Wie schwierig es ist, Evidenz für eine etablierte Therapie
nachzuweisen, zeigt der nach wie vor unklare Stellenwert der primären
Koronarangioplastie (primäre PCI) gegenüber der Fibrinolysetherapie beim akuten
ST-Hebungsinfarkt (STEMI) des älteren Menschen.
Generell sollte nach den aktuellen Leitlinien der
Europäischen Gesellschaft für Kardiologie bei einem STEMI innerhalb der ersten
12 Stunden eine Reperfusion angestrebt werden (Klasse Ia-Indikation). Die Wahl
der Reperfusionsstrategie richtet sich dabei in erster Linie nach der
Erreichbarkeit eines Herzkatheterplatzes. Eine Akut-PCI ist zu bevorzugen, wenn
ein erfahrenes Team innerhalb von maximal zwei Stunden eine Ballonaufdehnung
garantieren kann. Ist dies nicht der Fall, soll – falls keine Kontraindikationen
bestehen - primär thrombolysiert werden (1).
Diese Empfehlungen gehen leider nicht auf alte und
multimorbide Patienten ein. Bei diesen Patienten ist die Therapieentscheidung
oft schwierig. In den wichtigsten europäischen Herzinfarktregistern ist rund
ein Drittel aller Herzinfarktpatienten über 75 Jahre alt mit steigender Tendenz
(2). Der Nutzen der koronaren Fibrinolyse im höheren Alter ist umstritten,
insbesondere, weil das Blutungsrisiko erhöht ist. Andererseits sind aber auch
die Risiken einer PCI bei alten Patienten deutlich höher als bei jüngeren. In
den vergangenen Jahren hat sich jedoch der Eindruck verfestigt, dass die
Akut-PCI bei alten Menschen effektiver und komplikationsärmer ist als die
Fibrinolyse. Dieser Eindruck wurde durch Registerdaten und sehr kleine Studien
erweckt und gestützt. Doch stimmt dieser Eindruck?
Gerade einmal drei randomisierte Studien wurden in
den vergangenen 15 Jahren zu dieser Frage durchgeführt (3-5). Eine sehr kleine
niederländische Studie mit 87 Patienten sprach für die Akut-PCI (3). Eine
größere Studie (Senior PAMI, USA 2000-2005) mit 481 Patienten wurde zwar
registriert (4), jedoch wegen Rekrutierungsproblemen vorzeitig abgebrochen.
Ihre Ergebnisse wurden nur auf Kongressen vorgestellt und nie als Originalarbeit
publiziert. Senior PAMI konnte – soweit aus Abstracts im Internet zu entnehmen
- keine Überlegenheit der PCI gegenüber der Thrombolyse bei Infarktpatienten
> 70 Jahren nachweisen. 2005 wurde eine dritte randomisierte Studie
initiiert. Diese, überwiegend durch öffentliche Gelder finanzierte spanische
Multizenterstudie mit dem Akronym TRIANA schloss zwischen März 2005
und Dezember 2009 an 23 Zentren insgesamt 266 Patienten ≥ 75 Jahren
mit einem weniger als sechs Stunden alten STEMI ein (5). Die
Patienten waren im Mittel 81 Jahre alt (75-94 Jahre). 132 Patienten wurden zur
primären PCI und 134 zur Thrombolyse mit Tenecteplase (Metalyse®) randomisiert.
Die Risiken und Infarktcharakteristika waren in den beiden Gruppen sehr
ähnlich. Die klinischen Ergebnisse sind in Tab. 1 dargestellt. Es zeigte
sich nach 30 Tagen zwar in allen Endpunkten ein gewisser Vorteil für die
primäre PCI, statistisch waren diese Unterschiede jedoch nicht signifikant. Das
blieb auch so nach einem Jahr; hier waren die Unterschiede zwischen den Gruppen
sogar noch geringer.
Wirklich bemerkenswert an TRIANA ist
jedoch, dass sie, wie schon Senior PAMI, wegen mangelnder Patientenrekrutierung
vorzeitig abgebrochen werden musste. Zur
Überprüfung der Grundthese (Überlegenheit der primären PCI gegenüber Fibrinolyse
mit Tenecteplase) wären 570 Patienten notwendig gewesen. Somit kann auch TRIANA
diese Frage nicht beantworten.
Leider berichten die Autoren nicht, warum es in nur
13 von 23 Zentren gelungen ist, mehr als fünf Patienten von ≥ 75
Jahren in fast vier Jahren für die Studie zu rekrutieren. Ist es so schwierig,
alte Patienten für Studien zu gewinnen? Statt dessen folgern die Autoren aus ihren
Daten, dass „es so scheint, als sei die primäre PCI die beste
Reperfusionstherapie beim STEMI auch bei den ältesten Patienten”. Einen Beweis
liefert diese Studie allerdings nicht.
Fazit:
Klinische Studien mit alten und multimorbiden Patienten sind eine große
Herausforderung. Am Beispiel der optimalen Reperfusionstherapie beim akuten
Myokardinfarkt im höheren Lebensalter sieht man, wie gering die Evidenz für
eine im klinischen Alltag etablierte Therapie wie die Akut-PCI ist, auch nach
nahezu zwei Jahrzehnten klinischer Forschung. Die Akut-PCI ist die Therapie der
Wahl für betagte Patienten, auch ohne hinreichende Evidenz. Somit ist sie
formal nur eine Klasse-IV-Empfehlung (Expertenkonsens). Anscheinend ist es
nicht möglich, eine ausreichend statistisch „gepowerte” Studie mit dieser
wichtigen Patientengruppe durchzuführen. Bis dahin sollte das Lebensalter aber
auch keine Kontraindikation für eine indizierte Thrombolyse sein.
Literatur
- Van de Werf, F., et al.:Eur. Heart J. 2008, 29,2909.

- AMB 2006, 40, 09.

- de Boer, M.J., et al.: J.Am. Coll. Cardiol. 2002, 39,1723.

- http://www.clinicaltrial.gov

- Bueno, H., et al. (TRIANA= TRatamiento del Infarto Agudo de miocardio eN Ancianos):Eur. Heart J. 2011, 32, 51.

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