Bevacizumab (Avastin®), ein humanisierter,
gegen den Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) gerichteter monoklonaler
Antikörper, wurde nach seiner Zulassung in Kombination mit Zytostatika oder
Zytokinen für die Erstlinientherapie verschiedener fortgeschrittener solider
Tumore vom Hersteller Roche Pharma AG rasch als „Pan-Tumor-Medikament” angepriesen.
Inzwischen hat dieser Antikörper vermutlich den Zenit der weltweit Milliarden-hohen
Umsätze (in den USA 2009: 3,0 Mrd. US$; 1; weltweit 2010: 5,1 Mrd. €;
2) überschritten. Er wird seine Rolle als führender Blockbuster unter den
onkologischen Arzneimitteln aufgrund der eher enttäuschenden Ergebnisse zur
Wirksamkeit bzw. Sicherheit in klinischen Studien sowohl bei Patienten mit
metastasierten Krebserkrankungen als auch in der adjuvanten Therapie einbüßen
(3-8).
Bereits im Jahr 2008 hatte Roche in Deutschland im
Rahmen einer auch unter Onkologen umstrittenen Indikationsausweitung für Bevacizumab
in Kombination mit Paclitaxel (Taxol® u.a., Generika) zur
Erstlinientherapie von Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom eine
„Cost-Sharing-Initiative” in Form einer nicht-interventionellen Studie
gestartet. Sie wurde von uns ebenso wie von der Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sehr kritisch bewertet (9, 10). Aktuelle Studienergebnisse
beim metastasierten Mammakarzinom konnten das Ausmaß der bisher angenommenen
positiven Effekte auf das progressionsfreie Überleben (PFS) nicht bestätigen
und sprechen für ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis von Bevacizumab (3, 11, 12).
Ein Beratergremium der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug
Administration) hat deshalb am 29. Juni 2011 einstimmig empfohlen, die
Zulassung von Bevacizumab für diese Indikation zu widerrufen (11).
Aktuell wurde jetzt von Roche bei Krankenkassen sowie
bei der Verwaltungsleitung und Apothekern in Krankenhäusern für ein „Pay for
Performance” (P4P)-Modell für Avastin® geworben (13). Was
verbirgt sich hinter diesem P4P-Modell? Im Unterschied zu den heute
häufig vereinbarten Rabattverträgen im Generikasektor werden Direktverträge,
z.B. in Form von „Cost-Sharing-Initiativen” bzw. „Risk-Share-Verträgen”, „P4P”-,
„Pay-for-Care” (P4C)- und Mehrwertverträgen, eher selten
abgeschlossen. Wesentliche Voraussetzung für die Sicherung der Qualität
derartiger Vertragskonzepte ist eine medizinisch fundierte Begründung unter
Rückgriff auf Ergebnisse der Evidenz-basierten Medizin und ggf. der
Versorgungsforschung. Unterschieden wird zwischen input-, prozess- und
outcomeorientierten Vertragsmodellen. Während sich inputorientierte
Vertragsmodelle (z.B. Rabattverträge und „Cost-Sharing-Initiativen”) auf das
Produkt (Arzneimittel oder Medizinprodukt) und prozessorientierte (z.B. P4P)
auch auf flankierende supportive, die onkologische Behandlung optimierende
Maßnahmen konzentrieren, werden outcomeorientierte Vertragsmodelle (z.B.
„Risk-Sharing-”, P4C- und Mehrwertverträge) vor allem dann
abgeschlossen, wenn auf Seiten der Krankenkassen Zweifel an der tatsächlichen
Wirksamkeit oder Überlegenheit eines neu zugelassenen Arzneimittels bestehen
und eine Preisreduktion bei Misserfolg der Behandlung erzielt werden soll (14).
Das von Roche kürzlich Krankenhäusern und
Krankenkassen angebotene P4P-Modell für Bevacizumab erstreckt sich
auf die Erstlinientherapie von Patienten mit fortgeschrittenen oder
metastasierten kolorektalen (vgl. 18), Mamma- und nichtkleinzelligen
Bronchialkarzinomen mit Standardchemotherapie und zusätzlicher Gabe von
Bevacizumab bzw. Kombination von Bevacizumab mit Interferon alfa-2a beim fortgeschrittenen
Nierenzellkarzinom (vgl. 19). Begründet wird das P4P-Modell für
Bevacizumab in einer Stellungnahme von Roche damit, dass für Bevacizumab in den
genannten Indikationen erhebliche Therapiekosten anfallen, obwohl im
Versorgungsalltag die volle Wirkung des Arzneimittels mitunter nicht erreicht
werden kann und dann aus der Gabe von Bevacizumab letztlich kein signifikant
wahrnehmbarer patientenindividueller Nutzen resultiert (13). Laut Roche soll durch
dieses „innovative Angebot” Verantwortung für einen patientenindividuellen
Nutzen von Bevacizumab übernommen werden. Angeboten wird eine Rückerstattung
der Kosten für die Gabe von Bevacizumab bei Fortschreiten der Krebserkrankung,
wobei als Bezugsgröße für die Indikationen kolorektale, Mamma- und
Nierenzellkarzinome der Zeitraum von fünf Monaten und für das nichtkleinzellige
Bronchialkarzinom der Zeitraum bis zum Ende des dritten Monats nach Beginn der
Behandlung mit Bevacizumab gilt. Für Patienten, die erheblich von der
zusätzlichen Gabe von Bevacizumab profitieren und deren Krankheit längere Zeit
keinen Progress zeigt, wird die innerhalb eines Jahres applizierte und 10 g
überschreitende Menge ebenfalls von Roche zurückerstattet. Anders als ein
klassisches P4P-Vertragsmodell, dass sich auf die Erfüllung von
Vorgaben zur medizinischen oder versorgungsspezifischen Prozessqualität
bezieht, handelt es sich bei diesem Angebot eher um die Kombination einer
„Cost-Sharing-Initiative” mit einem „Risk-Share-Vertrag”. Dabei werden jedoch
klinische, bildgebende oder Laborparameter, an denen der Erfolg der Therapie
gemessen werden soll, nicht eindeutig definiert und Faktoren, die das
Ansprechen auf Bevacizumab plus Chemotherapie beeinflussen können (z.B. prognostische
Faktoren, Art der Chemotherapie, Komedikation, patientenspezifische
Charakteristika) nicht adäquat berücksichtigt. Als Grundlage der
Kostenerstattung soll eine kurzgefasste, einseitige, retrospektive
Dokumentation der Behandlung dienen, die vom behandelnden Arzt im stationären
oder ambulanten Bereich des Krankenhauses bzw. in der Praxis ausgefüllt werden
soll. Parallel mit diesem Angebot wurde Krankenhäusern und Krankenkassen ein im
Auftrag von Roche erstattetes Gutachten der Rechtsanwälte Dierks + Bohle
(Berlin) zugesandt, dass zu der Einschätzung kam, dass „die im Rahmen der P4P-Kooperation
rückerstatteten Kosten des Arzneimittels Avastin® sowohl im Rahmen
der stationären als auch der ambulanten Versorgung beim Krankenhaus verbleiben
und nicht an die Krankenkassen durchgereicht werden müssen” (15). Es überrascht
nicht, dass sich Krankenkassen dieser juristischen Einschätzung nicht
anschließen können, sondern im Gegenteil in dem vom Roche angebotenen P4P-Vertrag
ein gesetzwidriges Vorgehen sehen, dass eindeutig gegen Paragraphen im
Sozialgesetzbuch fünftes Buch (SGB V) und im Krankenhausfinanzierungsgesetz
(KHG) verstößt (16).
Das Angebot einer P4P-Kooperation muss im
Zusammenhang mit kritischen Artikeln, die auf mehr Fragen als Antworten zum
therapeutischen Stellenwert von Bevacizumab bei Krebserkrankungen hinweisen,
und mit negativen Studienergebnissen, z.B. bei Magen-, Pankreas- und
Prostatakarzinom gesehen werden (4-6, 11, 17). Die für die
verschiedenen Indikationen von Bevacizumab im Rahmen der Zulassung
durchgeführten randomisierten kontrollierten Studien (RCT) der Phase III haben
nur für das kolorektale Karzinom eine deutliche Verlängerung des
Gesamtüberlebens um 4,7 Monate ergeben (4). Bei den anderen Indikationen wurde lediglich
eine Verlängerung des PFS, einem weiterhin umstrittenen und für Patienten
mitunter irrelevanten Surrogatendpunkt (4, 11), je nach RCT um 0,4 bis
maximal 5,9 Monate gezeigt (4). Ein Ansprechen auf die zusätzliche Gabe von
Bevacizumab fand sich in der Regel bei deutlich weniger als 50% der behandelten
Patienten. Ein Biomarker, mit dessen Hilfe die von der Therapie profitierenden
Patienten bereits vor Behandlungsbeginn identifiziert werden können, steht für
Bevacizumab nicht zur Verfügung. Darüber hinaus haben Metaanalysen auf
schwerwiegende, z.T. sogar tödlich verlaufene unerwünschte Arzneimittelwirkungen
von Bevacizumab hingewiesen, wie Bluthochdruck, Hämorrhagien, thromboembolische
Ereignisse, Neutropenie und Perforationen im Gastrointestinaltrakt (7, 8,
vgl. auch 20).
Fazit: Das
von Roche angebotene P4P-Modell für die Verordnung von Bevacizumab
in Kombination mit Chemotherapie bzw. Zytokinen bei verschiedenen soliden
Tumoren halten wir für unseriös, da es falsche (finanzielle) Anreize setzt,
Mengen- und evtl. auch Indikationsausweitungen, zumindest in Krankenhäusern,
fördert und keine der dringend benötigten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum
therapeutischen Stellenwert von Bevacizumab bei fortgeschrittenen
Krebserkrankungen ergibt. Anstelle derartiger, in erster Linie am Umsatz
orientierten Angebote sind kontrollierte klinische Studien und Register
erforderlich, die einen Zusatznutzen von Bevacizumab für Patienten überzeugend
belegen und Biomarker für den gezielten klinischen Einsatz identifizieren
(6, 11, 17).
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