Zusammenfassung: Die medizinische Literatur, insbesondere sekundäre
Quellen wie Reviews, Metaanalysen und Briefe an Herausgeber werden
offensichtlich durch Ghost management und Ghostwriting stark von
pharmazeutischen Unternehmen (pU) manipuliert und dadurch als
Marketinginstrument verwendet. Professionelle Ghostwriting-Agenturen werden
beauftragt, Artikel mit positivem Fazit zum Nutzen neuer Arzneimittel zu
verfassen. Als (Gast)-Autoren werden dabei renommierte „Key opinion leaders”
genannt. Die finanzielle Abhängigkeit medizinischer Verlage bzw. Zeitschriften
von Werbeanzeigen und Sonderdrucken pharmazeutischer Unternehmen sorgen dafür,
dass diese Artikel dann häufig auch in führenden medizinischen
Fachzeitschriften publiziert werden. Das wahre Ausmaß des Ghost management und
Ghostwriting und der daraus resultierenden wissenschaftlichen Irreführung ist
nicht klar. Alle an medizinischen Publikationen Beteiligte – Autoren, akademische
Institutionen, Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften, Verlage und vor
allem pharmazeutische Unternehmen – sind deshalb aufgerufen, durch korrektes
Verhalten ihren Beitrag zu leisten bei der Beseitigung dieser offensichtlich
korrupten Praktiken.
1500 Originaldokumente aus einem
Rechtsstreit gegen den Arzneimittelhersteller Wyeth Pharmaceuticals weisen
nach, dass die Firma in den 90er Jahren im großen Umfang Ghostwriting-Agenturen
angeheuert hat, um ihre Arzneimittel Prempro® und Premarin®
zur sog. Hormonersatz-Therapie (HRT) zu vermarkten. Adriane Fugh Berman von der
Georgetown Universität Washington hat diesen Vorgang in dem frei zugänglichen
Online-Journal PLoS Medicine sehr detailliert aufgearbeitet (1). Demnach
verdiente Wyeth bis 2002 über 2 Mrd. US-$ mit diesen Arzneimitteln bis
bekannt wurde, dass die HRT das Risiko für Brustkrebs und Thrombosen erhöht. In
den USA haben daraufhin > 10.000
betroffene Frauen gegen die Hersteller Wyeth und Pfizer geklagt. 8.000 „Fälle”
wurden zu einer Sammelklage in Arkansas zusammengefasst. Der verantwortliche
Richter ordnete die Veröffentlichung aller Prozessunterlagen an. Hierdurch
wurde öffentlich gemacht, dass zwischen 1997 und 2005 mindestens 50
wissenschaftliche Artikel zur HRT primär nicht von den aufgeführten Autoren
verfasst wurden, sondern von Ghostwriting-Agenturen im Auftrag von Wyeth. Bei
diesen Publikationen (1) handelte es sich überwiegend um Editorials, Briefe an
den Herausgeber und Reviews - aber auch um klinische Studien wie die sog. Women’s
HOPE-Studie (z.B. 8, 9). Alle diese Artikel bewerteten den Nutzen zu
positiv und verharmlosten die Risiken bzw. Schäden der HRT. Sie führten dadurch
die Leser der Artikel in die Irre und verstießen gleichzeitig gegen ein
Grundprinzip der ärztlichen Berufsethik: Patienten nicht zu schaden („Primum
non nocere”).
Laut Prozessunterlagen beauftragte Wyeth
im Jahre 1997 die Firma DesignWrite Inc. damit, innerhalb von zwei Jahren über
30 Fachartikel zur HRT zu verfassen. Wie das ablief, zeigt ein gut
dokumentierter Fall aus dem Jahre 2003. Die Agentur DesignWrite hatte einen
14-seitigen Artikel über die Therapie von Hitzewallungen an Dr. Gloria Bachman
geschickt und sie gebeten, als Autorin zu fungieren („Guest author”). Dr.
Bachman von der Robert Wood Johnson Medical School ist eine „Key opinion leader”
im Bereich der Gynäkologie. Die Wissenschaftlerin schlug eine kleine
Veränderung im Manuskript vor und erklärte sich per E-Mail mit dem Inhalt und
ihrer Autorschaft einverstanden. Der Artikel erschien daraufhin 2005 nach „Peer
review” im Journal of Reproductive Medicine unter ihrem Namen (2). In diesem
Review wird die HRT als Goldstandard der Therapie postmenopausaler
Hitzewallungen bezeichnet. DesignWrite erhielt für diesen Artikel
25.000 US-$ von Wyeth. Beim Prozess konnte nachgewiesen werden, dass
DesignWrite zwischen 1997 und 2003 für Wyeth weitere 50 Originalartikel, über
50 Abstracts sowie Poster und Journal Supplements verfasst hat. Diese
erschienen in renommierten Zeitschriften, darunter The American Journal of
Obstetrics and Gynecology oder The International Journal of Cardiology. Die
Herausgeber wurden nie über die wahre Urheberschaft der Artikel informiert.
Der Leistungsnachweis von DesignWrite –
nicht nur bei den beiden oben genannten Arzneimitteln zur HRT - ist „beeindruckend”
und konnte noch 2010 im Internet auf der Website der Firma nachgelesen werden
(1). Über einen Zeitraum von 12 Jahren (1997-2009) plante, initiierte und/oder
managte DesignWrite unter anderem Hunderte von Beratergremien („Advisory
boards”), tausende Abstracts und Poster, etwa 500 Publikationen zu
medizinischen Themen, mehr als 200 Satellitensymposien und mehr als 10.000 „Speakers’
bureau”-Programme. Heute gibt sich die Firma weniger auskunftsfreudig,
vermutlich als Folge ihrer inzwischen publik gewordenen Aktivitäten und dem
daraus resultierenden enormen Ausmaß der wissenschaftlichen Irreführung von
Ärzten. Aber das Geschäft mit dem medizinischen Ghostwriting, einem
wichtigen Bestandteil der Marketingstrategien von pU (vgl. 15), scheint
nach wie vor sehr profitabel zu sein. Es gibt zwei internationale
Fachgesellschaften für Publikationsplanungen mit jeweils über 1000 Mitgliedern:
die „International Society for Medical Publication Professionals” (ISMPP; 3)
und „The International Publication Planning Association” (TIPPA; 4). Sergio
Sismondo von der Queens Universität in Ontario/Kanada war zu Gast auf deren
Jahrestagungen. Er berichtete auf der diesjährigen Generalversammlung der
International Society of Drug Bulletins (ISDB) in Vancouver, Kanada, dass sich
die Verleger der großen medizinischen Zeitschriften hier die Klinke in die Hand
gaben, um für Veröffentlichungen in ihren Journals zu werben (5, 6). So inserierten die „Annals of Internal
Medicine” im Kongressband der ISMPP: „Give your advertising dollar the greatest
impact” und das „New England Journal of Medicine”: „Location is everything, no
matter what you’re selling”. Anscheinend
sind also nicht nur die pU, sondern auch die großen Verlage Nutznießer des
Ghostwriting. Diese finanzieren sich zu einem beträchtlichen Anteil mit den Anzeigen
und Einnahmen für Sonderdrucke durch pU, profitieren aber auch von einer
Steigerung des Impact-Faktors ihrer Zeitschriften durch Publikation großer, von
pU gesponserter, häufig auch geschriebener Artikel (10, 11).
Ghostwriting ist generell sehr schwer
nachzuweisen. Oft finden sich Hinweise im Kleingedruckten oder in den Aussagen bzw.
im Stil der Publikation. Letztlich liefern aber nur Gerichtsprozesse klare
Beweise. Mittlerweile wurde Ghostwriting unter anderem für Gabapentin,
Rofecoxib und besonders in den Publikationen zu Antidepressiva (z.B. Paroxetin,
Sertralin) nachgewiesen (12). Zu Sertralin finden sich 85 Artikel in
begutachteten Fachzeitschriften und zu Rofecoxib 96 Artikel. Es besteht der
Verdacht, dass viele dieser Artikel nicht von den auf der Publikation
angegebenen Autoren ursprünglich verfasst wurden und dass Ghostwriting in der
medizinischen Literatur, vor allem bei den von der Industrie initiierten
Studien, weit verbreitet ist (7, 13, 14).
Von pU beauftragtes Ghostwriting ist
jedoch nur eine Facette eines insgesamt für die Öffentlichkeit undurchsichtigen
Publikationsplans – besonders vor und unmittelbar nach Zulassung eines neuen
Arzneimittels. Hierunter versteht man den meist streng geheimen, sorgfältig
geplanten und gesteuerten Informationsprozess bis zur Markteinführung eines
neuen Arzneimittels, der auch als Ghost management bezeichnet wird (16, 17).
Dieser Prozess wird von großen Teams, überwiegend mit Experten aus dem Bereich
Marketing, bei den pU festgelegt. Die Publikationen zu einem neuen Arzneimittel
beginnen in der Regel mit „Pre-Launch”-Veröffentlichungen. Sie verfolgen das
Ziel, viele Monate vor der Markteinführung die Aufmerksamkeit auf einen neuen,
angeblich „innovativen” Wirkstoff zu lenken und dadurch Bedarf zu entfachen.
Angesehene Wissenschaftler mit engen Kontakten zu pU (Key opinion leaders)
berichten über ein bestimmtes Problem und deklarieren dringenden
Handlungsbedarf (Zitat einer Werbeagentur: „Building your brand before its
birth”). Für einige Arzneimittel sollen in der Vergangenheit bis zu 15% aller
Werbeaufwendungen in dieser Pre-Launch-Phase ausgegeben worden sein. Im weiteren
Verlauf werden dann vorwiegend Ergebnisse der Phase-II/-III-Studien zum neuen
Arzneimittel publiziert und nach der Zulassung schließlich Sekundäranalysen,
Metaanalysen und Reviews bestellt, die häufig von sehr gut bezahlten „fremden
Federn” verfasst werden. Alles in allem entsteht der Eindruck, dass viele
medizinische Fachartikel heute mehr den Gesetzen der Werbung als denen der
Wissenschaft gehorchen und deshalb auch ärztliche Entscheidungen über die
medikamentöse Therapie häufiger auf Marketing- als auf Evidenz-basierter
Medizin beruhen (12).
Es wird sicher nicht ausreichen, an pU,
Herausgeber medizinischer Fachzeitschriften und Autoren zu appellieren, das
weiterhin intensiv praktizierte Ghost management oder Ghostwriting rasch zu
beenden. Zwei im Jahr 2011 abgehaltene Workshops haben sich deshalb diesem
wichtigen Thema gewidmet und verschiedene Gegenmittel gegen diese Art
wissenschaftlicher Irreführung vorgeschlagen (18). Hierzu zählen rechtliche
Schritte sowie Sanktionen bei bewusster Täuschung gegen pU, aber auch „Ghost
authors” und „Guest authors” – d.h. Autoren, die wesentliche Abschnitte einer
Publikation verfassen, ohne genannt zu werden, oder aber ehrenhalber als
Autoren auf der Publikation erscheinen, obwohl sie die heute geltenden
Anforderungen an eine Autorschaft nicht erfüllen (19). Darüber hinaus wurde
eine gründliche Revision der aktuellen Empfehlungen des International Committee
of Medical Journal Editors (ICMJE) diskutiert, die unter anderem vorsehen
sollte, dass von pU beauftragte professionelle Verfasser medizinischer Artikel
auch als Autoren genannt werden. Wenige medizinische Fachzeitschriften (z.B.
Neurology) haben inzwischen begonnen, die Transparenz hinsichtlich der Autorenschaft
zu verbessern und dadurch dem Ziel einer größeren Seriosität wissenschaftlicher
Publikationen näherzukommen (20).
Literatur
- Fugh-Berman, A.J.: PLosMed. 2010, 7, e1000335.

- Bachmann, G.A.: J.Reprod. Med. 2005, 50, 155.

- http://www.ismpp.org (Zuletztaufgerufen 10.8.2012)

- http://www.publicationplanningassociation.org(Zuletzt aufgerufen 10.8.2012).

- Sismondo, S.: ManagingKey Opinion Leaders and their Publications. ISDB General Assembly 2012.24.-27.3.2012; Vancouver, Kanada.
- Sismondo, S., undNicholson, S.H.: J. Pharm. Pharm.Sci. 2009, 12, 273.

- Sismondo, S.: PLoS Med. 2007, 4, e286.

- Lindsay, R., et al.(HOPE = Women's Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen):JAMA 2002, 287, 2668.

- Utian, W.H., et al.(HOPE = Women's Health, Osteoporosis, Progestin, Estrogen):Fertil. Steril. 2001, 75, 1065.

- Lundh, A., et al.: PLoSMed. 2010, 7, e1000354.
Vgl. AMB 2010, 44,83. 
- AMB 2011, 45, 36.

- Spielmans, G.I., undParry, P.I.: J. Bioeth. Inq. 2010, 7, 13. (Zuletzt aufgerufen 10.8.2012)

- Gøtzsche, P.C., et al.:PLoS Med. 2007, 4, e19.

- Wislar, J.S., et al.: BMJ2011, 343, d6128.

- http://apps.who.int/medicinedocs/documents/s18659en/s18659en.pdf(Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).

- Sismondo, S., undDoucet, M.: Bioethics 2010, 24, 273.

- Lieb, K., Klemperer, D., Ludwig,W.-D. (Hrsg.): Interessenkonflikte in der Medizin – Hintergründe undLösungsmöglichkeiten. Springer-Verlag, Heidelberg 2011. AMB 2012, 46,16b.

- PloS Medicine Editors:PloS Med 2011, 8, e1001084.

- http://www.icmje.org/urm_full.pdf(Zuletzt aufgerufen: 10.8.2012).

- Baskin, P.K., und Gross, R.A.:BMJ 2011, 343, d6223.

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