Zusammenfassung:
ROCKET-AF- bzw. ARISTOTLE-Studie zeigen Rivaroxaban (Xarelto®)
bzw. Apixaban (Eliquis®) als mögliche Alternativen zu Vitamin-K-Antagonisten
zur Thromboembolie-Prophylaxe bei Vorhofflimmern. Eine große therapeutische Überlegenheit
gegenüber Vitamin-K-Antagonisten ist nach unserer Einschätzung aufgrund dieser
Studien nicht belegt. Langzeitdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit fehlen, vor
allem aber der Vergleich untereinander, auch der mit Dabigatran. Die beiden
Substanzen sind ca. 30mal teurer als Warfarin oder Phenprocoumon. Sie kommen
unseres Erachtens (nach ihrer zu erwartenden Zulassung bei Vorhofflimmern) als
Ausweichpräparate in Betracht, wenn Phenprocoumon nicht vertragen wird, die
Einstellung nur unbefriedigend gelingt oder die notwendigen Laborkontrollen
unzumutbar sind. Gut eingestellte Patienten sollten nicht umgestellt werden.
Der Vorteil liegt in der nicht erforderlichen labortechnischen Überwachung der
Gerinnung, die Nachteile sind die hohen Preise, die fehlenden Langzeitdaten und
die zahlreichen Ausschlusskriterien in den Studien. Die kurze Halbwertszeit
aller Präparate führt bei unregelmäßiger Einnahme möglicherweise zu
Wirkungsschwankungen, die genauer untersucht werden sollten.
Bemerkenswerterweise korrelieren die empfohlenen Einnahmeintervalle nicht gut mit
den Halbwertszeiten. Antidote gibt es bisher nicht. Die Hersteller und ihre
Multiplikatoren preisen die neuen Antikoagulanzien mancherorts als eine
Revolution in der Therapie. Das ist sicher übertrieben.
Nachdem Anfang
August 2011 der orale Thrombinhemmer Dabigatran (Pradaxa®) auch in
Europa für die Indikation Vorhofflimmern zugelassen wurde - wir haben mehrfach
über die Substanz berichtet (1) - stehen zwei weitere Kandidaten, die oralen
Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban und Apixaban in den Startlöchern (2, 3, 8-12).
Soeben sind die Studien mit den Akronymen ROCKET-AF (Rivaroxaban; 4) und
ARISTOTLE (Apixaban; 12) zur Thromboembolie-Prophylaxe bei Vorhofflimmern erschienen.
Rivaroxaban: Rivaroxaban,
ein Oxozolidinon-Abkömmling, hemmt direkt Faktor Xa und damit die gemeinsame
Endstrecke der exogenen und endogenen plasmatischen Gerinnung. Die
Halbwertszeit beträgt 7-11 h. Die Substanz ist bereits 2008 von der EMA für die
Thromboembolie-Prophylaxe nach Hüft- oder Kniegelenkersatz zugelassen worden.
Die Indikationserweiterung auf Vorhofflimmern wurde in den USA bereits 2010
nach der Vorstellung der ROCKET-AF-Studie auf der Jahrestagung der American
Heart Association beantragt.
In
dieser doppelt verblindeten, randomisierten, kontrollierten Studie erhielten insgesamt
14.264 Patienten (medianes Alter 73 Jahre; 39,7% Frauen) mit Vorhofflimmern und
mäßigem bis hohem Schlaganfallrisiko entweder Warfarin (Dosierung in
Abhängigkeit von der INR) oder Rivaroxaban (20 mg/d als fixe Einmaldosis
oder 15 mg/d bei eingeschränkter Kreatinin-Clearance zwischen 30 und
45 ml/min). Das Schlaganfallrisiko wurde mittels des CHADS2-Scores
beurteilt (s. Tab. 1; 5). Nur Patienten mit einem CHADS2-Score
≥ 2 wurden in die Studie aufgenommen (mittlerer CHADS2-Score
3,5; medianer 3,0). Wichtige Ausschlusskriterien waren Mitralstenose,
künstliche Herzklappen, Vorhofmyxome, bekannte Thromben in den Herzhöhlen,
floride Endokarditis, Blutung oder erhöhtes Blutungsrisiko, Thrombozytopenie
< 90.000/µl, Blutdruck systolisch ≥ 180 mm Hg,
diastolisch ≥ 100 mm Hg, Hämoglobin < 10 g/dl,
Kontraindikation für Warfarin, Kreatinin-Clearance < 30 ml/min
oder bekannte Lebererkrankung (z.B. ALT > dreimal oberer Normalwert).
Um die
doppelte Verblindung nicht nur bei der Randomisierung, sondern auch während des
gesamten Studienverlaufs zu gewährleisten, wurde auch bei den Rivaroxaban-Patienten,
die Warfarin-Plazebo einnahmen, die INR gemessen. Die behandelnden Ärzte
erhielten von einem unabhängigen Studienmonitor die realen INR-Werte der
Warfarin-Gruppe bzw. die vorgeblichen INR-Werte der Rivaroxaban-Gruppe, nach
denen sie die Warfarin- bzw. Warfarin-Plazebo-Dosis anpassten.
Der
primäre Endpunkt war zusammengesetzt aus Schlaganfall (ischämisch oder
hämorrhagisch) und systemischer Embolie. Als sekundäre Endpunkte wurde eine Reihe
unterschiedlich zusammengesetzter und einzelner Endpunkte definiert, z.B.
Schlaganfall, systemische Embolie, Tod aus kardiovaskulärer Ursache,
Myokardinfarkt.
Nach einer
medianen Nachbeobachtung von 707 Tagen zeigte sich in der Per-protocol-Analyse
für die Rivaroxaban-Gruppe (6.958 Patienten Rivaroxaban, 7.004 Patienten
Warfarin) eine signifikant geringere Ereignisrate pro 100 Patientenjahre hinsichtlich
des primären Endpunkts: 1,7 vs. 2,2; Hazard ratio: 0,79; 95%-CI: 0,66-0,96.
In der Intention-to-treat-Analyse, die wegen ihrer größeren Aussagekraft von
den CONSORT-Richtlinien gefordert wird und heute üblich ist (6, 7), konnte
allerdings nur die Nichtunterlegenheit von Rivaroxaban nachgewiesen werden
(Ereignisrate 2,1 vs. 2,4; Hazard ratio: 0,88; 95%-CI: 0,75-1,03). Bemerkenswert
ist, dass in beiden Gruppen viele Patienten die Therapie abbrachen: 23,7% in
der Rivaroxaban- und 22,2% in der Warfarin-Gruppe. Immerhin brachen 8,3% der
Rivaroxaban-Patienten die Therapie wegen einer UAW ab (7,0% in der
Warfarin-Gruppe). Die mediane Therapiedauer betrug daher nur 590 Tage, war also
deutlich kürzer als die Nachbeobachtungszeit von 707 Tagen. 93 Patienten wurden
wegen Verstößen gegen Good Clinical Practice in einem Studienzentrum
ausgeschlossen.
Als primärer Sicherheitsendpunkt wurden „größere und klinisch relevante
Blutungen” festgelegt. Definition einer größeren Blutung war: Blutungen mit
tödlichem Ausgang, intrakraniale, spinale, okulare, perikardiale, artikuläre,
retroperitoneale oder intramuskuläre Blutungen mit Compartment-Syndrom, Hämoglobinabfall
> 2 g/dl, Transfusion von mehr als zwei Erythrozytenkonzentraten
oder Blutung mit permanentem Folgeschaden; die Definition sonstige klinisch
relevante Blutung war: offene Blutung, die eine medizinische Intervention
erforderte.
Größere
und klinisch relevante Blutungen traten in der Rivaroxaban-Gruppe etwas häufiger
auf als in der Warfarin-Gruppe (14,9% vs. 14,5%). Dies betraf auch größere Blutungen
allein (3,6% vs. 3,4%). Diese geringen Unterschiede waren vor allem auf
häufigere gastrointestinale Blutungen unter Rivaroxaban zurückzuführen (3,2% vs.
2,2%), dagegen waren intrakraniale Hämorrhagien unter Rivaroxaban signifikant
seltener (0,5% vs. 0,7%; Hazard ratio: 0,67; 95%-CI: 0,47-0,93).
Auch die
zusammengesetzten sekundären Endpunkte (Schlaganfall, Embolie oder
kardiovaskulärer Tod bzw. diese mit Myokardinfarkt) zeigten einen leichten Vorteil
für Rivaroxaban (Hazard ratio: 0,86; 95%-CI: 0,74-0,99 bzw. 0,85;
95%-CI: 0,74-0,96). Alle übrigen sekundären Zielkriterien sowie alle nicht-hämorrhagischen
UAW traten in beiden Therapiegruppen etwa gleich häufig auf.
Die
ROCKET-AF-Studie scheint also insgesamt zu belegen, dass Rivaroxaban der
Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten zur Prophylaxe thromboembolischer
Ereignisse bei Vorhofflimmern etwa ebenbürtig ist. Kritisch zu sehen sind die
insgesamt etwas häufigeren Blutungskomplikationen und die höhere Therapieabbruch-Rate
in der Rivaroxaban-Gruppe. Zudem sind die zahlreichen Ausschlusskriterien bei
der Rekrutierung zu bedenken, will man die Studienergebnisse auf Patienten in
der Praxis übertragen.
Die
Studie wurde durch die Herstellerfirmen Johnson & Johnson sowie Bayer
HealthCare finanziert. Die Autoren haben zahlreiche Interessenkonflikte, die am
Ende der Publikation aufgelistet werden.
Apixaban: Apixaban
ist wie Rivaroxaban ein direkter Faktor-Xa-Inhibitor. Er wird nahezu
vollständig resorbiert, zu 75% metabolisiert und zu 25% renal ausgeschieden. Die
Halbwertszeit beträgt 9-14 h. Eine Zulassung besteht bisher nur für die
Prophylaxe thromboembolischer Ereignisse nach Hüft- oder Kniegelenkersatz.
Zu
Apixaban bei Patienten mit Vorhofflimmern, die eine Kontraindikation gegen
Vitamin-K-Antagonisten hatten, erschien bereits im Februar dieses Jahres im N.
Engl. J. Med. die AVERROES-Studie, die wegen deutlicher Überlegenheit im
Vergleich zu Acetylsalicylsäure (ASS) vorzeitig abgebrochen wurde (14). Ohne
Steigerung des Blutungsrisikos waren Schlaganfälle und andere thromboembolische
Ereignisse unter Apixaban im Vergleich zu ASS deutlich seltener: 1,6%/Jahr vs.
3,7%/Jahr. Jetzt wurde Apixaban in der ARISTOTLE-Studie erneut bei
Vorhofflimmern untersucht, diesmal aber gegen Warfarin verglichen (12). Dazu wurden
insgesamt 18.201 Patienten (medianes Alter 70 Jahre; 35% Frauen) mit
Vorhofflimmern randomisiert und kontrolliert entweder mit zweimal 5 mg/d
Apixaban (zweimal 2,5 mg/d bei Alter > 80 Jahre, Gewicht
< 60 kg oder Kreatinin > 1,5 mg/dl) oder mit Warfarin
(Ziel-INR zwischen 2 und 3) behandelt. Beide Gruppen erhielten die jeweils andere
Tablette in Form eines Plazebos. Patienten, die Plazebo-Warfarin einnahmen,
mussten wie die Verum-Warfarin-Patienten regelmäßig zur INR-Bestimmung kommen.
Bei ihnen wurde die Plazebo-Warfarin-Dosis nach „Sham-INR-Werten” angepasst.
Der
primäre Endpunkt der Wirkung war zusammengesetzt aus Schlaganfall und
systemischer Thromboembolie, der sekundäre Hauptendpunkt war die Letalität. Die
Studie wurde hinsichtlich der Effektivität als Nicht-Unterlegenheitsstudie
konzipiert und „gepowert”. Als primärer Sicherheitsendpunkt wurde eine
"schwere Blutung" festgelegt. Sie war folgendermaßen definiert:
Blutung mit mindestens 2 g/dl Hämoglobinabfall, Notwendigkeit von zwei
oder mehr Erythrozytenkonzentraten, kritische Blutungslokalisation
(gastrointestinal, zerebral) oder Blutung mit Todesfolge. Der mittlere CHADS2-Score
(s. Tab. 1) betrug 2,1. 34% der Patienten hatten einen CHADS2-Score
von 1 und 30,2% einen Score von ≥ 3. Patienten mit einer
Kontraindikation gegen Warfarin, mit einem Serumkreatinin > 2,5 mg/dl
oder einer Kreatinin-Clearance < 25 ml/min wurden ausgeschlossen.
Nach
einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von 1,8 Jahren lag die jährliche
Ereignisrate des primären Endpunkts unter Apixaban signifikant niedriger als
bei Warfarin (1,27%/Jahr vs. 1,60%/Jahr; Hazard
ratio = HR: 0,79; 95%-Konfidenzintervall = CI: 0,66-0,95;
p = 0,01; Intention-to-treat-Analyse). Die HR für Schlaganfall
(0,79), hämorrhagischen Schlaganfall (0,51) und Letalität (0,89) ergaben
ebenfalls signifikante Vorteile für Apixaban. Auch hinsichtlich der
Sicherheitsendpunkte war Apixaban überlegen. Die Rate schwerer Blutungen betrug
für Apixaban 2,13%/Jahr, für Warfarin 3,09%/Jahr (HR: 0,69; CI: 0,60-0,80).
Unter Apixaban traten vor allem signifikant weniger intrakranielle Blutungen
auf (HR: 0,42). Die gastrointestinalen Blutungen waren nicht signifikant
seltener.
Für die
Gesamtbewertung von Effektivität und Sicherheit wurde nachträglich ein
kombinierter Endpunkt aus Schlaganfall, systemischer Thromboembolie, schwerer
Blutung und Gesamtletalität gebildet. Auch hier war Apixaban überlegen:
Ereignisrate 6,13%/Jahr unter Apixaban, 7,20%/Jahr unter Warfarin (HR: 0,85;
CI: 0,78-0,92; p > 0,001). Bei den unerwünschten Wirkungen
zeigte sich kein Unterschied zwischen Apixaban und Warfarin. Auch die Zahl der
Patienten, die die Studienmedikation vorzeitig beendeten, war in beiden Gruppen
nahezu identisch.
Als
Kritikpunkte an dieser Studie sind anzumerken, dass sehr viele Patienten (34%)
mit dem niedrigen CHADS2-Score von 1 eingeschlossen wurden, für die
keine zwingende Indikation zur oralen Antikoagulation besteht. Bei Analyse
dieser Subgruppe und auch bei Patienten mit einem Score von 2 zeigte sich beim
primären Endpunkt kein signifikanter Vorteil gegenüber Warfarin. Weiterhin ist
festzuhalten, dass die hohe Signifikanz nur durch die große Fallzahl erreicht
wurde. Die Studie wurde als Nicht-Unterlegenheitsstudie gepowert und dann als
Überlegenheitsstudie ausgewertet. Die absoluten Unterschiede sind daher auch
sehr gering. Unsicherheit in den Ergebnissen birgt die INR-Einstellung in der
Warfarin-Gruppe, die nur während 66% der Studienzeit im therapeutischen
Zielbereich zwischen 2 und 3 lag. Die INR-Einstellung war also nicht optimal, und
aus diesem Grund könnte Apixaban besser abgeschnitten haben. Vielleicht gilt
dies besonders für die asiatisch-pazifischen Studienzentren, die bei der
Subgruppenanalyse der geographischen Regionen als einzige einen
hochsignifikanten Vorteil für Apixaban beim primären Endpunkt fanden (HR: 0,65).
Für Europa lag die HR bei 1,0! Angaben zur Qualität der INR-Einstellung in den einzelnen
Regionen werden nicht gemacht.
Insgesamt
kann aus der ARISTOTLE-Studie (Sponsoren: Bristol-Myers Squibb und Pfizer)
abgeleitet werden, dass Apixaban der herkömmlichen Antikoagulation mit
Vitamin-K-Antagonisten wahrscheinlich nicht unterlegen und möglicherweise leicht
überlegen ist. Wie bei Dabigatran und Rivaroxaban fehlen Langzeitdaten zur
Wirkung und Sicherheit und vor allem vergleichende Untersuchungen der neuen
Antikoagulanzien untereinander. Die Preise der neuen Antikoagulanzien sind
extrem hoch verglichen mit Phenprocoumon (s. Tab. 2; 13).
Literatur
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; AMB 2010, 44, 06b ; AMB 2011, 45, 07. 
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