Zusammenfassung: Frauen haben meist eine geringere
Körpermasse als Männer, eine andere Körperzusammensetzung, eine geringere
renale Clearance und teilweise eine andere Metabolisierung von Arzneimitteln
durch P450-Zytochrome und andere Enzymsysteme. In der Kardiologie müssen daher
bei Frauen oft niedrigere Arzneimitteldosierungen gewählt werden. Auch
geringere Krankheitsrisiken (z.B. bei Hypercholesterinämie) oder erhöhte
Krankheitsrisiken (z.B. bei Diabetes mellitus) als bei Männern machen eine
unterschiedliche Beurteilung und Behandlung notwendig. Darüber hinaus gibt es
medizinisch bisher nicht erklärbare Unterschiede in der praktizierten
Behandlung zwischen Männern und Frauen, die weiter analysiert werden müssen.
Da das Thema wichtig und aktuell ist (1), nehmen wir
es nach unserem Artikel im vorigen Jahr (2) noch einmal auf.
Trotz gleicher Dosis sind die Wirkspiegel von
Arzneimitteln bei Männern und Frauen nicht selten unterschiedlich: Frauen haben
in der Regel ein niedrigeres Körpergewicht, eine etwas andere
Körperzusammensetzung (relativ weniger Muskelmasse, mehr Fett und Wasser), eine
niedrigere renale Clearance sowie einen unterschiedlichen Metabolismus in
Aktivierung und Abbau, z.B. durch Zytochrome. Sehr oft werden Arzneimittel
langsamer abgebaut und/oder ausgeschieden. Daher kommt es z.B. bei Frauen, die Digitalispräparate
einnehmen, häufiger zu unerwünschten Wirkungen und Intoxikationen (2-4). Darauf
ist möglicherweise - wie mehrfach berichtet - die höhere Letalität bei Frauen
mit Herzinsuffizienz in der bekannten DIG-Studie zurückzuführen (5). Digitalispräparate
sind, bei richtiger Anwendung und gegebenenfalls Kontrollen des Serumspiegels, aber
bei Frauen nicht kontraindiziert.
Der Arzneimittelabbau durch P450-Zytochrome wird
durch Sexualhormone beeinflusst (s. Tab. 1). Ein bei Frauen
verzögerter Abbau kann dafür sorgen, dass trotz gleicher Dosis die Wirkspiegel
spezieller Arzneimittel höher und damit ihre Wirkungs- und UAW-Profile verändert
sind. Ein Beispiel dafür ist Metoprolol (und andere Betarezeptoren-Blocker),
das über das P450-Isoenzym 2D6 abgebaut wird. Dieses Isoenzym ist bei Frauen
weniger aktiv. Folglich sind die Wirkspiegel und die Zahl der UAW bei Frauen,
die Metoprolol erhalten, deutlich höher (4). Dies muss bei der Dosierung berücksichtigt
werden. Dass bei Frauen die Dosierungen oft niedriger angesetzt werden müssen
als bei Männern, wird jedoch in Studien und in der Praxis häufig nicht beachtet
und in den Fachinformationen nicht ausreichend betont. Der Wirkspiegel eines
Arzneimittels ist entscheidend. Wahrscheinlich sind Überdosierungen ganz
wesentlich dafür verantwortlich, wenn bei Frauen UAW insgesamt häufiger
vorkommen als bei Männern.
Auf die besondere Empfindlichkeit von Frauen bei
Therapie mit Arzneimitteln, die die Repolarisationsphase des Herzens verlängern
(QT-Zeit im EKG), sind wir bereits früher ausführlich eingegangen (2).
Aber es gibt auch Unterschiede in der Wirksamkeit bei
Arzneimitteln, die keine pharmakologische Ursache haben, sondern in
geschlechtsspezifischen Unterschieden der Krankheitsrisiken begründet sind.
Frauen haben z.B. bei gleichem Lebensalter, Blutdruck und Cholesterinwert ein
niedrigeres Risiko, einen Herzinfarkt oder andere schwer wiegende
Gefäßkomplikationen zu erleiden als Männer (s. Abb. 1). Bei niedrigem
Gesamtrisiko können cholesterinsenkende Arzneimittel absolut nicht viel bewirken,
jedenfalls nicht so viel wie bei Männern mit ihrem höheren Gesamtrisiko.
Andererseits ist das kardiovaskuläre Risiko bei Männern mit Diabetes mellitus bereits
verdoppelt und bei Frauen noch höher. Dadurch ist bei Frauen der absolut zu
erzielende Nutzen einer Therapie größer als bei Männern. Dem sollte mit
besonders sorgfältiger Therapie des Diabetes Rechnung getragen werden. Bei
diabetischen Frauen mit akutem Myokardinfarkt ist auch die Letalität im
Krankenhaus etwa dreimal so hoch wie bei Männern! Das belegen Daten, z.B. aus
dem Berliner Herzinfarktregister (s. Tab. 2; 7). Diabetes ist
also bei Frauen gefährlicher als bei Männern und müsste daher, ebenso wie die
begleitenden Krankheiten (Hypertonie, Hypercholesterinämie) deutlich intensiver
behandelt werden. Ist das so in der Praxis?
Es gibt Unsicherheiten darüber, ob ASS bei Frauen zur
Myokardinfarkt-Prophylaxe überhaupt wirksam ist. In der Women’s Health Study
war eine solche Wirksamkeit nicht nachweisbar (8). Bei 39876 gesunden Frauen
> 45 Jahre wurde zur primären Prävention entweder jeden zweiten Tag 100
mg ASS oder Plazebo für im Mittel zehn Jahre gegeben. ASS hatte insgesamt
keinen Effekt auf die Häufigkeit tödlicher oder nicht-tödlicher Herzinfarkte
(RR: 1,02; p = 0,83). Das stand im deutlichen Gegensatz zu den
aus anderen Studien bekannten Ergebnissen bei gleichaltrigen Männern, bei denen
auch bei primärer Prävention ASS gering wirksam (aber von Blutungskomplikationen
begleitet) war. Ein Blick auf die Abb. 1 zeigt, dass das Gesamtrisiko sehr
vieler Frauen bereits so niedrig ist, dass von einem Arzneimittel kaum eine zusätzliche
präventive Wirkung mehr erwartet werden kann. Der Wirksamkeitsunterschied von ASS bei Frauen und Männern ist also
nicht in einer geschlechtstypischen unterschiedlichen Pharmakodynamik der ASS
begründet, sondern im primär unterschiedlichen Ausgangsrisiko für die
Entwicklung von Gefäßkomplikationen. Bei Frauen mit höherem Gesamtrisiko oder
in der Sekundärprävention bei Männern und Frauen ist ASS natürlich relevant wirksam
(9).
Ähnliche Unsicherheiten wie bei ASS gibt es auch
bezüglich der präventiven Wirksamkeit von Statinen bei Frauen. Die Wirksamkeit
ist auch hier insgesamt weniger signifikant als bei Männern (10). Das mag
einmal darin begründet sein, dass in den großen Studien zum Thema (ASCOT-LLA [11],
4S [12], CARE [13], LIPID [14]) nur etwa ein Viertel der untersuchten Patienten
Frauen waren und schon daher die Signifikanz der Wirksamkeitsunterschiede meist
kleiner ist. Zum anderen ist aber auch hier bei vielen Frauen das Gesamtrisiko
so gering, dass bestenfalls nicht-signifikante Effekte zu erwarten sind. Daher
ist bei sonst gesunden Frauen bei gleichem Ausgangswert des Serumcholesterins
die Wirksamkeit von Statinen geringer und oft nicht signifikant. Frauen müssen also
seltener mit Statinen behandelt werden. Bei hohem Gesamtrisiko, zum Beispiel in
der sekundären Prävention, sind Statine aber auch bei Frauen relevant wirksam.
Andere Besonderheiten in der Therapie von Frauen sind
medizinisch weniger gut zu erklären. Frauen werden z.B. trotz gegebener
Indikation (z.B. sekundäre Prävention) aus unerfindlichen Gründen oft weniger
intensiv behandelt als Männer. Das soll im Folgenden an zwei Beispielen gezeigt
werden. In einer großen epidemiologischen Fragebogenerhebung (15) in 3795
Praxen niedergelassener Ärzte in Deutschland zu Diagnostik und Therapie von 55.518
Patienten ergab sich, dass Frauen mit Koronarer Herzkrankheit (also bei
sekundärer Prävention) im Alter zwischen 55 und 64 Jahren deutlich seltener mit
Thrombozytenaggregationshemmern (48% vs. 60%), Betablockern (60% vs. 70%), ACE-Hemmern
(40% vs. 52%) und Statinen (44% vs. 50%) behandelt wurden als Männer. Nur
AT-II-Rezeptor-Antagonisten erhielten sie häufiger (25% vs. 18%). Bezüglich der
Statine und Antidiabetika gibt es ähnliche Beobachtungen aus den USA (16).
Auch aus der Intensivmedizin gibt es ein Beispiel für
zurückhaltendere Therapie. Frauen mit akutem Herzinfarkt werden im Vergleich zu
Männern initial seltener interventionell (rekanalisierend) behandelt. Das
belegen die Zahlen aus verschiedenen nationalen und internationalen Herzinfarktregistern
(17-20). Ob die höhere Letalität im Krankenhaus bei Frauen mit akutem
Myokardinfarkt damit in Zusammenhang steht, ist nicht direkt nachweisbar. Die
Assoziation gibt aber zu denken, auch wenn die Ursachen unklar sind.
Medizinische Gründe sind nicht erkennbar. In den letzten Jahren haben sich die
Behandlungs- und Ergebnisunterschiede zwischen Männern und Frauen mancherorts
etwas zurückgebildet (21). Aber es bleiben unerklärte Differenzen.
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