliche Prozesse eine Rolle spielen. Ob spezielle Untergruppen existieren,
bei denen eine Senkung der CRP-Konzentration präventiv wirksam ist, kann nur durch
randomisierte kontrollierte Studien beantwortet werden.
Auch eine erhöhte Serumkonzentration von Lp(a) ist
als unabhängiger Risikofaktor nicht unumstritten. Hier bringt die
PROCARDIS-Studie (11) einen wichtigen zusätzlichen Hinweis. Anders als bei
einer erhöhten CRP-Konzentration, wurde in PROCARDIS gezeigt, dass Menschen mit
einer speziellen Gen-Variante nicht nur eine erhöhte Serumkonzentration des Lp(a)
haben, sondern auch ein von anderen Risikofaktoren unabhängiges, erhöhtes
kardiovaskuläres Risiko. Die Befunde wurden mit einer neuartigen Methode
erhoben, die es gestattete, 49 000 (!) Nukleotid-Polymorphismen zu
erfassen. Es wurden 3145 Patienten bis zum Alter von 65 Jahren eingeschlossen,
die eine KHK und ein ebenfalls koronarkrankes Geschwister hatten und 3352
Patienten aus kardiologischen Abteilungen ohne KHK (insgesamt also 6497). Zwei
Polymorphismen des Lp(a)-Gens waren signifikant korreliert mit einer erhöhten
Lp(a)-Konzentation und erhöhtem Risiko für eine KHK. Das Risiko für KHK war bei
einer Konzentration von 20 mg/dl normal und bei 75 mg/dl verdoppelt. Die
anderen Risikofaktoren hatten - anders als in der erwähnten Emerging Risk
Factor Study (6) - keinen Einfluss. Der Einfluss von Lp(a) auf das
kardiovaskuläre Risiko ist also eigenständig.
Ist es in der primären Prävention nun von Vorteil,
wenn dieser zusätzliche Risikofaktor Lp(a) regelmäßig untersucht wird? Die
PROCARDIS-Befunde wurden an einem Hochrisiko-Klientel erhoben, das sich von der
Normalbevölkerung wesentlich unterscheidet. Melander et al. konnten in Schweden
an einem Kollektiv mit wohl normalem Risiko zeigen (12), dass die zusätzliche
Berücksichtigung von Lp(a) die Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos nur
minimal verändert. Das Editorial zur PROCARDIS-Studie (13) macht darauf
aufmerksam, dass die klinische Bedeutung der Befunde bisher noch nicht klar ist.
Es gäbe keine Studie, die zeige, dass die Berücksichtigung einer erhöhten
Lp(a)-Konzentration Auswirkungen auf die Abschätzung des kardiovaskulären Gesamtrisikos
habe. Auch die gezielte Senkung des Lp(a) mit Niacin (vgl. 14) sei bisher nicht
versucht worden.
Die Hyperlipoproteinämie Lp(a) ist eine seltene
angeborene Fettstoffwechselstörung, bei der es familiär gehäuft sehr früh zur
Atherosklerose mit ihren Komplikationen kommt. Bei diesen Patienten muss
natürlich Lp(a) bestimmt werden. Die Lipidapherese ist gegenwärtig die einzige
Möglichkeit, die Lp(a)-Konzentration zu senken.
Dr. P.F. aus Berlin hatte folgende Fragen an die
Redaktion des ARZNEIMITTELBRIEFS gerichtet: Beeinflussen die Serum-Konzentrationen
von CRP und Lipoprotein (a) das Gesamtrisiko für die Entwicklung einer Atherosklerose?
Müssen sie zusammen mit den üblichen Risikofaktoren bestimmt werden? Die Fragen
können mit unserem Fazit beantwortet werden.
Fazit: Zwar
ist Lipoprotein (a) für eine kleine Gruppe mit familiärer Hyperlipoproteinämie ein
wichtiger Risikofaktor für frühe kardiovaskuläre Komplikationen. Die allgemeine
und routinemäßige Bestimmung der so genannten „emerging risk factors” CRP und Lipoprotein
(a) im Serum ist in der sekundären kardiovaskulären Prävention aber nicht
erforderlich, weil sowieso behandelt werden muss. Der Nutzen der allgemeinen regelmäßigen
Bestimmung in der primären Prävention ist nicht erwiesen.
Literatur
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an Intervention Trial Evaluating Rosuvastatin): N.
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Kathiresan, S.: N.
Engl. J. Med. 2009, 361, 2573.

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AMB 2010, 44,
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