Zwischen normalem und diabetischem Nüchtern-Blutzucker
und zwischen normalem und hypertensivem Blutdruck gibt es keine scharfen
Grenzen. Die Diagnosen Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie basieren auf
vereinbarten Grenzwerten, oberhalb derer Sekundär-Morbidität und Mortalität in
einem Maße zunehmen, dass eine Therapie der Hyperglykämie bzw. des hohen
Blutdrucks mit dem Ziel der Risikoreduktion angezeigt erscheint.
Bisher wurde ein Diabetes mellitus definiert als eine
bestätigte Plasma-Glukose-Konzentration nüchtern > 126 mg/dl (> 7 mmol/l)
oder als ein Zwei-Stunden-Blutzucker im oralen Glukose-Toleranz-Test (OGTT) von
≥ 200 mg/dl (≥ 11 mmol/l). Die Messung des
HbA1c-Werts, der den mittleren Blutzucker inklusive postprandialer Spitzen in
den letzten 2-3 Monaten anzeigt, wurde überwiegend zur Therapiekontrolle hinsichtlich
Reduzierung der Hyperglykämie bei bereits bekanntem Diabetes verwendet.
Seit längerem ist aber bekannt, dass der HbA1c-Wert
auch im nicht-diabetischen Bereich (< 6% des Hämoglobins) mit der zukünftigen
Inzidenz arteriosklerotischer Kreislauferkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall)
positiv korreliert (1-3). Nicht wenige Menschen mit HbA1c-Werten
zwischen 6% und 7% haben noch eine normale Nüchtern-Glukose oder eine normale
oder nur leicht gestörte „Glukosetoleranz” im OGTT. Auch die Beobachtung einer
engen Korrelation zwischen HbA1c und zukünftiger diabetischer
Mikroangiopathie veranlassten die American Diabetes Association (ADA) zu der
Empfehlung, den HbA1c-Wert in stärkerem Maße zur Diabetes-Diagnostik
heranzuziehen (4).
Im N. Engl. J. Med. erschien jetzt eine prospektive
Beobachtungsstudie mit erheblicher statistischer Stärke, die diese Empfehlung
der ADA stützt (5). Die ARIC-Studie wurde in vier US-Gemeinden im Jahr 1987
begonnen. Man erfasste bei 15792 Personen im mittleren Lebensalter
demografische Daten, außerdem den Body Mass Index, die „waist-to-hip-ratio”,
den Blutdruck, den Nüchtern-Blutzucker und den Lipidstatus. Bei einer zweiten
Untersuchung in den Jahren 1990-1992 wurde Blut für die Messung des HbA1c
asserviert, das später gemessen wurde. In den folgenden Jahren bis 2006 wurden
per Fragebogen und bei besonderen Ereignissen durch Extra-Recherchen bei Hausärzten
und in Krankenhäusern kardiovaskuläre Ereignisse, neue Diagnosen von Diabetes
mellitus und Todesfälle erfasst. Die genannten Ereignisse wurden bei Menschen
ohne bekannte Diagnose eines Diabetes mellitus und ohne eine bekannte kardiovaskuläre
Erkrankung mit den HbA1c-Werten bei Einschluss (Jahre 1990-1992) korreliert.
Die Auswertungen erfolgten in fünf verschiedenen HbA1c-Kategorien
(s. Tab. 1). Die Gruppe HbA1c 5% bis 5,5% diente als Referenz. Ihre
Hazard Ratio wurde als 1,00 definiert. Die multivariat adjustierten „Hazard ratios”
mit 95%-Konfidenz-Intervallen für Diabetes mellitus und Koronare Herzkrankheit
(KHK) sind in Tab. 1 wiedergegeben.
Die Korrelation zwischen HbA1c und einem
späteren ischämischen Schlaganfall war ähnlich positiv wie die zur KHK. Die
Beziehung zwischen HbA1c und zukünftigen Todesfällen jeder Ursache ergab
eine J-förmige Kurve. Die Letalität war in der HbA1c-Gruppe < 5,0%
um etwa 40% höher als in der Referenz-Gruppe (Ursachen unklar). Mit zunehmenden
HbA1c-Werten stieg sie kontinuierlich an und war in der höchsten HbA1c-Kategorie
(≥ 6,5%) um ca. 70% höher. Im Gegensatz zum HbA1c waren
alle Beziehungen zwischen dem Nüchtern-Blutzucker im Normalbereich und den
erwähnten Ereignisraten viel weniger deutlich und im Hinblick auf zukünftige
Todesfälle nicht signifikant.
Insgesamt hatten Afroamerikaner im Mittel einen um
ca. 0,4 Prozentpunkte höheren HbA1c-Wert als Personen weißer
Hautfarbe, zum Teil weil sie initial ohne es zu wissen, schon einen leichten
Diabetes mellitus hatten. Trotz dieses Unterschieds waren die Beziehungen
zwischen den Ereignis-Parametern und den HbA1c-Werten bei Schwarzen
und Weißen ähnlich.
Die Ergebnisse zeigen, dass der HbA1c-Wert
eine geringe individuelle Varianz hat und unabhängig vom prandialen Status ist.
Schon im so genannten Normalbereich hat er hinsichtlich zukünftigem Diabetes
mellitus und kardiovaskulärer Ereignisse eine bessere prognostische
Aussagekraft als Nüchtern-Blutzucker-Werte. Bei Personen mit weiteren
kardiovaskulären Risikofaktoren sollte ein hoch-normaler HbA1c-Wert
Anlass sein, früher als anderweitig geplant, mit Interventionen bei Ernährung
und körperlicher Bewegung zu beginnen. Antidiabetika sind bei einem HbA1c-Wert
< 6% wohl nicht indiziert.
Der HbA1c-Wert wird in Zukunft vermutlich
nach Festlegung bestimmter Obergrenzen oder als Teil eines Scores aus Nüchtern-Blutzucker,
HbA1c und gegebenenfalls OGTT-Ergebnis in die Definition des Diabetes
mellitus eingehen.
Fazit: Die
referierte prospektive Beobachtungsstudie mit einer Dauer von maximal 15 Jahren
zeigt, dass zwischen dem initialen HbA1c-Wert und dem zukünftigen
Auftreten eines Diabetes mellitus nach bisherigen Definitions-Kriterien sowie
der Inzidenz von Herzinfarkten und ischämischen Schlaganfällen eine deutlich
engere Korrelation besteht als zwischen den genannten Ereignissen und dem
initialen Nüchtern-Blutzucker-Wert. Der HbA1c-Wert wird künftig
stärker bei der Definition des Diabetes mellitus zu berücksichtigen sein.
Literatur
-
Peters, A.L., et al.:
JAMA 1996, 276, 1246
. Erratum JAMA 1997, 277, 1125.
-
Khaw, K.T., et al. (EPIC-Norfolk = European Prospective
Investigation into Cancer and nutrition-Norfolk): BMJ 2001, 322,
15.

-
Khaw, K.T., und Wareham, N.:
Curr. Opin. Lipidol. 2006, 17,
637.

-
American Diabetes
Association: Diabetes Care 2010, 33 Suppl. 1, S62.
Erratum: Diabetes
Care 2010, 33, e57.
-
Selvin, E., et al.
(ARIC = Atherosclerosis Risk In Communities): N.
Engl. J. Med. 2010, 362, 800.

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