Vor etwa fünf Jahren wurde der direkte Reninhemmer Aliskiren (Rasilez®)
zuerst in den USA und kurz darauf auch in Europa zur Behandlung der arteriellen
Hypertonie in Mono- oder Kombinationstherapie zugelassen. Wir haben ausführlich
darüber berichtet (1). Die Zulassung stützte sich damals auf Daten von
> 7.800 Patienten in 44 klinischen Studien, die zeigten, dass Aliskiren
als Monotherapie ähnlich stark den Blutdruck senkt wie andere Antihypertensiva.
In Kombination mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern (AT-II-RB) war die Blutdrucksenkung etwas stärker als unter der
jeweiligen Monotherapie (2).
Wir haben 2007 vor möglichen Risiken von Aliskiren (z.B.
Hyperkaliäme) und unkritischem breiten Einsatz des neuen Wirkstoffs außerhalb
von Studien gewarnt, weil noch keine Erkenntnisse zu Langzeitverträglichkeit
und klinisch relevanten Endpunkten vorlagen (1). Die Warnung hat sich als berechtigt
herausgestellt.
Bereits 2008 zeigte sich in der AVOID-Studie, dass unter der
Kombination Aliskiren plus Losartan im Vergleich zu Losartan in Monotherapie
bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 zwar die Albuminurie gering abnimmt,
Hyperkaliämien aber häufiger auftreten und die GFR unbeeinflusst bleibt (3).
Auch in dieser Studie wurden noch keine klinisch relevanten Endpunkte
untersucht, weshalb wir erneut auf das Hyperkaliämierisiko hingewiesen haben
(4).
Im August 2011 wurde die ASPIRE-Studie veröffentlicht. In ihr erhielten
820 Patienten nach Myokardinfarkt entweder Aliskiren plus Standardtherapie
(ACE-Hemmer oder AT-II-RB, Betablocker) oder Standardtherapie plus Plazebo (5).
Ziel war es, durch eine intensivere „neurohumorale Blockade” ein geringeres
myokardiales Remodeling zu erzielen. Nach 26-36 Wochen Behandlung fanden sich
keine Unterschiede hinsichtlich der linksventrikulären endsystolischen oder
enddiastolischen Volumina oder der Ejektionsfraktion. Auch beim
zusammengesetzten Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, Hospitalisierung wegen
dekompensierter Herzinsuffizienz und Abnahme der Ejektionsfraktion um > 6
Prozentpunkte fand sich kein Unterschied zwischen den Gruppen. Dagegen kam es in
der Aliskiren-Gruppe deutlich häufiger zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen
(UAW), z.B. Hyperkaliämie, Hypotonie und Anstieg des Kreatinins. Auch die
Gesamtletalität war in der Aliskiren-Gruppe numerisch höher, wenn auch nicht
signifikant. Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass die Kombination
einer Standardtherapie plus Aliskiren für Patienten nach Myokardinfarkt
klinisch keine Vorteile hat.
In der Serie der bisher wenig erfolgreichen Aliskiren-Studien
wurde gerade die ALTITUDE-Studie (ALiskiren Trial In Type
2 Diabetes Using CarDio-Renal Endpoints) nach der
geplanten Zwischenanalyse auf Empfehlung des unabhängigen Data Monitoring
Committee gestoppt. In der Aliskiren-Gruppe gab es bis dahin deutlich mehr UAW,
ohne dass sich ein Vorteil hinsichtlich der gewählten Endpunkte abzeichnete
(6).
In der ALTITUDE-Studie erhieltenen laut Studienregistrierung (7)
seit 2007 insgesamt 8.600 Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 entweder Aliskiren
plus Standardtherapie (ACE-Hemmer oder AT-II-RB) oder Standardtherapie plus
Plazebo. Als primäre Endpunkte werden die kardiovaskuläre Letalität, Reanimation,
nicht-tödlicher Myokardinfarkt, nicht-tödlicher Schlaganfall, Dialysepflichtigkeit
oder eine Verdoppelung des Kreatininwerts angeführt.
In der Pressemitteilung des Studiensponsors Novartis werden keine
Angaben zur Zahl der erreichten primären oder sekundären Endpunkte oder zur
Zahl der UAW gemacht. Es wird lediglich unbestimmt von einer höheren Anzahl an
kardiovaskulären und renalen „Problemen”, Schlaganfällen, Nierenkomplikationen,
Hyperkaliämie und Hypotension gesprochen.
Bemerkenswert ist, dass die Studie laut Studienregistrierung im
Januar 2012 planmäßig beendet werden sollte, und dass die Mitteilung über den
Abbruch genau einen Monat vor dem offiziellen Ende erfolgte. Auf der Homepage
von ClinicalTrials.gov wird die Studie aktuell noch als „ongoing” geführt (7).
Es bleibt abzuwarten, ob und wann die Ergebnisse dieser abgebrochenen Studie
publiziert werden. Oder ist der Abbruch kurz vor dem Ende ein Versuch, um die
Publikation der genauen Ergebnisse herum zu kommen? Die europäische
Arzneimittelbehörde (EMA) hat bekanntgegeben, dass Aliskiren-haltige
Arzneimittel derzeit einem Review unterzogen werden (8), um eine neue
Nutzenbewertung anhand der aktuellen Studiendaten zu erstellen. Bis auf
weiteres wird von der Kombination von Aliskiren mit anderen Antagonisten des
Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) abgeraten. Der Hersteller Novartis
war schlecht beraten, auf die physiologisch nicht sehr sinnvolle Karte der
Kombination von Aliskiren mit weiteren Hemmern des RAAS zu setzen.
Fazit: Wir sehen nach wie vor keine
Indikation für Aliskiren als Antihypertensivum. In Monotherapie ist dieser
Wirkstoff ACE-Hemmern (alternativ Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern) weder in der Wirksamkeit noch hinsichtlich unerwünschter
Arzneimittelwirkungen überlegen. Vor einer Kombination mit anderen Antagonisten
des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems muss in Anbetracht der derzeitigen
Studienergebnisse gewarnt werden.
Literatur
- AMB 2007, 41, 84b.

- Oparil, S., et al.: Lancet2007, 370, 221.
Erratum: Lancet 2007, 370, 1542.
- Parving, H.-H., et al. (AVOID = Aliskirenin the eValuation of prOteinuria In Diabetes): N.Engl. J. Med. 2008, 358, 2433.

- AMB 2008, 42, 53a.

- Solomon, S.D., et al. (ASPIRE = AliskirenStudy in Post-MI patients to Reduce rEmodeling):Eur. Heart J. 2011, 32, 1227.

- Novartis Media Releases:Novartis announces termination of ALTITUDE study with Rasilez®/Tekturna®:
(Zuletzt aufgerufen 2.2.2012).
- http://www.clinicaltrials.gov/...
(Zuletzt aufgerufen 2.2.2012).
- European Medicines Agency:
(Zuletzt aufgerufen 2.2.2012).
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