Vitamin-D-Status
und kardiovaskuläre Krankheiten
Fragen von
Dr. R.B. aus Berlin: >> Welchen Stellenwert hat Vitamin D in der
Prävention kardiovaskulärer Krankheiten (Vgl. 1, 2)? Soll Vitamin D bei gesunden,
asymptomatischen Personen bestimmt werden? <<
Antwort:
>> Ihre Fragen sind berechtigt und werden derzeit häufig diskutiert (s.
3). Sie sind aber nicht einfach mit ja oder nein zu beantworten. Eine Arbeitsgruppe
aus Berlin hat sich in den 1970er und 1980er Jahren intensiv mit dem
Vitamin-D-Status in Abhängigkeit von der Jahreszeit sowie bei
niereninsuffizienten Patienten, Immigranten, Epilepsiekranken und
Altenheimbewohnern in Deutschland beschäftigt (z.B. 4-6). Dies sind Gruppen,
die wegen ihrer Lebensumstände, wegen verminderter Metabolisierung von
25-Hydroxycholecalciferol (Calcifediol) zu 1,25-Dihydroxycholecalciferol
(Calcitriol), aufgrund ihrer stärkeren Hautpigmentierung oder wegen Interaktionen
mit Arzneimitteln (z.B. Antiepileptika) häufiger einen Mangel an der aktiven
Form von Vitamin D (Calcitriol) haben. Rachitis und Osteomalazie, die
klassischen Vitamin-D-Mangel-Krankheiten, haben wir hier bei uns in Deutschland
mehrfach gesehen und behandelt, meistens bei Immigranten mit dunklerer Haut,
Verschleierung, speziellen Nahrungsgewohnheiten (z.B. kein Fisch oder viel
Phytat-haltige Getreideprodukte) bzw. Vermeidung von Sonnenlicht (ältere oder
behinderte Menschen, Heimbewohner). Bei chronisch Nierenkranken ist ein
Vitamin-D-Mangel ebenfalls nicht selten und bei vielen ist darüber hinaus noch
die renale Umwandlung von Calcifediol zum aktiven Calcitriol gestört. Beides
führt zur Verminderung der Vitamin-D-Wirkungen in vielen Organen. Dennoch ist eine
reine Osteomalazie bei chronisch Nierenkranken selten, weil die össären
Veränderungen, die durch Calcitriol-Mangel (Osteomalazie/Osteoidose) zustande
kommen, überlagert werden durch den fast immer vorhandenen sekundären, d.h.
durch Vitamin-D-/Calcitriol-Mangel und Hypokalziämie verursachten Hyperparathyreoidismus.
Es resultiert meist eine gemischte Form der renalen Osteopathie (Osteoidose
plus Osteofibrose). Chronisch Nierenkranke bzw. Dialysepatienten sind zudem
eine „klassische” Gruppe, bei der sich häufig und frühzeitig eine kalzifizierende
Media-Arteriosklerose (Typ Mönckeberg, bis hin zur Bildung eines knochenartigen
Gewebes in den Arterien) entwickelt und oft auch Todesursache ist. Ob dies nun
am Calcitriol-Mangel direkt liegt oder am dadurch entstandenen sekundären
Hyperparathyreoidismus (dies ist wohl wahrscheinlicher), ist nicht endgültig
geklärt. Wie epidemiologische Studien (s. die Übersichten 1-3) zeigen, ist aber
nicht nur bei chronisch Nierenkranken, sondern ganz generell ein Vitamin-D-
bzw. ein Calcitriol-Mangel mit kardiovaskulären und vielen anderen - auch nicht-vaskulären
- Erkrankungen statistisch assoziiert und zum Teil bereits pathogenetisch abgeklärt.
Bei flüchtiger Betrachtung wird aus
epidemiologisch-statistischen Assoziationen – selbst wenn sie linear sind - schnell
auf eine kausale Beziehung geschlossen, und es werden therapeutische Empfehlungen
gegeben noch bevor dies durch entsprechende technische und klinische
Untersuchungen erwiesen ist. Arteriosklerose ist eine Krankheit mit vielen
pathogenetischen Faktoren. Die Überbewertung der pathogenetischen Bedeutung
eines Vitamin-D-Mangels ist nicht berechtigt, da der qualitative, besonders
aber der quantitative Einfluss eines Vitamin-D-Mangels als Teilfaktor bei der Entstehung
der Arteriosklerose noch zu klären ist. Deswegen unser gegenwärtiges pragmatisches
Fazit für die Praxis: Calcifediol als Maß für den Vitamin-D-Status muss in
unseren Breiten nicht bei allen Gesunden und bei Patienten mit kardiovaskulären
Krankheiten gemessen werden. Auch die Laborkosten sind angesichts der teilweise
ungeklärten kausalen Zusammenhänge, der Häufigkeit der Arteriosklerose und
einer möglicherweise (vor allem im Sommer) nicht sehr hohen „Trefferquote” zu
bedenken. Bei Personen (Gesunden oder Patienten), die auf Grund der Anamnese ein
höheres Risiko für einen Vitamin-D-Mangel haben (s.o.), ist die Messung jedoch angesichts
der größeren Trefferwahrscheinlichkeit und der vielfältigen negativen
Auswirkungen eines Vitamin-D-Mangels - auch möglicherweise hinsichtlich des Arterioskleroserisikos
- sinnvoll, zumal bei einem Mangel die Substitution einfach, nebenwirkungsarm
und kostengünstig ist. Zur Definition des Vitamin-D-Status s. Tab. 1 und zur
Substitution s. Lit. 3. <<
Literatur
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Zittermann, A., et al.: Br. J.
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Holick, M.F.: N. Engl.
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Lee, J.H., et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2008, 52, 1949.

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Schaefer, K., et al.: Schweiz. Med. Wschr. 1972, 102,
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