Zusammenfassung: Eine antithrombotische Dreifachtherapie,
bestehend aus einem oralen Antikoagulans (z.B. Phenprocoumon, Warfarin) plus
dualer Hemmung der Thrombozytenaggregation, sollte wegen des hohen
Blutungsrisikos möglichst vermieden werden. Patienten mit chronischem Vorhofflimmern
und Indikation zur oralen Antikoagulation sollten daher bei einem akuten
Myokardinfarkt oder bei akutem Koronarsyndrom (ACS) nur im Ausnahmefall einen beschichteten
Koronar-Stent (Drug eluting stent = DES) erhalten, weil damit unbedingt die
Indikation zu einer Dreifachtherapie gegeben wäre und zwar nur dann, wenn kein
erhöhtes Blutungsrisiko besteht. Das Blutungsrisiko kann mit verschiedenen
Scores abgeschätzt werden. Derzeit wird überwiegend der HAS-BLED-Score angewendet
(vgl. Abb. 2). Bei einem HAS-BLED-Score > 2 sind DES
kontraindiziert. Nach ACS bei Vorhofflimmern sollte die Dauer der
Dreifachtherapie möglichst kurz sein und dabei das individuelle Blutungsrisiko
einkalkuliert werden. Die INR sollte bei einer Dreifachtherapie nicht
> 2,5 liegen und engmaschig kontrolliert werden. Ungeklärt sind Indikation zur Dreifachtherapie und allgemeines Vorgehen
bei Patienten nach mechanischem Klappenersatz oder mit Thromboembolie in der
Anamnese, bei denen die INR > 3 liegen sollte.
Nach einem Myokardinfarkt (STEMI, NSTEMI) oder einer
Stent-Implantation besteht in den ersten Monaten eine große Rezidivgefahr. Daher wird nach
Infarkten eine 12-monatige und nach Implantation eines DES eine 6-12-monatige
duale Hemmung der Thrombozytenaggregation empfohlen (1-3).
Problematisch, weil mit größerem
Blutungsrisiko behaftet, wird die Situation, wenn Patienten zusätzlich eine
orale Antikoagulation (OAK; Phenprocoumon oder Warfarin) benötigen, z.B. wegen
Vorhofflimmerns. Diese Situation ist immerhin bei 6-8% der Patienten nach ACS
zu erwarten (1) und wird wegen des steigenden Alters der Bevölkerung noch
häufiger werden.
Eine angenommene Situation als Beispiel
für die komplizierten Überlegungen zur Indikation der OAK: Eine 76jährige
Patientin mit chronischem Vorhofflimmern und mehreren Begleiterkrankungen mit
einem Serum-Kreatinin von 2 mg/dl hat einen CHA2DS2-VASc-Score (4, 5; s. Abb. 1) von 5; das
entspricht einem sehr hohen jährlichen Schlaganfallrisiko von 6,7% (6). Nach
den aktuellen Leitlinien zum Vorgehen bei Vorhofflimmern sollte die Patientin
deshalb oral antikoaguliert werden (6). Wenn sie nun wegen eines interkurrenten
ACS zusätzlich ein Jahr lang eine duale Plättchenhemmung erhalten muss, ist das
Dilemma perfekt, weil nicht abzuschätzen ist, ob angesichts des sehr hohen
Blutungsrisikos die Nutzen-Risiko-Relation einer solchen antithrombotischen Dreifachtherapie
günstig ist. Der HAS-BLED-Score (8) hilft dabei, dieses Risiko abzuschätzen
(s. Abb. 2). Ein Wert > 2 gilt als Hochrisiko-Situation (6). Wenn
die geschilderte Patientin unter OAK schwankende INR-Werte hat, muss sie als
Risikopatientin für eine nicht-tödliche Blutung gelten (HAS-BLED-Score 3).
Somit stünde dem möglichen Nutzen der Dreifachtherapie als Schlaganfall- und
ACS-Prophylaxe ein deutlich erhöhtes Blutungsrisiko gegenüber.
Nach einem großen dänischen
Register, das > 118.000 Patienten mit Vorhofflimmern einschloss, besteht
unter antithrombotischer Dreifachtherapie ein 4-5fach höheres Risiko für nicht-tödliche
Blutungen verglichen mit OAK allein (7; s. Tab. 1). Das
Blutungsrisiko der geschilderten Patientin liegt demnach bei > 15%/Jahr.
Wahrscheinlich ist es aber noch höher, weil die in das Register
eingeschlossenen Patienten zuvor von ihren Ärzten ausgewählt worden waren und
nur bei als relativ gering eingeschätztem Blutungsrisiko eine Dreifachtherapie
erhalten hatten.
Die Europäische
Kardiologengesellschaft (ESC) empfiehlt daher bei Patienten mit Vorhofflimmern
und Indikation zur OAK bei ACS eine antithrombotische Dreifachtherapie für maximal
sechs Monate und auch nur dann, wenn kein erhöhtes Blutungsrisiko besteht
(HAS-BLED-Score ≤ 3). Die INR sollte bei einer Dreifachtherapie
möglichst genau zwischen 2 und 2,5 eingestellt und engmaschig überwacht werden.
Weitere Arzneimittel, die in die Blutgerinnung eingreifen (SSRI = selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer, NSAID = nichtsteroidale
Antiphlogistika, Ginkgo biloba), sollten unbedingt vermieden werden. Für die
Zeit einer Dreifachtherapie sollte auch individuell eine Ulkus-Prophylaxe mit einem
Protonenpumpenhemmer bedacht werden, denn der Gastrointestinaltrakt ist die häufigste
Blutungsquelle (1).
Bei einem HAS-BLED-Score ≥ 3
soll die Zeit der Dreifachtherapie auf nur vier Wochen begrenzt werden (s. Tab. 2).
Aus dieser Empfehlung folgt, dass die Implantation eines DES bei Patienten mit
hohem Blutungsrisiko und Vorhofflimmern als kontraindiziert anzusehen ist. Bei
ACS mit Implantation eines BMS und hohem Blutungsrisiko wird nach der Dreifachtherapie
eine Doppelbehandlung mit OAK plus 75 mg/d Clopidogrel (alternativ niedrig
dosiert ASS) bis zum Ende des 12. Monats empfohlen (s. Tab. 2). Die
Kombination mit ASS ist nach den Daten des dänischen Registers möglicherweise
sicherer (s. Tab. 1). Nach 12 Monaten soll dann mit OAK alleine (INR
2-3) weiterbehandelt werden. Das ist ausreichend, denn OAK sind auch in der
Sekundärprophylaxe der KHK wirksam (9).
Zu diesen Empfehlungen der ESC ist allerdings
zu sagen, dass sie auf eher schwacher Evidenz beruht, denn sie haben
überwiegend nur den Empfehlungsgrad 2b (Nutzen ist nicht gut belegt) und nur einen
Level of Evidence C (Expertenkonsens; 2).
Diese schwierige Situation wird
neuerdings noch komplizierter, weil neben ASS und Clopidogrel inzwischen noch zwei
weitere ADP-Rezeptor-Blocker zur Verfügung stehen (Prasugrel = Efient®,
vgl. 10; Ticagrelor = Brilique®, vgl. 11) und es neben den
klassischen Vitamin-K-Antagonisten mindestens eine weitere Alternative gibt für
die orale Antikoagulation (Dabigatran = Pradaxa®, vgl. 12).
Vermutlich folgen bald zwei weitere Wirkstoffe (Apixaban = Eliquis®,
Rivaroxaban = Xarelto®, vgl. 13). Somit bestehen rechnerisch bald mindestens
12 Möglichkeiten einer Dreifachtherapie.
Die neuen oralen Antikoagulanzien weisen
nach derzeitigem Wissen keinen Ausweg aus dem Sicherheits-Dilemma der
Dreifachtherapie. In drei Phase-II-Studien wurde jeweils die Nutzen-Risiko-Relation
einer Kombination von ASS plus Clopidogrel mit einem der neuen Arzneimittel verglichen.
Die ATLAS
ACS-TIMI 46-Studie untersuchte Rivaroxaban (14), die APPRAISE-Studie Apixaban
(15) und die RE-DEEM-Studie Dabigatran (16) in Dreifach-Kombination. Die
Intention dieser Studien war es, die Prognose nach einem ACS durch eine
Dreifachtherapie weiter zu verbessern. Keine dieser Studien konnte eine
signifikante Reduktion von Zweiterereignissen an ACS nachweisen. Allerdings
waren hierfür auch nicht ausreichend viele Patienten rekrutiert worden. Primäre
Endpunkte waren jeweils die Blutungskomplikationen nach 180 Tagen. Bei allen
drei Wirkstoffen stiegen Blutungskomplikationen dosisabhängig bis zu > 20%
innerhalb eines halben Jahres an. Die APPRAISE-Studie wurde deshalb sogar
abgebrochen. Dies ist bemerkenswert, weil Patienten mit hohem Blutungsrisiko
oder einer Indikation zur OAK von der Studienteilnahme jeweils ausgeschlossen
wurden. Ältere Patienten mit akutem Koronarsyndrom, Vorhofflimmern und nicht
stabiler Nierenfunktion werden von den neuen Antikoagulanzien möglicherweise
keinen Vorteil haben, denn die antikoagulatorische Wirkung wird nicht gemessen,
bei eingeschränkter Nierenfunktion kumulieren sie und Antidote gibt es bisher
nicht.
Literatur
- Hamm, C.W., et al.:

- STEMI Guidelines derESC: Eur. Heart J. 2008, 29, 2909.

- ESC Guidelines onmyocardial revascularisation: Eur. Heart J. 2010, 31, 2501.

- Lip, G.Y.H., et al.:Chest 2010, 137, 263.

- Olesen, J.B., et al.: BMJ2011, 342, d124.

- ESC Guidelines for themanagement of atrial fibrillation: Eur. Heart J. 2010, 31, 2369.

- Hansen, M.L., et al.:Arch. Intern. Med. 2010, 170, 1433.

- Pisters, R., et al.:Chest 2010, 138, 1093.

- Hurlen, M., et al. (WARIS II = Warfarin, Aspirin,ReInfarction Study II): N. Engl. J. Med. 2002, 347,969.

- AMB 2009, 43,31a
; AMB 2011, 45, 01 ; AMB 2011,45, 84. 
- AMB 2010, 44,19
; AMB 2011, 45, 84. 
- AMB 2010, 44,06b
; AMB 2011, 45, 07a ; AMB2011, 45, 88. 
- AMB 2011, 45, 73.

- Mega, J.L., et al. (ATLAS ACS-TIMI 46 = Rivaroxaban in combination with aspirin alone orwith aspirin and a thienopyridine in patients with Acute CoronarySyndromes): Lancet2009, 374, 29.

- Alexander, J.H., et al. (APPRAISE = APixaban for PReventionof Acute Ischemic and Safety Events): Circulation2009, 119, 2877.

- Oldgren, J., et al.(RE-DEEM = RandomizEd Dabigatran Etexilate dosefinding study. Multi-centre, prospective, placebo controlled, cohortdose escalation study): Eur. Heart J. 2011, 32, 2781.

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