Anders als in Nordamerika empfiehlt die EMA für
Europa bei über 80-Jährigen mit ischämischem Insult keine i.v. Thrombolyse (1).
Die Gründe hierfür sind die Befürchtung häufigerer Einblutungen in den
infarzierten Bereich und die Tatsache, dass Patienten > 80 Jahre aus
prospektiven Studien zu dieser Therapie bisher oft ausgeschlossen wurden, so
dass die Datenlage unzureichend war. Die i.v. Thrombolyse beim Schlaganfall
stellt hohe logistische und materielle Anforderungen. Sie soll möglichst
innerhalb der ersten drei Stunden nach Auftreten der Symptome begonnen werden,
was voraussetzt, dass sofort ein Arzt herbeigerufen und/oder der Patient
schnell in ein Krankenhaus transportiert wird, möglichst mit einer Stroke Unit.
In diesem Zeitfenster muss auch noch ein CCT oder ein MRT zum Ausschluss einer
Hirnblutung als Ursache des Insults durchgeführt werden. Deshalb erhalten -
auch in Ländern mit fortschrittlichem Gesundheitssystem - bisher kaum mehr als
2% aller in Frage kommenden Patienten eine i.v. Thrombolyse (2).
N.K. Mishra et al. (3), Autoren aus sechs europäischen Ländern, legten jetzt die Ergebnisse
der Auswertung zweier großer Register vor: International Stroke Thrombolysis
Registry (SITS-ISTR) und Virtual International Stroke Trials Archive (VISTA). SITS-ISTR
umfasste 23.334 Patienten, die zwischen 2002 und 2009 eine i.v. Thrombolyse
(überwiegend mit Alteplase = Actilyse®) erhielten. Aus VISTA wurden
6166 Patienten evaluiert, darunter viele > 80 Jahre, die zwischen 1998
und 2007 keine i.v. Thrombolyse, aber „Neuroprotektiva” oder Plazebo erhalten
hatten, wobei die „Neuroprotektiva” sich im Ergebnis nicht von Plazebo
unterschieden. Eine optimale supportive Therapie sollten alle Patienten bekommen.
Unter den insgesamt 29.500 Patienten waren 3.472 > 80 Jahre alt (im
Mittel 84,6 Jahre).
Ziel der Vergleichsstudie war die Ermittlung des medianen
Symptom-Index (Median stroke scale score) 90 Tage nach Eintritt des Insults in
Abhängigkeit von der Art der Therapie und dem Alter der Patienten. Vor Beginn
der Behandlung war der Symptom-Index mit 12 bei Patienten mit und ohne i.v. Thrombolyse
gleich. Nach 90 Tagen war das Gesamtergebnis bei Thrombolyse-Patienten mit
einer Odds ratio von 1,6 (95%-Konfidenzintervall = CI: 1,5-1,7) deutlich besser
als bei den Kontrollen, wobei eine Odds ratio > 1 eine Abnahme des
Symptom-Indexes bedeutet. Bei einem Alter < 80 bzw. > 80 Jahre war die Odds ratio fast gleichermaßen
> 1 (1,6; CI: 1,5-1,7 bzw. 1,4; CI: 1,3-1,6). In beiden
Altersgruppen war p < 0,001. Auch bei den jüngeren Patienten waren
in allen 10-Jahresgruppen > 30 Jahre die Ergebnisse nach i.v. Thrombolyse
günstiger als bei den Kontrollen, und im Alter von 41-90 Jahre war der Therapievorteil
nach Thrombolyse signifikant.
Erwartungsgemäß war die Prognose nach ischämischem
Insult bei sehr alten Patienten ungünstiger als bei jüngeren, aber der Vorteil
nach Thrombolyse war weitgehend unabhängig vom Alter. Die Autoren schließen aus
ihren Befunden, dass das Alter allein keine Kontraindikation für Thrombolyse
nach akutem ischämischem Insult sein sollte. Diese Schlussfolgerung wird von
dem Autor eines Kommentars, L. Derex aus Lyon (1), unterstützt. Allerdings hält
er es für möglich, dass in den Registern die Auswahl sehr alter Patienten für
eine Thrombolysetherapie mit „Selection bias” erfolgte. Er erhofft sich jedoch
von noch nicht abgeschlossenen randomisierten prospektiven Therapiestudien, in
die auch Patienten > 80 Jahre eingeschlossen werden, weitere Klärung.
Nur solche Studien können zeigen, ob auch sehr alte Menschen trotz ihrer
häufigen Komorbidität von der nicht risikolosen i.v. Thrombolyse profitieren.
Wichtiger noch wäre die häufigere Anwendung der i.v. Thrombolyse bei geeigneten
jüngeren Patienten mit ischämischem zerebralem Insult.
Fazit: Die
Auswertung zweier großer Register zur Therapie des ischämischen zerebralen
Insults ergab, dass auch Patienten im Alter > 80 Jahre von einer i.v.
Thrombolyse profitieren können. Da in solchen Registern „Selection bias” nicht
ausgeschlossen werden kann, werden die Ergebnisse in randomisierten prospektiven
Studien überprüft. Patienten > 80 Jahre müssen jedoch nicht
grundsätzlich von der i.v. Thrombolysetherapie ausgeschlosssen werden.
Literatur
- Derex, L.: BMJ 2010, 341,c5891.

- Hacke, W., et al.(ECASS III = European Cooperative Acute StrokeStudy III): N. Engl. J. Med. 2008, 359, 1317.

- Mishra, N.K., et al. (SITS-ISTR = Safe Implementationof Treatments in Stroke-International Stroke ThrombolysisRegistry und VISTA = Virtual International Stroke TrialsArchive): BMJ 2010, 341, c6046.

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