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HIV-positive Patienten mit Tuberkulose: Wann sollte mit der antiretroviralen Therapie begonnen werden?

Die Zahl der HIV-Infizierten im Jahr 2007 weltweit wurde auf 33 Mio. geschätzt (1). Im selben Jahr wurde bei 9,2 Mio. Menschen Tuberkulose (Tbc) neu diagnostiziert (2). Die Zahl der Doppeltinfizierten steigt schnell, und die beiden Infektionen beeinflussen sich gegenseitig negativ (3). Morbidität und Letalität bei HIV-positiven Patienten mit Tuberkulose sind selbst bei wirksamer antituberkulöser Therapie sehr hoch (4) und in Südafrika die häufigste Todesursache bei diesen Patienten (5). Der Zeitpunkt des Beginns der antiretroviralen Therapie ist offenbar prognostisch bedeutsam. Bei den meisten Patienten wird die antiretrovirale Therapie erst dann eingeleitet, wenn die antituberkulöse Therapie abgeschlossen ist. Die Gründe hierfür sind: Interaktion von Rifampicin mit antiretroviralen Arzneimitteln, das inflammatorische Immunrekonstitutions-Syndrom (IRIS), überlappende UAW und die zahlreichen Tabletten. Die bisherigen Richtlinien basieren jedoch nur auf Beobachtungsstudien und Expertenmeinungen.

Um mehr Klarheit in dieser Frage zu schaffen, wurden jetzt in Südafrika drei verschiedene Startpunkte der antiretroviralen Therapie bei HIV-positiven Patienten mit Tbc in einer offenen, randomisierten, kontrollierten Studie untersucht (6).

In die Studie wurden Patienten (≥ 18 Jahre) eingeschlossen, die HIV-positiv waren (< 500 CD4+ T-Zellen/μl) und im Sputum säurefeste Stäbchen (Ziehl-Neelsen-Färbung), d.h. eine offene Tbc hatten. Die Patienten wurden 1:1:1 in drei Arme randomisiert. Im ersten Arm wurde die antiretrovirale Therapie innerhalb von vier Wochen nach dem Beginn der antituberkulösen Therapie gestartet (frühe integrierte Therapie). Im zweiten Arm wurde die antiretrovirale Therapie innerhalb von vier Wochen nach Abschluss der Induktionsphase der antituberkulösen Therapie begonnen (späte integrierte Therapie). Im dritten Arm wurde die antiretrovirale Therapie innerhalb von vier Wochen erst nach Beendigung der antituberkulösen Therapie begonnen (sequenzielle Therapie). Der primäre Endpunkt der Studie war Tod jeder Ursache. Sekundäre Endpunkte waren: Abbruch wegen UAW, toxische Effekte, unerwartete Verläufe in HIV-RNA-Quantifizierungen, unerwarteter Verlauf der Tbc, Auftreten des IRIS. 642 Patienten wurden eingeschlossen, davon 429 in die beiden integrierten Arme und 213 in den sequenziellen Arm. Tatsächlich begannen dann 350 Patienten in den beiden Armen mit integrierter und 100 im Arm mit sequenzieller Therapie die antiretrovirale Therapie. Die Patientencharakteristika waren in den Armen ähnlich. Untersuchungen im Rahmen der Nachbeobachtung wurden monatlich insgesamt 24 Monate lang durchgeführt. Nach einer zuvor geplanten Zwischenauswertung zwei Monate nach Einschluss aller Patienten, empfahl das Sicherheitskomitee wegen des häufigeren Überlebens in den beiden Armen mit integrierter Therapie, bei allen Patienten des dritten Arms (sequenzielle Therapie) baldmöglichst mit der antiretroviralen Therapie zu beginnen, was auch bei fast allen geschah. Diese Zwischenauswertung erklärt auch die geringe Zahl der Patienten, die im sequenziellen Arm nach Abschluss der antituberkulösen mit der antiretroviralen Therapie begannen.

Die Studie wurde daher zu diesem Zeitpunkt ausgewertet. Die beiden Arme mit integrierter Therapie wurden hierfür zusammengeführt. Am Stichtag der Datenauswertung waren 338 der 642 Patienten noch in der Nachbeobachtungsphase. 52 Patienten (8,1%) waren gestorben, 134 (20,9%) hatten den vollen geplanten Beobachtungszeitraum abgeschlossen und 56 (8,7%) hatten die Studie schon vorher abgebrochen. Die mediane Beobachtungszeit in der Studie war 12,1 Monate. In den Behandlungsarmen mit integrierter Therapie gab es 25 Todesfälle (= 5,4/100 Personenjahre); im Arm mit sequenzieller Therapie 27 (12,1/100 Personenjahre; p = 0,003). Der Unterschied blieb auch signifikant, wenn verschiedene Ausgangssituationen einbezogen wurden. Die Todesursachen, soweit sie bekannt wurden, waren zum größten Teil im Zusammenhang mit der Tbc zu erklären. Ein unabhängiger prädiktiver Parameter für Tod war der Ausgangswert der CD4 T-Zellen. Die Adhärenz zur antiretroviralen Therapie war in den Armen etwa gleich gut (97-98%). Zu einem IRIS kam es bei 53 von 429 Patienten (12,4%) in den Armen mit integrierter Therapie und bei 8 von 213 Patienten bei sequenzieller Therapie (p > 0,001), ohne dass dadurch die Todesfälle zunahmen. Schwere UAW (Grad 3 und 4) waren in den Behandlungsarmen nicht unterschiedlich.

Diese Studie zeigt, dass es hinsichtlich der Letalität günstiger ist (Senkung um 56%) die antiretrovirale Therapie bei HIV-positiven Patienten mit neu diagnostizierter Tbc während der laufenden antituberkulösen Therapie zu beginnen statt erst nach Beendigung der antituberkulösen Therapie.

Fazit: Nach den Daten dieser Studie sollte man mit der antiretroviralen Therapie bei HIV-positiven Patienten (< 500 CD4 T-Zellen/μl) und gleichzeitig diagnostizierter Tbc nicht warten, bis die antituberkulöse Therapie abgeschlossen ist. Es scheint aber kein Unterschied in der Letalität zu bestehen, ob man von Anfang an parallel behandelt oder erst nach der Induktionstherapie der Tbc mit der antiretroviralen Therapie beginnt.

Literatur

  1. 2008 Report on the global AIDS epidemic update. Geneva: Joint United Nations Programme on HIV/AIDS, 2008., http://data.unaids.org/pub/GlobalReport/2008/JC1511_GR08_ExecutiveSummary_en.pdf (Letzter Zugang 2.3.2010). Link zur Quelle
  2. Global tuberculosis control: surveillance planning financing. Geneva: World Health Organization, 2008.
  3. Karim, S.S.: AIDS 2006, 20, N7. Link zur Quelle
  4. Mukadi, Y.D., et al.: AIDS 2001,15, 143. Link zur Quelle
  5. Schluger, N.W.: Clin. Infect. Dis. 1999, 28, 130. Link zur Quelle
  6. Abdool Karim, S.S., et al.: N. Engl. J. Med. 2010, 362, 697. Link zur Quelle