Zusammenfassung: Wegen der
Komplexität der gustatorischen und olfaktorischen Systeme können Arzneimittel
über sehr unterschiedliche Mechanismen Störungen des Geruchs- und
Geschmackssinns auslösen. Riechstörungen sind dabei viel seltener als
Geschmacksstörungen. Immer gilt es zu klären, ob ein Arzneimittel oder die
zugrundeliegende Krankheit die Ursache ist. Die Betroffenen sind durch solche
Störungen oft erheblich in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt und dies nicht
nur bei der Nahrungsaufnahme, sondern auch manchmal in der Ausübung ihres
Berufs. Da sich olfaktorische und gustatorische Rezeptorzellen regenerieren
können, sind arzneimittelinduzierte Riech- und Geschmacksstörungen nach dem
Absetzen meist reversibel, so dass es sehr wichtig ist, den Auslöser zu identifizieren.
Allgemeines zu Geruchs- und
Geschmackssinn und ihren Störungen: Mit dem Alter nimmt das Riechvermögen
generell ab. 50 Prozent der Erwachsenen über 60 Jahre haben einen
eingeschränkten Geruchssinn. Im Einzelfall kann die Lebensqualität dadurch
erheblich beeinträchtigt sein. Köche, Parfumeure oder Feuerwehrleute sind auf
ihren Geruchs- und/oder Geschmackssinn beruflich angewiesen.
Üblicherweise werden vier
Geschmacksqualitäten beschrieben, die über die Geschmacksrezeptoren in den
Zungenpapillen wahrgenommen werden: Süß, sauer, salzig und bitter. Außerdem
gibt es noch „umami”, was soviel wie herzhaft bedeutet (1). Unter Aroma
versteht man eine Kombination von Geruch, Geschmack, Reizung (wie z.B. das
Brennen von Meerrettich), Konsistenz und Temperatur. Die Wahrnehmung eines
Aromas resultiert also aus dem Zusammenspiel von mindestens drei
Sinneswahrnehmungen, dem gustatorischen (N. facialis, N. glossopharyngeus), dem
olfaktorischen (N. olfactorius) und dem trigeminalen (N. trigeminus) System,
wobei der Geruchssinn am meisten zur Vielfalt der Aromawahrnehmung beiträgt.
Duftstoffmoleküle müssen jedoch in der Nase durch eine stark proteinhaltige
Schleimschicht diffundieren, bevor sie die olfaktorischen Rezeptoren erregen
können (2).
Die Inzidenz medikamentöser
Riech- und Geschmacksstörungen lässt sich schwer erfassen, denn die meisten
Betroffenen berichten erst dann ihrem Arzt über ihre Störung und die Vermutung,
dass sie durch ein Arzneimittel induziert sein könnte, wenn sie sehr ausgeprägt
ist. Außerdem kann es keine doppeltblinden plazebokontrollierten Studien geben.
Nur 5% aller Patienten, die sich mit Riech- und Geschmacksstörungen an
spezielle Kliniken wenden, leiden tatsächlich unter einer Störung des
Geschmackssinns, die überwiegende Mehrheit hat Riechstörungen (2).
Der Begriff Riechstörung schließt
die Hyposmie (eingeschränkter Geruchssinn), die Anosmie (fehlender
Geruchssinn), die Dysosmie (generelle Störung des Geruchsinns), die Parosmie
(qualitative Fehlwahrnehmung von Duftstoffen) und die Phantosmie
(Geruchseindruck ohne Geruchsquelle) mit ein.
Bei den Geschmacksstörungen
bezeichnet man einen teilweisen Ausfall bzw. die Abschwächung des
Geschmackssinns als Hypogeusie, das Fehlen der Geschmackswahrnehmung als
Ageusie. Fehlen ein bis drei Geschmacksqualitäten oder werden sie vermindert
wahrgenommen, spricht man von dissoziierter A- bzw. Hypogeusie. Am häufigsten
sind Dysgeusien, worunter allgemeine Störungen des Geschmacksempfindens
verstanden werden. Dazu gehört auch die Phantogeusie,
die Wahrnehmung eines (meist metallischen) Geschmacks, ohne dass eine
Reizquelle besteht. Die Parageusie beschreibt ein dem Betroffenen bewusstes
Fehlschmecken und Kakogeusie die Wahrnehmung nicht vorhandener übler Geschmäcke
(1-3).
Ursachen von Störungen des
Geruchssinns:
Neben entzündlichen und obstruktiven Erkrankungen (Rhinosinusitis, Rhinitis,
Polypen, virale Infektionen des oberen Respirationstrakts) können Kopf- oder
Gesichtsverletzungen Ursachen für eine Einschränkung des Geruchssinns sein. Dabei
kann es durch mechanische Verlegung, entzündliche Prozesse, Schädigung der
olfaktorischen Rezeptorneuronen oder Abriss der Fila olfactoria zu diesen
Störungen kommen. Sie finden sich auch bei psychiatrischen (Schizophrenie,
Depression), neurologischen (Alzheimer-Demenz, M. Parkinson) und
internistischen Erkrankungen (Diabetes mellitus, Hypothyreose, Lebererkrankungen;
vgl. 2). Auch beim Sjögren Syndrom, bei dem morphologische Veränderungen der
Speichel- und Tränendrüsen bestehen, können Geruchs- und Geschmacksstörungen
auftreten (1).
Auch Mangelernährung, Tabak und
Exposition gegenüber Chemikalien (Formaldehyd, Nickel-, Cadmiumstaub) kommen
als Auslöser von Riechstörungen in Frage. Von Arzneimitteln ist bekannt, dass
einige Chemotherapeutika, Betarezeptoren-Blocker, Dihydropyridine und
ACE-Hemmer olfaktorische Abnormalitäten verursachen können (s. Tab. 1;
nach 4). Zu den Mechanismen und zur Topik der Schädigungen ist noch wenig
bekannt. Diltiazem und Nifedipin beeinträchtigen z.B. die sensorische Transmission
über Nervenbahnen, Methotrexat greift in das Zellwachstum der Mukosa ein (4).
Ursachen von Störungen des
Geschmackssinns:
Ein intaktes Geschmackssystem trägt nicht nur beim Essen und Trinken
entscheidend zur Lebensqualität bei, sondern warnt teilweise auch vor giftigen
oder gesundheitsschädlichen Stoffen. Hauptursachen für Geschmacksstörungen sind
Schädel-Hirn-Traumata, Infektionen des oberen Respirationstrakts,
Krebserkrankungen, Exposition gegenüber toxischen Substanzen (z.B auch bei
Ciguatera; 8), iatrogene Ursachen (z.B. zahnärztliche Behandlung oder
Bestrahlung), Arzneimittel und das „burning mouth syndrome” (2).
Arzneimittel können auf vielerlei
Art den Geschmackssinn beeinflussen (s. Tab. 2 und 3; nach 3-5). Bereits
bei der Einnahme können sie einen Eigengeschmack erzeugen oder durch die
Ausscheidung in den Speichel einen (unangenehmen) Geschmack hinterlassen.
Anticholinergika und Antidepressiva verursachen häufig Mundtrockenheit. Durch
verminderten Speichel können die Geschmacksknospen gestört werden und somit
auch die Geschmacksempfindung.
Einige Arzneimittel können den
Geschmacksrezeptor an seiner Oberfläche, möglicherweise aber auch innerhalb der
Sinneszelle, beeinträchtigen. Andere behindern die Aktivität der Ionenkanäle,
interferieren mit der Funktion der Rezeptormembran und können so die
Impulsfortleitung im Geschmacksnerv oder in der Ganglienzelle sowie eine
Veränderung der Reizverarbeitung im Gehirn beeinflussen (1, 5, 6).
Lithium kann wahrscheinlich über
Effekte an Natriumkanälen und einen inhibierenden Effekt auf Norepinephrin eine
Dysgeusie auslösen. Dihydropyridine beeinträchtigen die Neurotransmission über
Kalziumkanäle. Die Störungen des Geschmackssinns unter Captopril und
Methylthiouracil sind möglicherweise auf Sulfhydrylgruppen zurückzuführen.
Metronidazol kann eine metallische Phantogeusie auslösen, deren Ursache
möglicherweise eine Glossitis ist, bei der der Rezeptorumsatz inhibiert ist.
Viele Chemotherapeutika können über Schädigungen der Geschmacksrezeptor-Zellen
den Geschmacks- und Geruchssinn verändern, was zur Kachexie bei Krebspatienten
beitragen kann (1, 5).
Chemikalien, Arzneimittel und
Exposition gegenüber Metallen (Quecksilber, Kupfer, Zink, Chrom, Blei etc.)
führen häufig zu Veränderungen der Geschmackswahrnehmung, aber nur selten zu
einem kompletten Geschmacksverlust. Bei Hypogeusien scheint die Süßempfindung
am häufigsten betroffen zu sein. Als Arzneimittelschaden benötigt sie nach
Absetzen die längste Zeit zur Regeneration (6).
Diagnostik: Wegen der vielfältigen Ursachen
von Riech- und Geschmacksstörungen gibt es spezielle „Taste and Smell Clinics”,
um den Betroffenen zu helfen. Vermutet man eine durch Arzneimittel induzierte
Geschmacksstörung, so ist nach ausführlicher Anamnese und HNO-ärztlicher
Untersuchung eine gustometrische Prüfung der vier Geschmacksqualitäten mit
dreifach abgestuft konzentrierten Glukose-, Kochsalz-, Zitronensäure- und
Chininlösungen eine Möglichkeit der Diagnose (2, 6). In den letzten Jahren
wurden standardisierte Tests zur psychophysischen Untersuchung von
Riechstörungen entwickelt. Von der Arbeitsgemeinschaft für Olfaktologie und
Gustologie der deutschen HNO-Gesellschaft wurden Leitlinien zur Diagnostik und
Therapie von Riech- und Schmeckstörungen erstellt (7). Hier finden sich neben Flussdiagrammen
auch Software zur Anwendung von Riechstiften, eine Anleitung für den
„Riechbaukasten” und viele Informationen für Patienten.
Therapie: Die therapeutischen
Möglichkeiten bei Riech- und Geschmacksstörungen sind begrenzt. Lokale oder
systemische Applikation von Kortikosteroiden stehen im Vordergrund bei
sinunasaler oder epithelialer Ursache, wobei Kortikosteroide wiederum zu
Mundsoor führen und somit auch den Geschmackssinn negativ beeinflussen können
(2, 5, 7). Wird eine Störung durch Arzneimittel vermutet (s. Tab.
1-3), sollte das vermutlich auslösende Arzneimittel, wenn möglich, abgesetzt
bzw. umgestellt werden.
Literatur
-
Mann, N.M., und Lafreniere, D.: Anatomy and etiology of taste
and smell disorders. UpToDate Mai 2010.
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Knecht, M., et al.:
Schweiz. Med. Wochenschr. 1999, 129, 1039.

-
Reiß, M., und Reiß,
G.: Med. Monatsschr. Pharm. 1999, 22,
388.

-
Ackermann, B.H., und Kasbekar,
N.: Pharmacotherapy 1997, 17,
482.

-
Doty, R.L., und Bromley, S.M.:
Otolaryngol. Clin. North Am.
2004, 37, 1229.

-
Rollin, H.: Med.
Monatsschr. Pharm. 1978, 1, 53.

-
http://www.hno.org/olfaktologie/#5
-
Pearn, J.: J. Neurol. Neurosurg. Psychiatry
2001, 70, 4.

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