Medikationsfehler führen
häufig zu gravierenden Schäden bei Patienten, die viel zu wenig beachtet werden.
In den ersten Wochen nach Entlassung aus dem Krankenhaus kommt es bei 13-17% der
Patienten zu unerwünschten Arzneimittelereignissen (UAE; 1, 2; zur
Definition s. 3). Viele werden als vermeidbar eingeschätzt (4). Als wir 2010
über Möglichkeiten berichteten, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu
verbessern, wurde die Verantwortlichkeit der beteiligten Berufsgruppen nicht
speziell angesprochen (5) Nach einer Metaanalyse verbessert aber die Mitarbeit
eines Klinischen Pharmazeuten (Krankenhausapothekers) die Arzneimitteltherapiesicherheit
(6). Das leuchtet zunächst ein. In den Ann. Intern. Med. ist aber jetzt eine
Studie erschienen (7), die den Effekt von Interventionen eines Krankenhausapothekers
auf Medikationsfehler bei Erwachsenen unmittelbar nach Entlassung aus dem
Krankenhaus untersucht hat und zu anderen Ergebnissen kommt.
In dieser randomisierten,
kontrollierten Studie wurden in zwei Universitätskliniken in Tennessee (USA)
von Mai 2008 bis September 2009 insgesamt 851 Patienten mit Akutem
Koronarsyndrom oder akut dekompensierter Herzinsuffizienz ausgewertet, die
entweder einer intensiven Mitbetreuung durch Krankenhausapotheker oder der
üblichen Betreuung mit Entlassungsberatung durch Arzt und Pflegepersonal
zugeteilt worden waren. Die Krankenhausapotheker verglichen die verschriebenen
mit den tatsächlich eingenommenen Medikamenten („Medication reconciliation”), beteiligten
sich an der Beratung und Schulung der stationären Patienten bis zur Entlassung,
gaben Einnahmehilfen in Form von Medikamenten-Boxen sowie bebilderten
Einnahmeschemata und führten ein bis vier Tage nach der Entlassung individuelle
Telefongespräche mit den Patienten („Follow-Up” per Telefon).
Der primäre Endpunkt war die Zahl aller klinisch
relevanten Medikationsfehler pro Patient in den ersten 30 Tagen nach Entlassung.
Sekundäre Endpunkte waren vermeidbare, in Dauer oder Schweregrad zu bessernde
oder potenzielle UAE aller Schweregrade. Die Endpunkte wurden 25 bis 35 Tage
nach Entlassung aus dem Krankenhaus durch ein Telefoninterview und ein Sichten
der Patientenakten seit der Entlassung evaluiert.
Ergebnisse: Bei 432 von
insgesamt 851 Patienten (51%) fanden sich in den ersten 30 Tagen nach
Entlassung ein oder mehrere klinisch relevante Medikationsfehler. Davon waren
23% als ernst einzustufen und ca. 2% als lebensbedrohlich. Insgesamt 258 (30,3%)
Patienten hatten ein vermeidbares und 253 (29,7%) ein potenzielles UAE. Für die
Einstufung als potenzielles UAE musste die Schadenswahrscheinlichkeit von zwei
Gutachtern als > 50% eingeschätzt werden. Die „unadjusted
incidence rate ratio” = IRR für einen klinisch bedeutsamen Medikationsfehler
betrug 0,92 (95%-Konfidenzintervall = CI: 0,77-1,10) bzw. für UAE IRR: 1,09
(CI: 0,86-1,39), d.h. die Intervention der klinischen Pharmazeuten verbesserte die
Therapiesicherheit in dieser Studie nicht.
Die Studie wurde in zwei Kliniken durchgeführt, die ein
hohes Niveau der Arzneimitteltherapiesicherheit haben. Beide Kliniken verfügen
über elektronische Krankenakten, wodurch die vorangegangene
Arzneimitteltherapie einfach eingesehen und der Medikamentenabgleich
elektronisch unterstützt werden kann. In einer der Kliniken hilft ein weiteres elektronisches
Tool, UAE zu reduzieren. Somit waren die organisatorischen Voraussetzungen für
eine sichere Arzneimitteltherapie gegeben. In dieser Situation veränderte die zusätzliche
Intervention durch die Krankenhausapotheker die Zahl der klinisch relevanten
Medikationsfehler pro Patient nicht signifikant.
Anders waren die Ergebnisse der PINCER-Studie (8). In
ihr wurden 480.942 Patienten aus 72 Arztpraxen in Nottingham (UK) randomisiert
entweder einer Gruppe zugeordnet, in der sich ein Klinischer Pharmazeut mit
gezielten Informationsprogrammen um die Qualitätssicherung der Medikation
kümmerte oder einer Gruppe, in der es nur eine elektronische Qualitätssicherung
gab. Endpunkt nach sechs Monaten war die Häufigkeit von drei zuvor definierten Medikationsfehlern
1. Antirheumatika ohne Protonenpumpenhemmer bei Patienten mit
Magenanamnese, 2. Betablocker bei Patienten mit Asthma und
3. Langzeitverordnung von ACE-Hemmern oder Schleifendiuretika bei
Patienten > 75 Jahre ohne Kontrollen von Elektrolyten und der Nierenfunktion
in den 15 Monaten vor Beginn der Therapie. Die Fehlerhäufigkeit war signifikant
geringer bei Mitwirkung eines Klinischen Pharmazeuten an der Qualitätssicherung.
Medikationsfehler 1: OR: 0,58 (CI: 0,38-0,89),
Medikationsfehler 2: OR: 0,73 (CI: 0,58-0,91) und
Medikationsfehler 3: OR: 0,51 (CI: 0,34-0,78).
Diskussion: In beiden Studien
wird erneut gezeigt, dass Medikationsfehler sehr oft vorkommen und gefährlich
sind. Dieses in der täglichen ärztlichen Tätigkeit immer noch zu wenig
beachtete Problem wird in den letzten Jahren zunehmend bearbeitet (5, 9, 10)
Zum Beispiel sind auf Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit in
Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zwei
Aktionspläne zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (2008-2009 und
2010-2012) entwickelt worden. Es werden darin unter anderem Projekte gefördert,
die sich darum bemühen, Fehler bei der Arzneimitteltherapie zu vermeiden und
dadurch die Arzneimitteltherapiesicherheit zu optimieren. Die hier referierten
Studien zeigen, dass ein großer Aufwand nötig ist, wenn Fehler gefunden und
verhindert werden sollen. Viele Disziplinen, unter Beteiligung der
Krankenhausapotheker (Klinischen Pharmazeuten), müssen enger zusammenarbeiten. Andererseits
ist nicht vorstellbar, dass dieses wichtige Segment der Krankenversorgung
fachgerecht betreut werden kann, ohne dass Verantwortliche festgelegt werden. Die
Ergebnisse der geplanten Projekte bleiben abzuwarten.
Fazit: Zur Sicherung der
Arzneimitteltherapiesicherheit könnten in Klinik und Praxis Klinische
Pharmazeuten sehr hilfreich sein.
Literatur
- Forster,A.J., et al.: Ann. Intern. Med. 2003, 138, 161.

- Bates,D.W., et al.: JAMA 1995, 274, 29.

- AMB2012, 46, 06.

- Forster,A.J., et al.: J. Gen. Intern. Med. 2005, 20, 317.

- AMB2010, 44, 49.

- Kaboli,P.J., et al.: Arch. Intern. Med. 2006, 166, 955.

- Kripalani,S., et al. (PILL-CVD= Pharmacist Interventionfor Low Literacy in Cardiovascular Disease): Ann. Intern. Med. 2012, 157, 1.

- Avery, A.J., et al.: (PINCER = Pharmacist-led INformationtechnology intervention for mediCation ERrors): Lancet 2012, 379, 1310.
Erratum: Lancet 2012, 379, 2242.
- AMB 2007, 41,95b.

- http://www.akdae.de/AMTS/Aktionsplan/index.html

|