Der Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber
hohen Dosen ionisierender Strahlen und dem Entstehen von Krebserkrankungen ist
allgemein bekannt. Doch auch niedrige Strahlungsdosen scheinen das Risiko für
Malignome zu erhöhen, wie an einer Kohorte von Arbeitern in Kernkraftwerken
gezeigt wurde (1). Schätzungen, die auf Studien über den Zusammenhang zwischen
Strahlungsexposition nach den Atombombenabwürfen über Japan und der Inzidenz
von Malignomen unter den Betroffenen beruhen, gehen davon aus, dass heute bis
zu 2% aller Malignome in den USA auf Strahlenexposition durch radiologische Diagnostik
(vor allem Computertomographie) zurückzuführen sein könnten (2). Möglicherweise
wird diese Gefahr in der Medizin immer noch unterschätzt. Bisher fehlen jedoch schlüssige
Beweise aus epidemiologischen Untersuchungen.
Eine kürzlich erschienene Originalarbeit im Canadian
Medical Association Journal ergab, dass die Strahlenbelastung durch
kardiologische Interventionen nach Myokardinfarkt mit einem erhöhten Risiko für
Krebserkrankungen in den Folgejahren assoziiert ist (3). Die Autoren
identifizierten in einer administrativen Krankenhaus-Entlassungsdatenbank alle
Patienten, die zwischen dem 1.4.1996 und dem 31.3.2006 wegen eines akuten
Myokardinfarkts in einem Krankenhaus von Quebec, Kanada, stationär behandelt
worden waren. Auf Basis der Versicherungsnummer wurden die Krankenhausdaten mit
den Versicherungsdaten der Krankenversicherung von Quebec verknüpft. Die Zeit der
Nachbeobachtung betrug im Mittel fünf Jahre. Die Kohorte von 82.861 Patienten wurde
in fünf Gruppen stratifiziert: Patienten ohne Strahlenbelastung (n = 19.039),
Patienten mit einer Strahlenbelastung von > 0 - ≤ 10
mSv (milliSievert, n = 12.331), von > 10 - ≤ 20 mSv
(n = 25.310), von > 20 - ≤ 30 mSv
(n = 11.091) und von > 30 mSv (n = 15.090).
Insgesamt erkrankten 12.020 (14,5%) dieser Patienten an
einem malignen Tumor, wobei Tumorerkrankungen während des ersten Jahres nach
der Strahlenexposition nicht berücksichtigt wurden, da hier ein Zusammenhang mit
der Strahlenbelastung sehr unwahrscheinlich ist. Bei der multivariaten
Vergleichsanalyse der Gruppen mit unterschiedlichen Strahlenbelastungen unter
Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und sonstiger Strahlenbelastung zeigte
sich, dass das Risiko, innerhalb eines Beobachtungszeitraums von fünf Jahren
nach einer durch kardiale Diagnostik oder Intervention bedingten
Strahlenbelastung an Krebs zu erkranken, pro mSv um den Faktor 1,003 anstieg (95%-Konfidenzintervall: 1,002-1,004).
Das entspricht einer Risikosteigerung von 4,5% z.B. nach perkutaner
Koronarintervention mit einer angenommenen durchschnittlichen Strahlenbelastung
von 15 mSv. Umgelegt auf die Malignominzidenz von 14,5% in der
Gesamtkohorte lässt sich eine absolute Risikozunahme von 0,65% errechnen (4,5%
von 14,5%), was einer Number needed to harm von 154 entspricht. Dieses Risiko
muss natürlich dem Risiko gegenübergestellt werden, dem der Patient bei
Unterlassung einer indizierten Koronarintervention ausgesetzt ist. In der
Studie wurden ausschließlich Patienten nach akutem Myokardinfarkt untersucht,
für die der Nutzen einer raschen Koronarintervention unstrittig ist. Zudem
wurde in der Studie lediglich die Erkrankungsinzidenz, nicht aber die Letalität
erfasst. Da es sich bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) eher um
ältere Patienten handelt, könnte es sein, dass viele von ihnen an einem
kardiovaskulären Ereignis oder an anderen Ursachen gestorben sind, bevor eine durch
Strahlenbelastung induzierte Krebserkrankung diagnostiziert werden konnte.
Dennoch sollten uns diese Studienergebnisse veranlassen, nicht leichtfertig mit
der Indikationsstellung für kardiovaskuläre Diagnostik und Interventionen und
der damit verbundenen Strahlenexposition umzugehen. Wir wissen aus verschiedenen
Statistiken, dass bis zu 50% der Koronarangiographien in der Erstdiagnostik der
KHK einen unauffälligen Befund ergeben, und dass auch die perkutanen
Interventionen bei Patienten mit stabiler Angina pectoris nur selten lebensverlängernd
sind (4). Bei diesen Patienten überwiegt wahrscheinlich der schädliche Effekt
der Strahlenexposition den möglichen Nutzen der Maßnahme.
Fazit: Aus
einer großen retrospektiven Kohortenstudie ergibt sich ein Signal, dass die Strahlenexposition
im Rahmen kardiologischer Diagnostik und Interventionen das Risiko, an Krebs zu
erkranken, erhöhen kann. Dieses Risiko sollte bei der Indikationsstellung für
alle strahlenintensiven Untersuchungen und Interventionen bedacht werden.
Literatur
- Cardis, E., et al.: BMJ2005, 331, 77.

- Brenner, D.J., und Hall, E.J.: N.Engl. J. Med. 2007, 357, 2277.

- Eisenberg, M.J., et al.: CMAJ2011, 183, 430.

- Trikalinos, T.A., et al.:Lancet 2009, 373, 911
. Erratum: Lancet 2009, 374,378.
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