Im N. Engl. J. Med. ist kürzlich eine neue Studie zur
Therapie der Multiplen Sklerose (MS) erschienen (1; vgl. auch 2, 3).
Getestet wurde Teriflunomid gegen Plazebo. Teriflunomid ist der aktive
Metabolit von Leflunomid, das für die Behandlung der Rheumatoiden Arthritis und
ANCA-assoziierter Vaskulitiden zugelassen ist. Sanofi-Aventis, der Hersteller
des Prüfmedikaments, hat die Studie finanziell unterstützt.
Eingeschlossen wurden Patienten mit schubförmiger MS
(schubförmig-remittierend, sekundär progredient oder progredient-remittierend),
die in den vorausgegangenen zwei Jahren zwei Schübe oder im Jahr zuvor einen
Schub erlitten hatten und einen Expanded Disability Status Scale (EDSS)-Score
(vgl. 1) von 0 bis 5,5 hatten.
Zwei Jahre lang erhielten die Studienteilnehmer nach
Randomisierung täglich entweder Plazebo, 7 mg Teriflunomid oder 14 mg
Teriflunomid in Tablettenform. Primäre Zielgröße war die Frequenz von Schüben
(dargestellt als Zahl der Schübe pro Patientenjahr); relevante weitere Zielgrößen
waren Veränderungen des EDSS-Scores, Fatigue, und unerwünschte Ereignisse (UE).
Die wesentlichen Charakteristika der etwa 360 Patienten je
Gruppe: mittleres Alter 38 Jahre, Anteil der Frauen 70%, Erkrankungsdauer knapp
neun Jahre, 90% litten unter schubförmig-remittierendem Verlauf, gut ein
Viertel erhielt in den zwei Jahren vor Studienbeginn eine verlaufsmodifizierende
Therapie.
Die für EDSS-Score und Studienregion adjustierte jährliche
Schubfrequenz lag bei 0,54 unter Plazebo, 0,37 unter 7 mg Teriflunomid und
0,37 unter 14 mg Teriflunomid, entsprechend einer relativen
Risikoreduktion (RRR) unter Verum von je ca. 31% (p < 0,001). Eine
anhaltende klinische Verschlechterung trat bei 27,3% bzw. 21,7% und 20,2% der
Patienten auf. Die RRR betrug 23,7% für 7 mg/d (p = 0,08) und
29,8% für 14 mg/d Teriflunomid (p = 0,03), jeweils gegenüber
Plazebo. Auch die Gesamtzahl der UE war dosisabhängig, jedoch ohne statistisch
signifikante Unterschiede. Typische UE für Teriflunomid scheinen Durchfall,
Übelkeit, dünneres Haar und ALAT-Erhöhungen zu sein – deutlich häufiger als in
der Plazebo-Gruppe. Die Autoren der Studie weisen darauf hin, dass für eine
umfassendere Beurteilung der Arzneimittelsicherheit länger dauernde Studien
notwendig sind.
Ein weiterer Punkt verdient Beachtung. Unter Plazebo
hatten 17 von 363 Patienten vier oder mehr Schübe während der zweijährigen
Studiendauer, was wahrscheinlich mit einer Verschlechterung ihres
Gesundheitszustands einherging. Unter Teriflunomid waren es deutlich weniger,
nämlich drei von 365 (7 mg/d) bzw. sechs von 358 (14 mg/d). Dies
spricht zwar ebenfalls für die Wirksamkeit des Prüfmedikaments, aber welche
Therapie hätten die Patienten der Plazebo-Gruppe erhalten, hätten sie sich
nicht zur Teilnahme an dieser Studie entschieden? Als etablierte und empfohlene
Therapie können Interferon beta und Glatiramerazetat gelten (2, 4). Natürlich
ist nicht vorherzusagen, ob die Patienten der Plazebo-Gruppe davon profitiert
hätten, aber es bleibt die generelle Frage: Sind Studien mit Plazebo-Gruppe ethisch
zulässig, wenn etablierte Therapien vorhanden sind und wenn irreversible
Schäden durch Verzögerung einer wirksamen Therapie entstehen können? Die
Antwort einer internationalen Arbeitsgruppe auf diese Frage zu klinischen Studien
bei MS lautete: „Ja, unter bestimmten Bedingungen” (5): 1. wenn Patienten die
Behandlung mit vorhandenen Therapien ablehnen. 2. wenn Patienten auf
vorhandene Therapien nicht angesprochen haben. 3. in Umgebungen mit
eingeschränkten Ressourcen. Es wird in der Publikation der TEMSO-Studie nicht
deutlich, ob diese Bedingungen bei Einschluss der Patienten in die
Plazebo-Gruppe berücksichtigt wurden. Um den Stellenwert der neuen Substanz
Teriflunomid erkennen zu können, hätte in einer Gruppe die Wirkung eines
etablierten Arzneimittels vergleichend mitgetestet werden müssen (6). Wieder
einmal wird deutlich, dass Arzneimittelstudien wenig aussagekräftig und manchmal
sogar ethisch problematisch sind, wenn sie nur plazebokontrolliert sind und eine
etablierte wirksame Therapie zum Vergleich fehlt.
Fazit: Teriflunomid (7 mg/d und 14 mg/d) reduzierte
bei Patienten mit MS in einer Zweijahresstudie im Vergleich mit Plazebo
statistisch signifikant die Zahl der Schübe. Für die Beurteilung der Sicherheit
sind jedoch längere Studien erforderlich. Plazebokontrollierte Arzneimittelstudien
bei schubförmiger MS sind nach unserer Einschätzung ethisch problematisch, denn
schließlich wird den Patienten, die Plazebo erhalten, längere Zeit eine potenziell
wirksame Behandlung vorenthalten.
Literatur
- O’Connor,P., et al. (TEMSO = TEriflunomide Multiple Sclerosis Oraltrial): N. Engl. J. Med. 2011, 365, 1293.

- AMB2010, 44, 41.

- AMB2010, 44, 80b.

- Leitlinien fürDiagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. überarbeitete Auflage, GeorgThieme Verlag Stuttgart 2008, S. 654.
- Polman,C.H., et al.: Neurology 2008, 70, 1134.

- http://www.ema.europa.eu/...

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