Im N. Engl. J. Med. nimmt die
US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA zur kürzlich erfolgten Zulassung zweier
Appetitzügler Stellung (1). Die Stellungnahme mutet wie eine Apologie an, da
die klinischen Erfahrungen mit beiden Präparaten noch sehr begrenzt sind, Langzeitergebnisse
komplett fehlen und auch die Sicherheitsdaten noch unzureichend sind. Die
rasche Zulassung wird mit der Dringlichkeit begründet, eine effektive Therapie
zu finden angesichts der sich ausweitenden Adipositas-Epidemie in den
Vereinigten Staaten und weltweit.
Es handelt sich um den Wirkstoff Lorcaserin
und die Kombination von Phentermin mit dem Antiepileptikum Topiramat. Für beide
Präparate läuft auch das Zulassungsverfahren bei der EMA und bei Swissmedic.
Lorcaserin ist ein selektiver
Serotonin-Rezeptor-Agonist (5-HT2c-Rezeptor) und ähnelt daher in
seinem Wirkprinzip dem 1997 vom Markt genommenen (Dex)Fenfluramin, das aufgrund
seiner gleichzeitigen Stimulation von 5-HT2b-Rezeptoren zu einer
Valvulopathie führen konnte. Diese unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) ist
nach dem derzeitigen Kenntnisstand unter Lorcaserin nicht beobachtet worden.
Aber hilft das Mittel wirklich?
Die Zulassung der FDA stützt sich auf drei
randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt mehr als 8.000 Patienten. In
den ersten beiden Studien mit nicht-diabetischen adipösen Probanden wurde
innerhalb eines Jahres durch zweimal 10 mg/d Lorcaserin eine im Vergleich
zu Plazebo hochsignifikante Gewichtsreduktion erzielt: 5,8% des
Ausgangsgewichts, Plazebo 2,5% (gepooltes Ergebnis; vgl. 2, 3 und
Tab. 1). In der dritten, deutlich kleineren Studie wurden nur Diabetiker
(n = 604) eingeschlossen (4). Die durchschnittliche Gewichtsreduktion
betrug in dieser Studie 4,5% des Ausgangsgewichts bei Einnahme von zweimal
10 mg/d Lorcaserin (Plazebo 1,5%; vgl. Tab. 1).
Auf den ersten Blick klingen diese
Ergebnisse vielversprechend. Aber nur in einer der drei Studien (3) wurde ein
weiteres Jahr lang nachbeobachtet: 3.182 Patienten wurden für die Studie
rekrutiert und anschließend randomisiert. Die Folgeuntersuchungen fanden nach
zwei und vier Wochen und dann einmal im Monat statt. Die Auswertung erfolgte
nach der Intention-to-treat-Methode mit "last available data carried forward"
für solche Probanden, die die Studie nicht weiterführten (Dropouts) bzw. für
solche, von denen die Daten nicht erhältlich waren (Missing data). Nach einem
Jahr waren nur noch 55,4% der Patienten der Lorcaserin-Gruppe (883 von 1.595)
bzw. 45,1% der Plazebo-Gruppe (716 von 1.587) in der Studie. Die verbliebenen
Patienten der Plazebo-Gruppe erhielten auch im zweiten Jahr weiter Plazebo. Die
verbliebenen Patienten der Lorcaserin-Gruppe wurden zu Beginn des zweiten
Jahres erneut randomisiert und erhielten entweder Plazebo oder weiter
Lorcaserin. Am Ende des zweiten Jahres befanden sich nur noch 1.127 Patienten
in der Studie. Von den Patienten, die im ersten Jahr ≥ 5% ihres
Ausgangsgewichts abgenommen hatten (20,3% aller Patienten der Plazebo-Gruppe,
47,5% der Lorcaserin-Gruppe), konnten in der Plazebo-Gruppe nur 50,3% das
Gewicht halten, während dies 67,9% der Verum-Patienten gelang
(p < 0,001).
Wenn man versucht, diese verwirrenden Zahlen
besser verständlich zu machen, kommt man zu der ernüchternden Erkenntnis, dass
nur ein Bruchteil der Patienten einen allenfalls bescheidenen Nutzen durch den
Appetitzügler hat: Von den 1.595 Patienten, die Lorcaserin erhielten, haben nur
883 das erste Studienjahr abgeschlossen. Betrachtet man den Gewichtsverlauf,
zeigt sich, dass der größte Teil der Gewichtsreduktion im ersten Halbjahr erfolgte.
Daher lässt die Methode "Last available data carried forward" die
Ergebnisse günstiger aussehen. In diesem Fall kommt die Per-protocol-Analyse
der Wirklichkeit näher. Nach dieser Analysenart hatten 586 (66,4%) der nach
einem Jahr noch in der Studie verbliebenen Lorcaserin-Patienten eine
Gewichtsabnahme von ≥ 5% des Ausgangsgewichts. Da eine Einnahme über
ein Jahr hinaus weder vom Hersteller noch von der FDA empfohlen wird,
interessieren vor allem die Patienten, die nach einem Jahr deutlich, d.h. ≥ 5%
des Ausgangsgewichts verloren hatten und im zweiten Jahr ohne weitere
Medikation ihr niedrigeres Gewicht halten konnten. Dies gelang nur 50,3% der
Patienten, die nach einem Jahr Lorcaserin-Einnahme auf Plazebo umgestellt
wurden. Hochgerechnet auf die Gesamtzahl der Patienten, die nach einem Jahr
Lorcaserin-Einnahme eine relevante Gewichtsreduktion erzielt hatten, wäre also
mit etwa 295 (50,3% von 586) Patienten zu rechnen, die auch nach zwei Jahren
noch von der Einnahme profitieren würden. Dies bedeutet, dass nur 18% der Patienten,
die eine Lorcaserin-Behandlung begonnen hatten, nach zwei Jahren noch ein
deutlich reduziertes Gewicht hätten.
Die Dropout- und Erfolgsraten der anderen
beiden Lorcaserin-Studien sind ähnlich. Ob hier also von einem Durchbruch in
der Therapie der Adipositas gesprochen werden kann, ist mehr als fraglich, denn
es gibt keine Daten über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus, weder zur
Wirkung, noch zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) und Sicherheit. Es gibt
natürlich auch keine Endpunkt-Daten, die zeigen, ob die Gewichtsabnahme unter
dieser Behandlung tatsächlich Morbidität und Letalität senkt. Die Begründung
der FDA für die beschleunigte Zulassung ist in diesem Lichte fadenscheinig.
Die häufigsten UAW waren (Lorcaserin vs.
Plazebo): Kopfschmerzen 14,5% vs. 7,1%, Rückenschmerzen 11,7% vs. 7,9%,
Nasopharyngitis 11,3% vs. 9,9%, Übelkeit 9,4% vs. 7,9%.
Alle drei Studien wurden vom
Lorcaserin-Hersteller Arena Pharmaceuticals finanziert. Die unseres Erachtens
vorschnelle Zulassung durch die FDA lässt einen erheblichen Industrie-Bias
vermuten, obwohl alle FDA-Autoren des Artikels im N. Engl. J. Med.
diesbezügliche Interessenkonflikte verneinen.
Für das zweite kürzlich in den USA
zugelassene Kombinationspräparat aus Phentermin und Topiramat sieht die
Datenlage ähnlich aus (vgl. Tab. 1). Es existieren zwei randomisierte
kontrollierte Studien über ein Jahr (5, 6), wobei die eine ohne erneute
Randomisierung ein zweites Jahr lang weitergeführt wurde (7). Betrachtet man
letztere, so ist festzustellen, dass sich auch hier nur ein Bruchteil der
initial eingeschlossenen Patienten am Ende des zweiten Jahres noch in der
Studie befand. Von 1.493 Patienten, die im ersten Studienjahr Verum erhielten,
schlossen nur 1.107 (74%) das erste Studienjahr ab. Nur 448 waren berechtigt bzw.
bereit, die Medikation ein zweites Jahr lang weiter einzunehmen. Von diesen
schlossen wiederum nur 371 das zweite Studienjahr ab. Unter der Dosis von
15 mg/d Phentermin plus 92 mg/d Topiramat erreichten 79% der
Probanden nach zwei Jahren Einnahme eine Abnahme von ≥ 5% des
Ausgangsgewichts. Eine Nachbeobachtung der Patienten, die im ersten Jahr die
Studienmedikation erhalten hatten und im zweiten Jahr nicht mehr, fand nicht
statt.
Die Zahlen erscheinen auf den ersten Blick
etwas günstiger als in den Lorcaserin-Studien, sind aber bei genauerer
Betrachtung ähnlich enttäuschend. Eine zweijährige durchgehende Einnahme des
Appetitzüglers ist nicht anzuraten, und es ist unbekannt, wie sich das Gewicht
nach Absetzen der Medikation verhält. Signifikant häufiger als unter Plazebo
traten unter Phentermin 15 mg/Topiramat 92 mg zudem
folgende UAW auf: Mundtrockenheit, Parästhesien, Obstipation, Dysgeusie,
Schlaflosigkeit, Schwindel, Rückenschmerzen, Übelkeit, Verschwommensehen,
Angststörungen, Reizbarkeit und Aufmerksamkeitsdefizite. Hinzu kommt noch das
Teratogenitätsrisiko, das bei Frauen im gebärfähigen Alter einen sicheren
Empfängnisschutz vorschreibt. Auch hier kann nicht von einem Durchbruch bei der
Bekämpfung der Adipositas-Epidemie die Rede sein, der eine so rasche Zulassung
rechtfertigen würde. Auch die Phentermin/Topiramat-Studien wurden alle vom
Hersteller finanziert.
Fazit: Mit auffällig wenigen Daten aus Hersteller-unterstützten,
randomisierten kontrollierten Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit wurden von
der FDA zwei neue Appetitzügler zugelassen: Lorcaserin und die Kombination
Phentermin/Topiramat. Ihre Wirksamkeit erscheint längerfristig gering, und die Langzeitsicherheit
ist ungewiss. Die Zulassung der Präparate durch die EMA ist beantragt, wird
hoffentlich aber nicht erteilt.
Literatur
- Colman,E., et al.: N. Engl. J. Med. 2012, 367, 1577.

- Fidler,M.C., et al. (BLOSSOM = Behavioral modification and LOrcaserin SecondStudy for Obesity Management): J. Clin. Endocrinol. Metab. 2011, 96,3067.

- Smith,S.R., et al. (BLOOM = Behavioral modification and Lorcaserin for Overweightand Obesity Management): N. Engl. J. Med. 2010, 363, 245.

- O'Neil,P.M., et al. (BLOOM-DM = Behavioral modification and Lorcaserinfor Overweight and Obesity Management in Diabetesmellitus): Obesity (Silver Spring) 2012, 20, 1426.

- Gadde,K.M., et al. (CONQUER):Lancet 2011, 377, 1341.
Erratum: Lancet 2011, 377,1494.
- Allison, D.B., et al.(EQUIP): Obesity(Silver Spring) 2011, 20, 330.
- Garvey,W.T., et al. (SEQUEL): Am.J. Clin. Nutr. 2012, 95, 297.

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