Klaus Lieb, David Klemperer, Wolf-Dieter Ludwig (Hrsg.):
Interessenkonflikte in der Medizin - Hintergründe und
Lösungsmöglichkeiten.
Springer-Verlag, Heidelberg 2011. 308 S., 15 Abb.,
Hardcover, 59,95 € (ISBN 978-3-642-19841-0)
"Keine
Interessenkonflikte" liest man oft unter Fachartikeln. Was ein
Interessenkonflikt eigentlich ist, erfährt man in diesem Buch. Es behandelt dieses
Thema ausführlich und zum ersten Mal in Deutschland. Somit ist es kein
Me-too-Produkt, sondern eine wirkliche Innovation. Deshalb empfehlen wir es
auch unseren Lesern. Das Buch beginnt mit der Definition. Die geläufigste steht
im Report 2009 des US-Institute of Medicine: "Interessenkonflikte sind
definiert als Gegebenheiten, die ein Risiko dafür schaffen, dass
professionelles Urteilsvermögen oder Handeln, welche sich auf ein primäres
Interesse beziehen, durch ein sekundäres Interesse unangemessen beeinflusst
werden”. Das primäre Interesse eines forschenden Arztes - valide und für den
Patientennutzen relevante Studienergebnisse - kann durch Karriereehrgeiz oder
durch Druck des Sponsors beeinflusst, ja sogar konterkariert werden.
Der Leser erfährt,
dass Interessenkonflikte in der Medizin alltäglich und oft unvermeidlich sind. Häufig
wird dann gleich an den Extremfall Korruption gedacht. Mehrere Kapitel widmen
sich der Abgrenzung. Das Thema wurde in Deutschland lange nicht angerührt. Die
zahlreichen Literaturangaben stammen größtenteils aus dem Ausland. Besonders in
den USA gibt es eine breite öffentliche Debatte. Die Selbstbeurteilung der Ärzte
funktionierte nicht. Viele gaben "Keine Interessenkonflikte" an, auch
wenn sie mit Dutzenden von Pharmafirmen kooperierten. Deshalb nahm man die
pharmazeutischen Unternehmen (PU) in die Pflicht: durch den "Physician Payments
Sunshine Act" (1). Nach diesem Gesetz müssen sie von 2013 an der Regierung
jährlich eine Liste der (auch ausländischen) Ärzte senden, die in einem Jahr
mehr als 100 US-$ (wofür auch immer) erhalten haben. Von 2012 an werden die
Listen ins Internet gestellt.
Bei uns wurde 2009
eine informelle Arbeitsgruppe "Interessenkonflikte in der Medizin"
gegründet - von den Herausgebern dieses Buches (darunter der Vorsitzende der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Wolf-Dieter Ludwig, auch Mitherausgeber
des AMB). Viele der 30 Autoren des Buches gehören ebenfalls zu dieser Arbeitsgruppe.
Ihr Ziel ist es, Aktivitäten zum Umgang mit Interessenkonflikten zu sichten und
Vorschläge für ihre Offenlegung und Reduktion sowie den Umgang damit zu
erarbeiten. Dem kompetenten Autorenteam gelingt es, alle Aspekte des Themas und
darüber hinaus das Ausmaß der sachfremden Einflüsse auf die um Evidenz bemühte
Medizin zu berücksichtigen. Das liest sich teilweise sogar spannend, schon
wegen der konkreten Beispiele. Die psychologischen, ethischen und juristischen Probleme
werden ebenso behandelt wie die finanziellen Folgen für das Gesundheitswesen.
Auch die Einflüsse der Industrielobby auf die ärztliche Aus-, Weiter- und
Fortbildung und auf den Medizinjournalismus werden thematisiert.
Für unsere Leser
besonders interessant: die Schlusskapitel zu Interessenkonflikten in der
Forschung und in Fachzeitschriften einschließlich Hinweisen auf unabhängige
Informationsquellen. Dass industriefinanzierte Arzneimittelstudien weit
häufiger günstig für den Wirkstoff des sogenannten Sponsors ausfallen als
unabhängige Studien, ist durch viele Untersuchungen und große Metaanalysen klar
erwiesen (2). "Ghostmanagement" spielt dabei laut den Autoren dieses
Kapitels (neben Klaus Lieb und Wolf-Dieter Ludwig vor allem Gisela Schott,
ebenfalls AMB-Mitarbeiterin) eine große Rolle. Transparenz, z.B. durch Deklaration
von Interessenkonflikten, können kommerzielle Einflüsse nicht unbedingt
verhindern. Selbst auf viele Publikationen in renommierten medizinischen
Zeitschriften ist kein Verlass, entnimmt man einem Kapitel. Es beschreibt die
Schwierigkeiten für den einzelnen Arzt, die richtige und durch sachfremde
Einflüsse nicht verzerrte Informationen zu finden. Aber auch Auswege werden
gezeigt: Es gibt weltweit etwa 80 unabhängige Arzneimittelblätter, zu denen
auch DER ARZNEIMITTELBRIEF gehört - zusammengeschlossen in der International
Society of Drug Bulletins (ISDB).
Literatur
- Steinbrook, R.:N. Engl. J. Med. 2008, 359, 559.

- AMB2010, 44, 39a.

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