Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten ist
unbeliebt wegen der unbequemen Kontrollen der Gerinnungswerte (INR). Sie sind aber
erforderlich für eine korrekte Einstellung und um gefährliche
Blutungskomplikationen durch Überdosierung zu vermeiden. Dabigatran (Pradaxa®),
Rivaroxaban (Xarelto®) und Apixaban (Eliquis®) sind neue,
scheinbar sehr attraktive Antikoagulanzien mit neuen Wirkungsmechanismen, die
ohne Kontrolle der Blutgerinnung angewandt werden. Wir haben darüber berichtet
und gleichzeitig auf Nachteile und Bedenken hingewiesen (1, 2). Der Preis
ist hoch, das Nebenwirkungsprofil bei Anwendung in der Praxis unzureichend bekannt,
die Halbwertszeit ist relativ kurz, es gibt keine Antidote, keine Möglichkeit
der Therapiekontrolle und zudem viele Ausschlusskriterien mit der Gefahr, dass
sie nicht strikt eingehalten werden.
Die Bedenken waren nicht unbegründet. Am 27.10.2011
berichtete ein Rote-Hand-Brief der Herstellerfirma von Pradaxa®, Boehringer
Ingelheim, über tödliche Blutungskomplikationen bei älteren japanischen
Patienten, die zum Teil niereninsuffizient waren (3, 4). Auch in
Deutschland und anderen europäischen Ländern sind Todesfälle bekannt geworden.
Weltweit sollen es bisher 260 sein. Diese Zahl ist zwar alarmierend, aber wegen
fehlender Zahlen zur Blutungshäufigkeit bzw. Todesfällen unter Phenprocoumon
für die vergleichende Betrachtung der Arzneimittelsicherheit nicht zu
gebrauchen. Schwere Niereninsuffizienz ist sicher auch in Japan in der
Fachinformation als Kontraindikation aufgeführt und mäßige Einschränkung der
Nierenfunktion (Kreatinin-Clearance = CrCl: 30-50 ml/min) als Warnhinweis.
Das reicht offenbar nicht aus, um bedrohliche Komplikationen zu vermeiden.
Daher werden die japanischen Beobachtungen auch in Deutschland zu Recht sehr
ernst genommen, sogar in der Laienpresse (5, 6). In der neuesten Auflage
der Fachinformation heißt es zwar jetzt: „Vor dem Beginn einer Behandlung mit
Pradaxa® sollte die Nierenfunktion durch die Bestimmung der
Kreatinin-Clearance (CrCl) überprüft werden, um Patienten mit schwerer
Einschränkung der Nierenfunktion von der Behandlung auszuschließen (d.h. CrCl
< 30 ml/min). Während der Behandlung sollte die Nierenfunktion in
bestimmten klinischen Situationen, in denen eine mögliche Abnahme oder
Verschlechterung der Nierenfunktion zu vermuten ist (z.B. Hypovolämie,
Dehydratation und bestimmte Komedikation), überprüft werden”. Diese
Empfehlungen sind aber in der Praxis oft nicht umzusetzen. Jeder weiß z.B., dass
die Nierenfunktion bei Therapie mit Digitalis beachtet werden muss. Trotzdem
kommt es immer wieder zu Digitalisintoxikationen, weil aktuelle Einschränkungen
der Nierenfunktion (hohes Fieber, Flüssigkeitsverlust u.ä.) nicht beachtet
werden (können). Dabei ist die Digitalisintoxikation noch vergleichsweise
gutartig, weil sie, bevor gefährliche Rhythmusstörungen auftreten, meist zu Allgemeinsymptomen
führt, die auf die Intoxikation hinweisen (Übelkeit, Erbrechen, Farbensehen).
Solche Symptome gibt es bei Pradaxa® nicht. Man kann auch, anders
als bei Digitalis, weder die Konzentration im Blut noch die Wirkung (Verlängerung
der Blutgerinnung) ohne weiteres messen. Bei einer Überdosierung sieht man nur
die Blutung, hat aber kein Antidot zur Behandlung. Diese sehr unangenehme
Situation kann nur dadurch vermieden werden, dass Pradaxa® nicht solchen
Patienten verordnet wird, die eine Niereninsuffizienz haben oder bei denen das
Risiko besteht, sie in besonderen Situationen zu entwickeln. Die oben erwähnten
Therapieauflagen müssen genau beachtet und überprüfbar eingehalten werden. Alle
unerwünschten Wirkungen unter der Therapie sollten der AkdÄ gemeldet werden (gegebenenfalls
online: http://www.akdae.de).
Literatur
- AMB 2008, 42,09.

- AMB 2011, 45, 07a
und AMB 2011, 45, 73. 
- http://www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/DSM/Archiv/2011-178.html

- http://www.reuters.com/article/2011/08/18/boehringer-japan-idUSL5E7JI2XZ20110818

- DIE ZEIT, 3. November 2011, S. 34.
- DER SPIEGEL, 7. November 2011, S.158.
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