Was Journalisten bewirken, aber auch falsch machen können,
hat Wolf Schneider in mehreren Büchern tiefgreifend dargestellt. In seinem Buch
„Unsere tägliche Desinformation” finden sich viele allgemeine Beispiele für
guten und schlechten Journalismus (1). Medizinisch-wissenschaftliche Artikel
haben in diesem Zusammenhang – verglichen mit feuilletonistischen oder
politischen - eine wichtige Besonderheit: Ihre Inhalte können bei Lesern sehr direkt
oder auch indirekt über behandelnde Ärzte einen erheblichen Einfluss auf ihre Gesundheit
oder Krankheit nehmen. Insofern sind Verfasser medizinischer Artikel einer
besonderen Sorgfalt verpflichtet. Aber wie erkennt man die Sorgfalt? Die
folgenden 10 Regeln beruhen auf Kriterien für guten Medizinjournalismus der
US-amerikanischen Association of Health Care Journalists (2, 3) Anhand
solcher Kriterien lassen sich Artikel systematisch bewerten (4). Auch DER
ARZNEIMITTELBRIEF versucht, diesem Ideal zu folgen.
1.
Den Nutzen
benennen
Berichte über Therapien und
Arzneimittel müssen den Nutzen für die Behandelten klar benennen. Dabei sollte
der Nutzen in absoluten Zahlen angegeben werden (z.B. 8 von 100 Menschen
profitieren von der Behandlung). Relative Angaben zum Nutzen, etwa in Prozent,
sind zu vermeiden, weil sie von den meisten Menschen falsch interpretiert
werden.
2.
Den Schaden
angemessen darstellen
Alle Behandlungsmethoden
können neben Nutzen auch Schäden anrichten. Der mögliche Schaden sollte wie der
Nutzen in absoluten Zahlen dargestellt sein. Die Risiken neuer Methoden sind
noch nicht vollständig bekannt, darauf sollte jeder Bericht hinweisen.
3.
Mit anderen
Behandlungsmethoden vergleichen
Neue Therapien oder
Arzneimittel müssen im Vergleich mit bereits etablierten Behandlungsmethoden
bewertet werden. Mögliche Vor- und Nachteile sollte der Bericht angemessen
vermitteln.
4.
Keine
Behandlung, abwartendes Verhalten oder nicht-medikamentöse Behandlung
thematisieren
Nicht zu behandeln kann
manchmal eine wichtige Option sein. Was sind die Folgen, wenn ich mich nicht
behandeln lasse? Dies zu betrachten, ist bei diagnostischen und vorbeugenden
Maßnahmen besonders wichtig.
5.
Qualität der
Evidenz berücksichtigen
Oft werden in Studien nur so
genannte Surrogat-Endpunkte (Ersatzkriterien) untersucht und als Ergebnis
präsentiert. Es kommt aber nicht darauf an, Blutwerte oder andere
Laborparameter zu verbessern, sondern die Lebensqualität von Kranken zu
steigern, bedrohliche Folgen der Erkrankung möglichst abzuwenden und das Risiko
zu senken, an der betreffenden Erkrankung zu sterben. Die Qualität der Studien
sollte in der Berichterstattung berücksichtigt werden. Wurden zum Beispiel nur
wenige Patienten einbezogen oder die Wirksamkeit nicht mit der besten bereits
bekannten Therapie verglichen, sind die Ergebnisse wenig aussagekräftig.
6.
Versprechungen
hinterfragen
Für neue Therapien oder
Wirkstoffe wird meist bessere Lebensqualität und längeres Leben versprochen. Ob
ein neues Arzneimittel tatsächlich besser ist als bereits auf dem Markt
befindliche Alternativen und ob man das überhaupt weiß, sollte im Artikel Thema
sein. Manchmal ist etwas angeblich Neues schlicht keinen Artikel wert.
7.
Kosten beziffern
Die Kosten einer neuen
Behandlung - auch im Vergleich zu bekannten Therapien - müssen beziffert
werden. Ebenfalls gehört dazu die Angabe, ob sie von den Krankenkassen
erstattet werden, gehört ebenfalls dazu.
8.
Verfügbarkeit
thematisieren
Oft ist ein neues
Arzneimittel noch im Versuchsstadium, also z.B. erst in der klinischen Prüfung
vor Zulassung. Dann ist über den erhofften Nutzen zurückhaltend zu berichten,
weil es noch keine gesicherten Erkenntnisse über das Nutzen-Schaden-Verhältnis
gibt. Nicht selten werden Arzneimittel ärztlich eingesetzt, obwohl sie für die
betreffenden Erkrankungen (noch) nicht offiziell zugelassen sind
(Off-label-use). Auch hier gilt es, auf die besondere Behandlungssituation und
die eventuell nicht ausreichenden Belege zum Verhältnis von Nutzen und Schaden
hinzuweisen.
9.
Medikalisierung
nicht anheizen
Journalisten und
Journalistinnen sollten sich nicht am Erfinden neuer Krankheiten beteiligen.
Die Tendenz, alltägliche Verhaltensweisen, Befindlichkeiten oder Zustände (z.B.
Schüchternheit, Haarausfall, Menstruation, Altern) als behandlungsbedürftige
Krankheit darzustellen, sollten sie nicht unterstützen. Wer Häufigkeit oder
Schwere von Krankheiten übertrieben darstellt, schürt unnötige Ängste.
10. Interessenlage von Informanten, Quellen ansprechen
Pressemitteilungen von
Unternehmen (oder deren Agenturen) sind nur selten brauchbare Quellen für einen
Artikel. Gesundheitsthemen sind häufig komplex; deshalb sollten Journalisten
immer mehrere Quellen heranziehen. Vor allem empfiehlt sich, unabhängige
Wissenschaftler zu befragen. Bei jeder verwendeten Quelle ist auf
Interessenkonflikte zu achten. Es ist nachgewiesen, dass kommerzielle
Interessen die Darstellung von Nutzen und Schaden einer Behandlung
beeinflussen. Interessenkonflikte sind deshalb zu benennen.
Literatur
- Schneider, W.: Unsere täglicheDesinformation. STERN-Buch im Verlag Gruner+Jahr AG & Co., Hamburg 1988.
- Schwitzer, G.: Am. J. Bioeth.2004, 4, W9.

- Angelehnt an die Übersetzung undBearbeitung von Jörg Schaaber:

- Schwitzer, G.: PLoS Med 2008, 5,e95.

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