Der günstige Effekt der Statine in der
Sekundärprävention – also bei Patienten mit manifester kardiovaskulärer
Erkrankung – ist unumstritten. Nicht so eindeutig ist die Studienlage zu ihrem
Einsatz in der Primärprävention, zumal es nur wenige Studien gibt, in denen
tatsächlich nur Probanden untersucht wurden, die keine kardiovaskulären
Vorerkrankungen hatten. Deshalb führte eine internationale Arbeitsgruppe eine
neue Metaanalyse durch, in der ausschließlich Teilnehmer ohne kardiovaskuläre
Erkrankungen aber mit kardiovaskulären Risikofaktoren berücksichtigt wurden
(1). Die Autoren identifizierten bei ihrer extensiven Literaturrecherche 11
Studien, in denen nur Patienten der Primärprävention untersucht wurden.
Folgende Studien wurden in die Metaanalyse
eingeschlossen: JUPITER (2008), ALLHAT (2002), ASCOT (2003), MEGA (2006),
AFCAPS (1998), WOSCOPS (1995), PROSPER (2002), CARDS (2004), ASPEN (2006),
PREVEND IT (2004) und HYRIM (2005). Das Ergebnis enttäuscht alle, die glauben, das
Statine auch in der Primärprävention die Gesamtletalität senken. In einem „Random-Effects-Model”
zeigte sich ein absolutes Letalitätsrisiko von 11,4 Todesfällen pro 1000
Personenjahre in der Plazebo- und von 10,7 in der Statin-Gruppe. Das relative
Risiko betrug demnach in der Therapie-Gruppe 0,91 (CI: 0,83-1,01) und
unterschied sich nicht signifikant von der Kontroll-Gruppe. Selbst wenn man
außer Acht lässt, dass das Ergebnis nicht signifikant ist, kommt man bei einer
absoluten Risikoreduktion von 0,07% pro Jahr auf eine Number needed to treat
(NNT) von 1428 (oder 142 bei einer Hochrechnung auf eine 10jährige
Therapiedauer).
Um die Validität ihrer Ergebnisse zu erhärten,
führten die Autoren mehrere Tests durch: 1. Die Studienheterogenität wurde überprüft.
Diese erwies sich als nicht signifikant, wodurch die Aussage der Metaanalyse
gestärkt wird. 2. Mittels Egger’s Test wurde nach einem möglichen Publication bias
(zu vermutende nicht publizierte Studienergebnisse) gesucht. Auch dieser Test
war im Ergebnis negativ. 3. Die Metaanalyse wurde nach Ausschluss der beiden
Studien, in denen ausschließlich Diabetiker behandelt worden waren, wiederholt,
weil Diabetes mellitus von manchen Autoren als KHK-äquivalent angesehen wird.
Für die verbleibenden neun Studien zeigte sich dann ein relatives
Letalitätsrisiko von 0,93 (CI: 0,86-1,00), ebenfalls (gerade) nicht
signifikant.
Was bedeuten diese Ergebnisse nun für die Praxis?
Sollten in der Primärprävention prinzipiell keine Statine mehr eingesetzt
werden? Zunächst ist erstaunlich, dass eine 2009 publizierte Metaanalyse zu
einem anderen Ergebnis kommt (2). Hier zeigte sich eine signifikante Risikoreduktion
hinsichtlich der Gesamtletalität durch Statine (OR: 0,88; CI: 0,81-0,96).
Betrachtet man das Ergebnis allerdings genauer, so stellt sich heraus, das auch
hier die absolute Risikoreduktion sehr gering war (0,14% pro Jahr, entsprechend
einer NNT von 714 pro Jahr oder 71 auf 10 Jahre hochgerechnet). Weiterhin zeigt
sich, dass das Ausgangsrisiko in der 2009 publizierten Metaanalyse etwas höher
war als in der hier vorgestellten neuen Metaanalyse (13,9% vs. 11,4%).
Analysiert man, wodurch die unterschiedlichen Ergebnisse zustande gekommen
sind, so fällt auf, dass es als Einschlusskriterium für die 2009 publizierte
Metaanalyse genügte, dass > 80% der Teilnehmer keine kardiovaskuläre
Erkrankung hatten. In der neuen Metaanalyse haben sich die Autoren die Mühe
gemacht, Patienten mit manifester KHK sicher auszuschließen, teilweise durch
Nachforderung von Originaldaten bei den Autoren der Studien (z.B. im Falle von
WOSCOPS).
Der Vergleich der beiden Metaanalysen zeigt, wie
bereits geringe Unterschiede bei der Selektion der Studien und in der Methodik
der Datenextraktion zu statistisch unterschiedlichen Ergebnissen führen können.
Beruhigend ist allerdings, dass die Ergebnisse sich eben nur statistisch
unterscheiden. Die klinische Relevanz dieses statistischen Unterschieds ist
hingegen marginal.
Die derzeitige Strategie, nämlich Statine in der
Primärprävention nur Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko (Ereignisrate
> 20%/10 Jahre; vgl. 3) zu verschreiben, wird sich wohl nicht
ändern. Wenn man sich die neue Metaanalyse genau ansieht, stellt man fest, dass
das Letalitätsrisiko in allen eingeschlossenen Studien sehr gering war: in der
Kontroll-Gruppe 1,14% und in der Statin-Gruppe 1,07% pro Jahr, also 11,4% und
10,7% auf zehn Jahre hochgerechnet. Der Titel der Metaanalyse (1) „Statins and
all-cause mortality in high-risk primary prevention” ist daher inkorrekt. In
diesem Risikobereich wurde auch bisher keine Statin-Therapie empfohlen. Die
derzeitig gültigen Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschusses gehen davon
aus, dass der Einsatz von Statinen in der Primärprävention erst ab einem
10-Jahres-Risiko von 20% sinnvoll wird. Übertragen auf die vorliegende
Metaanalyse sinkt die NNT dann zumindest bei 10jähriger Behandlungsdauer unter
100. Es ist also nur mit einem marginalen Vorteil durch Statine in der Primärprävention
zu rechnen, nimmt man Patienten mit erblichen Fettstoffwechselstörungen (z.B. Familiäre
Hypercholesterinämie) aus, die in den großen Studien unzureichend abgebildet
sind.
Fazit:
Eine neue Metaanalyse zur kardiovaskulären Primärprävention stellt einen günstigen
Einfluss von Statinen auf die Letalität bei niedrigem Risiko erneut in Frage.
Abgesehen von Personen mit erblichen Fettstoffwechselstörungen, die in den
großen Statin-Studien unzureichend abgebildet sind, muss in der
Primärprävention nur mit einem marginalen Vorteil und einer sehr hohen Number
needed to treat gerechnet werden. Eine günstige Beeinflussung der Gesamtletalität
ist bei einem Ausgangsrisiko von < 15-20% kaum zu erwarten.
Literatur
-
Ray, K.K., et al.: Arch.
Intern. Med. 2010, 170, 1024.
-
Brugts, J.J., et al.: BMJ
2009, 338, b2376.

-
AMB 2010, 44,
73.

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