In der Juni-Ausgabe (1) haben wir über den Vorschlag
der American Diabetes Association (2) berichtet, den HbA1c-Wert mehr
als bisher als diagnostisches Kriterium für Diabetes mellitus (DM) zu
verwenden. Ziemer et al. (3) veröffentlichten jetzt die Ergebnisse zweier
US-amerikanischer Querschnitts-Studien mit der Fragstellung, ob bei Menschen
unterschiedlicher ethnischer Herkunft in den USA gleiche diagnostische
Kriterien für die Diagnose DM anzuwenden sind.
In der von den Autoren selbst von 2005 bis 2008 durchgeführten
SIGT-Studie wurden 1581 gesunde freiwillige Personen schwarzer (n = 919)
und weißer (n = 662) Hautfarbe (non-hispanic; mittleres Alter 48 Jahre, 58%
Frauen) hinsichtlich Körpergröße, Bauchumfang, Blutdruck, Nüchternblutzucker
und HbA1c mit einem 75 g-Glukose-Toleranztest (oGTT)
untersucht. Bei 982 Personen fiel der oGTT normal aus, bei 527 Personen wurde
ein „Prädiabetes” (beeinträchtigte Glukosetoleranz) festgestellt und bei 72
Personen ein DM (alles nach den Kriterien des oGTT).
Des weiteren wurden Daten des „Third National Health
and Nutrition Examination Survey” (NHANES III; 4) - durchgeführt von den
Centers for Disease Control and Prevention - von 1967 schwarzen und weißen
(non-hispanic) Personen über 40 Jahre erneut ausgewertet (3), über die
ebenfalls Informationen wie in der SIGT-Studie vorlagen. In SIGT wurde HbA1c
mit einem Immunoassay, in NHANES mit einer HPL-chromatographischen Methode
gemessen. Beide Messmethoden seien angeblich relativ unempfindlich für Abweichungen
aufgrund von Hämoglobin-Varianten (wie HbS, C, E), die bei Schwarzen relativ
häufig vorkommen. In der NHANES-Gruppe hatten mehr Personen als in SIGT einen
„Prädiabetes” und einen DM.
Bezogen auf den Nüchtern-Blutzucker und das Ergebnis
des oGTT war in SIGT bzw. NHANES bei schwarzen Nicht-Diabetikern das HbA1c
um 0,13%-Punkte bzw. 0,21%-Punkte höher als bei Weißen. Bei Schwarzen mit
„Prädiabetes” war HbA1c um 0,26%-Punkte bzw. 0,30%-Punkte höher. Bei
schwarzen Personen mit DM war das HbA1c in beiden Populationen um
0,47%-Punkte höher als bei Weißen. Diese Unterschiede sind alle signifikant
(p ≤ 0,001) und besonders bei Diabetikern beträchtlich.
Die Autoren folgern aus ihren Ergebnissen:
”These findings have implications for the use of HbA1c in screening
for glucose intolerance, predicting the risk for complications, and measuring
quality of care.”
In einem ausführlichen und sehr informativen
Editorial referieren W.H. Herman und R.M. Cohen aus den USA (5) die
biochemischen und genetischen Grundlagen der Hämoglobin-Glykosylierung.
Individuell ist bei Nicht-Diabetikern der HbA1c-Wert kaum variabel.
Zwischen eineiigen Zwillingen ist er viel weniger variabel als zwischen nicht-verwandten
Personen, und der Unterschied zwischen den Werten bei Weißen, Schwarzen, „Hispanics”
und Asiaten ist bereits mehrfach dokumentiert worden. Glukose wird schnell durch
den GLUT1-Transporter ins Innere der Erythrozyten transportiert, und die
Aktivität dieses Transporters hat Einfluss auf die mit der Zeit progrediente
Glykosylierung des intrazellulären Hämoglobins. Eine verkürzte Lebensdauer der
Erythrozyten (z.B. Hämolyse, chronische Blutung) führt in Bezug auf den
mittleren Blutzucker zu einem niedrigeren HbA1c, eine verlängerte Lebensdauer
(Zustand nach Splenektomie) zu einem höheren Wert. Weiterhin kann die Beziehung
zwischen Glykämie und HbA1c bei Personen mit Hb-Varianten (HbS, C,
E, F) von der bei den regulären HbA-Trägern verschieden sein, was bei Menschen afrikanischer
Herkunft besonders ins Gewicht fällt.
Fazit: Bei
USA-Bürgern afrikanischer Herkunft ist im Mittel das HbA1c höher als
bei Weißen. Dieser Unterschied ist bei Diabetikern deutlicher als bei Nicht-Diabetikern.
Dadurch ist das HbA1c als Kriterium zur DM-Diagnose und Beurteilung der
therapeutischen Qualität differenziert zu betrachten. Auch in Deutschland
sollte man dieses Problem kennen, wenn man Diabetiker anderer ethnischer
Herkunft ärztlich betreut. Die sich hieraus ergebenden diagnostischen
Empfehlungen der diabetologischen Fachgesellschaften sind abzuwarten.
Literatur
-
AMB 2010, 44,
43.

-
American Diabetes
Association: Diabetes Care 2010, 33 Suppl. 1, S62.
Erratum:
Diabetes Care 2010, 33, e57.
-
Ziemer, D.C., et al. (SIGT = Screening for Impaired
Glucose Tolerance): Ann. Intern.
Med. 2010, 152, 770.

-
www.cdc.gov/nchs/products/elec_prods/subject/nhanes3.htm

-
Herman, W.H., und Cohen, R.M.:
Ann. Intern. Med. 2010, 152, 815.

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