Vor zwei Jahren haben wir anhand des Beispiels biotechnologisch
hergestellter Erythropoetine über die Probleme mit sogenannten Biosimilars -
Nachfolgesubstanzen von Biopharmazeutika, d.h. biotechnologisch hergestellten
Arzneimitteln - berichtet (1). Im Unterschied zu den generischen Analoga „normaler”
aktiver pharmazeutischer Inhaltsstoffe (API) können diese wesentlich
komplexeren, hochmolekularen Substanzen, meist Proteine oder Glykoproteine,
nicht in chemisch identischer Struktur kopiert werden. Je nach verwendeten
Zelllinien, Nährmedien und Kulturbedingungen kommt es zu geringen Unterschieden
in den Molekülen, so dass es sich zwar um „ähnliche” (”biosimilare”), aber
streng genommen doch um neue Wirkstoffe handelt. Der Nachweis der Bioäquivalenz
im Vergleich zum Referenzprodukt – so wie bei Generika – ist daher für die
Zulassungsbehörden in Europa und in den USA nicht ausreichend. Zweitanmeldern
wird die Durchführung präklinischer Tests und klinischer Studien vorgeschrieben
(u.a. Bioassays, Toxizitätsstudien, lokale Verträglichkeitsstudien,
pharmakodynamische und -kinetische Untersuchungen). In Europa gibt es derzeit
Richtlinien für die Herstellung rekombinanter Humaninsuline, rekombinantes
Wachstumshormon, Heparine, Granulozyten-Kolonien-stimulierende Faktoren (G-CSF)
und Erythropoetin (vgl. 5, 6). Die Substanzgruppe der Biopharmazeutika
umfasst aber auch bisher noch patentgeschützte Blockbuster wie Trastuzumab
(Herceptin®, Roche), Bevacizumab (Avastin®, Roche),
Rituximab (MabThera®, Roche) und Etanercept (Enbrel®,
Pfizer).
Die New York Times berichtete kürzlich in einem Artikel mit
dem Titel „China and India Making Inroads in Biotech Drugs” (China und Indien
mit biotechnologischen Arzneimitteln auf dem Vormarsch) über einen globalen
Aspekt dieses Themas (2). Mehr als 80% aller weltweit verkauften API werden
bereits von chinesischen und indischen Herstellern produziert. Dies trifft in
gleicher Weise auf generische wie auch auf nicht-generische Präparate zu. Über
daraus resultierende Probleme in der Überwachung der Arzneimittelsicherheit haben
wir anlässlich des gefälschten chinesischen Rohheparins 2008 berichtet (3). Die
Produktion komplexer Biopharmazeutika und ihrer Biosimilars blieb aufgrund der
aufwändigen und kostenintensiven Herstellungsprozesse sowie der oben erwähnten
regulatorischen Bestimmungen bisher auf wenige Hersteller und im wesentlichen
auf Europa und die USA beschränkt. Dies soll sich nun ändern.
Nachdem sie hunderte Mio. US$ in Biotechnologie-Fabriken
investiert haben, kündigen große Generikahersteller in China und Indien für
2012 den Einstieg in diese Sparte an, weil sie sich auf den europäischen und
amerikanischen Märkten lukrative Gewinne versprechen. Die zuständigen
Zulassungsbehörden (EMA und FDA) stehen damit einer neuen Herausforderung in
der Überwachung der zunehmend komplexen Herstellungsprozesse und der
pharmazeutischen Qualität im Ausland produzierter Wirkstoffe gegenüber. Ein
beunruhigender kürzlich veröffentlichter „Special report” der FDA (4)
verdeutlicht, dass in Folge der erheblichen Zunahme der Biopharmazeutika die Kapazitätsgrenzen
dieser Behörde schon jetzt überschritten sind.
Doch auch die Schwellenländer selbst sind durchaus
hoffnungsvolle Märkte für pharmazeutische Unternehmen: Mexiko allein gibt für
Herceptin 120 Mio. US$ pro Jahr aus. Das sind 0,5% der gesamten Gesundheitsausgaben.
2007 wurde dort allen Frauen mit HER-2-Rezeptor-positivem Mammakarzinom die
Finanzierung einer Herceptin-Therapie (vgl. 7) über ein staatliches
Versicherungsprogramm garantiert (2). Manche Länder bemühen sich bereits um
Abkommen mit dem Zweck, US-amerikanische und europäische Patentrechte zu
umgehen und billige indische und chinesische Substanzen zu importieren. Unter
bestimmten Voraussetzungen können aus humanitären Gründen internationale
Beschlüsse über die Patentgesetze gestellt und Firmen gezwungen werden,
Patentrechte noch vor ihrem Ablauf mit Mitbewerbern zu teilen – so wie es vor
zehn Jahren für antiretrovirale Arzneimittel zur Bekämpfung von HIV/AIDS
geschah. Die Tagestherapiekosten für eine kombinierte antiretrovirale
HIV-Therapie (cART) in Entwicklungsländern sind seither auf 20 US-Cents
gefallen, und mehr als sechs Millionen Menschen in diesen Ländern erhalten
derzeit diese Arzneimittel (im Jahr 2001 waren es ca. 2000; 2). Ob nicht-infektiösen,
teilweise chronisch verlaufenden und malignen Erkrankungen derselbe Stellenwert
wie der HIV/AIDS-Pandemie beigemessen werden soll oder nicht, ist derzeit
Gegenstand von Diskussionen auf internationaler Ebene, z.B. im Rahmen eines
UN-Meetings im vergangenen September. So kostengünstig wie die cART werden
Biopharmazeutika und Biosimilars – deren Nutzen zudem nicht für alle
Indikationen eindeutig belegt ist – wegen ihrer komplexen Herstellungsverfahren
allerdings nie sein. Kritiker mahnen, dass bei limitierten Ressourcen der
Gesundheitsbudgets weit verbreitete Gesundheitsprobleme nicht übersehen werden
dürfen, deren Prophylaxe und Therapie mit wesentlich günstigerem
Kosten-Nutzen-Verhältnis möglich sind, wie z.B. einfache Infektionserkrankungen
bei Kindern.
Fazit: Der Markt für biotechnologisch hergestellte
Arzneimittel ist weltweit eine große Hoffnungssparte der pharmazeutischen
Unternehmen. In Industrieländern und insbesondere in den „Emerging Markets” der
Schwellenländer werden von der Industrie große Wachstumspotenziale gesehen.
Erste Hersteller planen bereits, die Produktion von Biosimilars in Billiglohn-Ländern
aufzunehmen. Die daraus resultierende Preissenkung halten wir – vorausgesetzt
der Nutzen eines Arzneimittels ist belegt – prinzipiell für begrüßenswert. Dem
stehen allerdings die enormen regulatorischen und technischen Probleme
gegenüber, die unbedingt ein globales Monitoring der pharmazeutischen Qualität erfordern.
Literatur
- AMB2009, 43, 09.

- http://www.nytimes.com/...

- AMB2008, 42, 30.

- http://www.fda.gov/...

- http://www.akdae.de/Stellungnahmen/...

- http://www.ema.europa.eu/...

- AMB 2006, 40,41.

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